Fausformeln Solarthermie

Die Top-Liste der Faustregeln für die Solarthermie

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Ich liebe Faustregeln! Und mir fällt auf Anhieb eine ein, die ich von Kindesbeinen an kenne und inzwischen sogar meinen Kids beigebracht habe: Zähle nach einem Blitz die Sekunden bis der Donner grollt, indem du ein-und-zwanzig für jeweils eine Sekunde sagst, um ungefähr abschätzen zu können, wie viele Kilometer das Gewitter noch von Dir entfernt ist. Diese Faustformel habe ich übrigens nie hinterfragt, sondern als Erbe von meinem Großvater weitergetragen. Und damit sind wir schon mitten drin im Thema, denn es geht heute um Faustformeln als Erfahrungswerte und Energie, wenn auch nicht in Form von Blitz und Donner, sondern in Form von solarer Wärme.

Was ist eine Faustregel?

Eine Faustregel, die auch mal Faustformel oder Daumenregel genannt wird, hilft uns, schnell und einfach Werte zu ermitteln, ohne gleich präzise und aufwendige mathematische oder technische Berechnungen anzustellen. Die Faustregel ist damit also eine Sache für den Kopf, zum Beispiel buchstäblich zum Kopfrechnen. Die „Kunst“ dahinter ist die Heuristik. Es gibt Faustregeln zu fast allen Bereichen des Lebens, darunter zu Grammatik und Rechtschreibung, zum Bestehen der Führerscheinprüfung und und und …

Woher kommen Faustregeln?

Ich habe meine Gewitter-Faustregel von meinem Großvater Karl-Ludwig. Der hatte einen Teil seines Lebens in der Landwirtschaft verbracht. Sie beruhe, so sagte er, als er mir die Faustregel einst erklärte, auf seinen Erfahrungen. So wird es mit vielen Faustregeln sein: Sie entspringen unseren Erlebnissen und Erfahrungen.

Was nützt mir eine Faustregel?

Die meisten Faustregeln erleichtern einem das Leben. Sie liefern schnelle Werte, die uns zum Beispiel helfen, Entscheidungen zu treffen. Im Falle meiner Gewitter-Faustregel ging es zu Arbeitszeiten meines Großvaters sicher um so etwas wie das Heu, das noch möglichst trocken einzufahren war, bevor der Gewitterregen niederging. Ich fahre schon gar kein Heu mehr ein, fürchte diesbezüglich also auch kein Gewitter. Für mich ist die Faustregel eher ein vergnügliches Häppchen Lebensweisheit.

Faustregeln für das Planen und Dimensionieren einer Solarthermie-Anlage

In dem druckfrischen Buch „Solare Wärme. Technik – Planung – Hausanlage“ von Bernhard Weyres-Borchert und Bernd-Rainer Kasper, das ich hier auf dem Blog noch eingehender vorstellen werde, gibt es im sechsten Kapitel „Planung und Dimensionierung“ einen ganzen Abschnitt zu Faustformeln, quasi seitenweise Lebensweisheit zur Solarthermie – und davon kann man nie genug haben, oder?

Dass es beim Planen und Dimensionieren der Solarthermie-Anlage besonders darauf ankommt, die Größe der Kollektorfläche und des Speichers aufeinander abzustimmen, damit sich bei dem gewünschten Deckungsgrad auch der erhoffte Systemnutzungsgrad einstellt, haben wir hier auf dem Blog schon des Öfteren diskutiert, zum Beispiel hier.

Faustregel für Solarthermie-Anlage zur reinen Trinkwassererwärmung

Die beiden eben genannten Autoren schreiben, dass eine Solarthermie-Anlage, die man zum Erwärmen des Trinkwassers eines Ein- oder Zweifamilienhauses installiere, idR das Ziel hätte, während der Sommermonate Mai, Juni, Juli und August zu 100 Prozent die Wärme zu liefern, die dafür benötigt würde – so dass der Heizkessel in dieser Zeit ausbleiben könne. In der übrigen Jahreszeit, in der die Solarwärme quasi nur als Vorheizung diene, müsse der Heizkessel nachheizen.

Vorausgesetzt, dass

  • der mittlere Warmwasserbedarf VWW = 35 bis 55 Liter (45 Grad Celsius) pro Person und Tag betrage,
  • günstige Einstrahlungsbedingungen herrschten (HG = 1.000 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr +/- 10 Prozent),
  • das Dach nach Südost bis Südwest ausgerichtet sei und eine Neigung bis 50 Grad hätte
  • und das Kollektorfeld nicht oder nur gering verschattet sei,

gelte folgende Faustregel zur ersten Abschätzung für die Absorberfläche, um einen Jahresdeckungsgrad von 60 Prozent (an der Trinkwassererwärmung) zu erreichen:

1,5 Quadratmeter bei Flachkollektoren pro Person

1 Quadratmeter bei Vakuumröhrenkollektoren pro Person.

Zugleich gelte für die Dimensionierung des Speichers – wobei man laut den Autoren ein Speichervolumen zugrunde legt, dass etwa die Menge an Wasser fasse, die der Haushalt innerhalb von zwei Tagen verbrauche, um so auch mal einige Tage ohne Sonnenschein zu überbrücken:

Speichervolumen = täglicher Warmwasserverbrauch mal 2

Damit haben wir schon unsere erste Solarthermie-Faustregel! Habe ich schon geschrieben, dass ich solche Faustregeln liebe? Habe ich, also geht`s weiter mit der nächsten!

Faustregel für Solarthermie-Anlage zur Trinkwassererwärmung und Heizungsunterstützung (Kleinanlagen)

Standard-Anlage TW und WW mit Kurzzeitspeicher, niedriger solarer Deckungsgrad

Vor allem zum Wechseln in die Heizperiode hinein und daraus heraus könne eine Solarthermie-Anlage einen „nennenswerten Beitrag“ zur Raumheizung leisten, schreiben Bernhard Weyres-Borchert und Bernd-Rainer Kasper weiter. Bezüglich der Auslegung entsprechender Anlagen berichten die beiden Autoren von mehreren Ansätzen, wobei die meisten Anlagen so ausgelegt würden, „das der solare Deckungsanteil am Gesamtwärmebedarf im Vergleich zur reinen Trinkwassererwärmung etwa doppelt so hoch“  sei. Dementsprechend würde sich auch die Kollektorfläche im Vergleich zur Trinkwassererwärmung verdoppeln. Wer dagegen die Kollektorfläche nur ins Verhältnis zur Wohnfläche setze, der riskiere laut Weyres-Borchert und Kasper bei geringer Wärmeabnahme im Sommer (wenige Personen im Haushalt greifen nur wenig Wärme ab) unnötig häufige Stagnation. Daher mache es dann eher Sinn, sich an der Grundlast (Wärmebedarf Trinkwasser) zu orientieren.

Entsprechend stellen die beiden Autoren folgende Faustformel auf:

3 Quadratmeter (Flachkollektoren) bis 2 Quadratmeter (Vakuumröhrenkollektoren) pro Person; etwa 50 Liter pro Quadratmeter Absorberfläche (Flachkollektoren) beziehungsweise 80 Liter pro Quadratmeter Absorberfläche Vakuumröhrenkollektoren) oder 100 bis 200 Liter pro Kilowatt Heizlast

Anzumerken sei demnach, dass die Kollektorfläche einer solchen Kombianlage nicht viel mehr als das Doppelte größer sein sollte, als die einer entsprechend reinen Solarthermie-Anlage zur Trinkwassererwärmung groß wäre. Denn nur so ließen sich die sommerlichen Überschüsse – und damit „die thermischen Belastungen der Anlagekomponenten des Kollektorkreises in Grenzen“ halten.

In ihrem spannenden Buch führen die Autoren weitere Faustregeln für Großanlagen, beispielsweise auf Mehrfamilienhäusern auf – doch die hier darzustellen, führte an dieser Stelle zu weit.

Nachtrag: Im Zusammenhang mit Faustregeln möchte ich an dieser Stelle nur noch kurz auf ganz spannende Diskussionen hinweisen, die uns Verbraucher in unserem Entscheidungsprozess als homo oeconomicus oder homo heuristicus oder irgendwas dazwischen einordnen. In Bezug auf die Bedeutung von Faustregeln (Heuristiken) stellt sich schließlich immer die Frage: Welche sind tatsächlich hilfreich, welche eher nicht? Wer in diese Richtung weiterlesen will, dem empfehle ich zum Einstieg das Lesestück in der Zeit hier.

Welche Faustregeln kennt ihr?

Foto: suze / photocase.de