Mädchen und Schachtdeckel

Abwasserwärmenutzung mit der Luftwärmepumpe

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Als ich mit Siegfried Müller sprach, spürte ich sofort, dass ich es mit einem “Überzeugungstäter” zu tun habe: Der Unternehmer aus Steinhausen in Oberschwaben kennt keine Probleme – nur neue Aufgabenstellungen, die es ihm erlauben zu “basteln”. Eine dieser Basteleien ist die Anlage zur Abwasserwärmenutzung für sein 300 qm großes Wohnhaus. Die Idee ist nicht neu, doch der gelernte Elektrotechniker und Bauingenieur entzieht die Wärme nicht wie üblich aus dem Abwasser selbst.

Heizen mit Herzblut

Vielmehr saugt Müllers Anlage Außenluft durch den Kanal, die sich dabei erwärmt. Das ist einfacher und kostengünstiger, als das Abwasser durch einen Wärmetauscher zu schicken. Die Luft-Wärme wird genutzt, um mit einer handelsüblichen Wärmepumpe Energie für die Raumheizung zu erzeugen. Am besten eignen sich Niedertemperaturanwendungen wie z.B. die Fußbodenheizung.

Siegfried Müller heizt sein Haus mit Wärme aus dem Abwasserkanal
Siegfried Müller heizt sein Haus mit Wärme aus dem Abwasserkanal

Und wie funktioniert die Wärmepumpe gleich nochmal?

Der Bundesverband Wärmepumpe erklärt das Funktionsprinzip der Wärmepumpe so: “Im Kältekreislauf nimmt das Kältemittel Wärme aus der WärmequeKältemittelch, Luft, Wasser) auf und verdampft dabei. Im Kompressor wird das dampfförmige Kältemittel verdichtet und gibt über einen Wärmetauscher die dabei entstehende Wärme ab, die zur Heizung und Warmwasserbereitung genutzt werden kann. Das Kältemittel wird verflüssigt und entspannt, so dass der Kreislauf aufs Neue beginnen kann.”

Funktionsweise der Wärmepumpe
Funktionsweise der Wärmepumpe

Die bessere Luftwärmepumpe

Während herkömmliche Luftwärmepumpensysteme (“Aerothermie”) im Winter mit den Minusgraden kämpfen und für hohe Stromrechnungen sorgen kann, wärmt Siegfried Müller die Luft vor. Nur wenn es draußen wärmer ist als im Kanal, saugt er die Außenluft ohne Umwege an. Die “Luftleitungen” benötigen nur einen fingerdicken Querschnitt, sagt Herr Müller, und sind daher nicht so aufwändig an den Kanal anzuschließen wie zusätzliche Kanalrohre mit einem Innendurchmesser von üblicherweise 15 – 20 cm. Herr Müller hat also einen individuellen Weg gefunden, die Effizienz seiner herkömmlichen Luftwärmepumpe zu erhöhen.

Wie effizient ist die Abwasserwärmenutzung mit Luftwärmepumpe?

Innerhalb von sechs Jahren verbrauchte die Anlage gut 40.000 kWh Strom und lieferte rund 150.000 kWh Wärme. Das gibt ein Verhältnis von bereitgestellter Wärmeenergie zur zugeführten elektrischen Energie von 3,75. Wenn ich diese Zahl den Jahresarbeitszahlen (JAZ) anderer Wärmepumpensysteme gegenüber stelle, ist das kein schlechter Wert. Aber Vorsicht: Die Berechnung der Jahresarbeitszahl ist komplex und es ist auch ein Unterschied, ob mit der Wärmepumpe nur Raumheizungswärme erzeugt wird oder auch Warmwasser. Letzteres macht Siegfried Müller übrigens mit einer weiteren Luftwärmepumpe, die die Abwärme aus dem Heizraum nutzt, wo auch der Gefrierschrank steht.

Zum Vergleich: In einem Forschungsprojekt des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) erreichten Luftwärmepumpen eine durchschnittliche JAZ von 2,9 und Erdwärmepumpen 3,9. Nur die besten Wärmepumpensysteme kamen auf JAZ von über 4,0.

Auf der Suche nach Unterstützung

Siegfried Müller ist überzeugt, dass sein System auch in größerem Maßstab funktioniert. Fördermittel erhält er trotz aller Bemühungen nicht, doch er sucht jetzt nach einem Partner, der das System mit ihm umsetzt – und nach möglichen Bauherren für eine Versuchsanlage mit beispielsweise fünf Häusern.

Heizen mit warmer Luft aus dem Abwasserkanal: Funktionsschema für mehrere Häuser
Heizen mit warmer Luft aus dem Abwasserkanal: Funktionsschema für mehrere Häuser

Heizung mit Kanalanschluss wirft Fragen auf – technisch und rechtlich

So sehr mir Siegfried Müllers Kreativität gefällt, bleiben für mich trotzdem Fragen offen. Herr Müller hat Glück, dass der Kanal über sein Grundstück läuft. Meistens liegen die öffentlichen Kanäle mitten in der Straße, und wer meinen Artikel über Wärmenetze gelesen hat, weiß, wie begehrt der Platz im Untergrund ist 🙂 Zusätzliche Anschlüsse bedeuten zusätzlichen Aufwand beim Kanalbetrieb oder bei Straßenbauarbeiten – und was, wenn die Kommune z.B. einen Schacht außer Betrieb nehmen will, an dem eine private Heizanlage hängt? Oder wenn es beim Anzapfen des öffentlichen Kanals Schäden gibt? Wer zahlt? Und was ist der energetische Vorteil gegenüber einer modernen Erdwärmepumpe? Wie sieht die Energiebilanz bei mehreren in Reihe angeschlossenen Häusern wirklich aus? Ganz so einfach massentauglich scheint mir die Lösung nicht. Was meint ihr?

Titelfoto: Ulli 19:46 / photocase.de; Grafik Wärmepumpe: Bundesverband Wärmepumpe (BWP) e. V.; Foto Siegfried Müller, Grafik Heizen mit warmer Luft: Volksbank Ulm-Biberach eG