SonnenEnergieHaus : Gerd Schallenmüller

Interview mit dem Erfinder des Sonnenenergiehauses

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Ich habe Euch kürzlich das Sonnenenergiehaus (SEH) vorgestellt und versprochen, mit dem Erfinder des Energiestandards beziehungsweise Energiekonzepts für Gebäude zu sprechen. Lest hier das Interview mit Gerd Schallenmüller (Titelfoto), Vorstand der ReSYS AG, der sich selbst als Kopf hinter dem Sonnenenergiehaus sieht und mit seinem Unternehmen Gebäude gemäß dem Standard plant – gemeinsam mit Architekten und Bauherren. 

Inhaltsverzeichnis

Doreen Brumme für Ecoquent Positions: Gerd Schallenmüller, Ihr Unternehmen steckt hinter dem Energiestandard Sonnenenergiehaus. Wie kamen Sie auf die Idee, ein solches Gebäudekonzept zu entwickeln?

Gerd Schallenmüller: Der Einsatz der „fast vergessenen Energie“  Solarthermie im Einfamilien-Neubau scheitert oft daran, dass man Pufferspeicher mit riesigen Wasservolumina von circa 6.000 bis 20.000 Liter einsetzt. Diese „Wasserfässer“ stehen im Haus über zwei oder gar drei Stockwerke hinweg. Der Architekt plant dann um diese Speicher herum das Haus. Mit einem Standardhaus hat das dann nichts mehr zu tun. Die thermische Flachkollektoranlage erreicht dabei die Größe des kompletten Dachs. Photovoltaik hat keinen Platz mehr.

Deshalb war unser Ansatz, die Solarthermie unter Standardgesichtspunkten einzusetzen und bekannte, langlebige und hochwirksame Produkte einzusetzen, wie den Vakuumröhrenkollektor CPC Aqua Plasma aus dem Hause Paradigma. Diese Lösung erlaubt uns, kleine Pufferspeicher mit 1.000 Liter Volumen, aber auch kleine thermische Solaranlagen mit beispielsweise 20 Quadratmetern zu installieren. Die Simulationen ergaben, dass so mehr als 80 Prozent Autarkie erreicht werden kann. Mit dieser Lösung hat auf dem Dach auch eine vernünftige Photovoltaikanlage Platz. Gemeinsam mit einem kleinen, hochwertigen Stromspeicher wird auch bei der Stromversorgung eine Autarkie von mehr als 80 Prozent erreicht.

Inwiefern ist das Konzept zukunftsfähig – erfüllt es die gesetzlichen Vorgaben?

Das eben geschilderte  Versorgungssystem entspricht genau den Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie, die wir ab dem 1. Januar 2021 einhalten müssen. Die Bundesregierung hat die Definition so gewählt:

Die im Haus benötigte Energie (Wärme und  Strom) muss zu einem wesentlichen Teil am Haus produziert und im Haus gespeichert werden. Die noch notwendigen Restenergien müssen regenerativ sein.

Da wir mit dem System Sonnenenergiehaus 80 Prozent und mehr Autarkie erreichen, sollten die zukünftigen Vorgaben vollständig erfüllt sein. Der heutige Effizienzhaus-Standard 40 Plus, wobei das Plus “mit Strom bedeutet”, entspricht  dem Sonnenenergiehaus.

Gibt es nicht schon genug Energiestandards für Gebäude? Wie unterscheidet sich das SEH von anderen Energiestandards? Wo liegen seine Stärken?

Standards wie KfW 100, KfW 55, KfW 40 und KfW 40 Plus gibt es heute schon. Das SEH unterscheidet sich davon prinzipiell nicht, da das System vollständig energieoffen ist. Die Versorgungsquelle Nr. 1 ist immer die Sonne. Seit Franz Alt wissen wir, dass die Sonne keine Rechnung schreibt (lacht). Die Versorgungsquelle Nr. 2 für die geringe Restenergie ist vollständig frei wählbar. Hierin liegt die Stärke des Systems.

Das Besondere unseres Systems Sonnenenergiehaus ist, dass die sehr hohe
Autarkie von 80 Prozent und mehr mit Standard-Produkten ermöglicht wird. Ein ganz normaler Technikraum ist ausreichend für das SEH.
Dazu muss man wissen, dass der Weißwurst-Äquator (Rhein/Main-Linie) bisher die
Demarkationslinie für Häuser mit und ohne Keller war. Im Norden keine
Keller, im Süden nur Keller. Diese „Grenze“ wird von Jahr zu Jahr durchlässiger.
Aktuell werden auch im Süden bei Neubauten schon mehr als 40 Prozent auf Boden-
platte gebaut und im Norden sowieso. Dies hängt mit den hohen Kosten
zusammen, die ein gedämmter Keller kostet. Und gedämmt muss er sein, weil
sonst der Effizienzhaus-Standard 55 oder 40 schwierig bis gar nicht erreichbar ist.

Was ich Ihnen damit sagen will ist, dass der Technikraum bei Häusern auf Bodenplatte
sehr wichtig ist. Die Vielzahl an technischen Geräten darin zeigt, dass große
Pufferspeicher bei normalen Gebäudegrundrissen keine Chance haben. Wenn nun
noch ein Wäscheständer aufgestellt werden soll, geht das nur mit unseren
Lösungen (Stromspeicher an der Wand, kleiner Pufferspeicher).

Auch das Dach spielt eine wesentliche Rolle. Mit der Kombination Solarthermie & PV
ist der Einbau von Dachfenstern kein Problem. Wer alles nur mit PV versorgen
will (Wärme & Strom), der braucht  10 kWp und die haben auf den allermeisten
Häusern bei Dachfenstern keinen Platz. Auch das ist ein Argument für das SEH.

Was macht ein Sonnenenergiehaus konkret aus: Wann ist ein Haus ein Sonnenenergiehaus?

Ein Sonnenenergiehaus ist dann eines, wenn die Sonne mit circa 80 Prozent für Wärme und Strom versorgt.

Die Kombi aus Solarthermie und Photovoltaik ist die Basis eines Sonnenergiehauses. Sie kombinieren Holz und Gas damit. Wie passt das zusammen?

Es ist richtig, dass wir den Charme des Systems in der kombinierten Lösung sehen. Sonnenwärme für Wärme und Sonnenstrahlung für den Strom.

Können Sie uns ein paar Zahlen für nach SEH-Konzept zulässige Verbrauchswerte geben? Auf welche Energie- und Kostenersparnis kann ich als Bauherr damit kommen? Welche Autarkien sind möglich?

Das SEH Kirner beispielsweise hat nach einem Jahr Betriebszeit 85 Prozent Autarkie bei der Wärme erreicht und mehr als 82 Prozent beim Strom. Da die Einspeisevergütung deutlich höher war, als der zugekaufte Reststrom und die zugeheizten circa 300 Holzscheit und fünf Säcke Pellets entstand ein Überschuss von rund 200 Euro.

Kann jedes Haus ein Sonnenenergiehaus werden?

Der Begriff kann sowohl beim Neubau verwendet werden, als auch beim Gebäudebestand. Die Definition haben wir wie folgt festgelegt:

  • Neubau:  Autarkie Strom mindestens 75 Prozent, Wärme 75 Prozent (gilt für Einfamilienhaus und Zweifamilienhaus)
  • Bestand: Autarkie Strom mindestens 65 Prozent, Wärme min.50 Prozent

Was kostet ein Sonnenenergiehaus?

Die komplette Versorgung mit Wärme und Strom des eben schon ins Gespräch gebrachten SEH Kirner hat 56.000 Euro mit Mehrwertsteuer gekostet. Dank BAFA– und KfW-Förderungen sowie Förderungen des regionalen Energieversorgers badenova ergab sich eine Ersparnis von rund 20.000 Euro. WeberHaus hat für die Entnahme der Heizungsanlage 16.000 € gutgeschrieben, so dass eine Zusatzinvestition von max. 20.000 Euro erfolgte. Heute, seit dem KfW 40 Plus-Standard, wären dies noch einige tausend Euro weniger, da die Kreditanstalt für Wiederaufbau „40 Plus“ gut honoriert.

Natürlich sollte ein Bauherr immer ein KfW 55 oder 40-Haus bauen. KfW 100 entspricht nicht dem zukünftigen Standard ab 2021. Jene Häuser verlieren mit dem Stichtag 1. Januar 2021 an Wert, weil das Gebäude dem Endstandard dann nicht mehr entspricht.

Welche Rolle spielen Sie und Ihr Unternehmen als „Erfinder“ des SEH-Konzepts bei der Verwirklichung eines SEH?

Die Marke „SonnenEnergieHaus®“ habe ich 2010 eintragen lassen und 2013 an Paradigma verkauft. Somit bin ich der geistige Vater des Systems. Bei der Umsetzung des genannten SEH Kirner in Umkirch hat die ReSys AG die Planung und auch Durchführung in die Hand genommen und mit Kooperationspartnern die Anlagen installiert.

Wenn ich mir ein SEH bauen lassen möchte, was muss ich tun? Kaufe ich ein Zertifikat bei Ihnen? Planen Sie mein Haus?

Nein, Sie kaufen irgendwo im Land ein Haus oder lassen es sich von einem Architekten planen. Egal ob Stein auf Stein oder Holzständerbauweise, das Versorgungssystem lässt sich überall anwenden. Wichtig dabei ist, dass der Effizienzstandard “KfW 55” oder “KfW 40” entspricht. Wenn Sie uns beauftragen, planen wir jenes SEH. Wir planen für Bauherren genauso wie für Architekten.

Herr Schallenmüller, wohnen Sie selbst in einem SEH-Gebäude? 

Ich wohne in einem Bestandsgebäude aus dem Jahr 1983, das ich 2010 wärmedämmen ließ. Zusammen mit der seit 20 Jahren vorhandenen CPC-Anlage – die war damals eine der allerersten! – verbrauche ich heute weniger als die Hälfte an Energie.

Können Sie das auch beziffern?

Vor der Solaranlage brauchte ich jährlich zwischen 36.000 und 42.000 Kilowattstunden (kWh) für 225 Quadratmeter (m²) Wohnfläche. Mit der Solaranlage, die eine CPC-Kollektorfläche (altes Modell) von zehn Quadratmetern hat, sank 1997 der Verbrauch auf 30.000 bis 33.000 kWh, nach der Dämmung in 2010 rutschte der Energieverbrauch noch einmal auf 15.000 bis 17.000 kWh.

Wären Sie bereit, uns ein aktuelles Gebäude ausführlich vorzustellen?

Aktuell planen wir das Haus meines Sohnes Robert, ein Gebäude mit Baujahr 1959. Es hat 280 m² Gesamtfläche. Das wäre ein schönes Fallbeispiel. Die Solaranlagen Thermie und Strom werden an Weihnachten installiert sein. Vom bereits mehrfach angesprochenen Kirner-Haus gäbe es gute Daten, die stelle ich gerne vor.

Gut, dann dürfen sich unsere Leser darauf freuen. Damit kommen wir auch schon zu meiner letzten Frage an Sie als Planer, Herr Schallenmüller: Wie werden wir in 50 Jahren bauen und wohnen?

Mit der EU-Gebäuderichtlinie wird der gebäudetechnische Endstand oder Fast-Endstand erreicht sein. Am Wärmebedarf wird sich in 50 Jahren nur noch etwas ändern, wenn der Klimawandel noch wesentlich drastischer ausfällt, als angenommen.

Dies bedeutet, dass die Chancen, sich mit der Sonne zu versorgen, steigen werden. Mit Blick auf das dann hier noch ausführlich vorzustellende SEH Kirner können sich in 50 Jahren die Nachheiztage von heute 76 auf vielleicht  unter 50 verringern.

Die Frage, die sich heute in derartigen Häusern schon stellt, wird sein, ob sich eine Wärmepumpe für 15.000 Euro noch lohnt für die wenigen Kilowattstunden, die noch nachgeheizt werden müssen. Für mich wäre für die Strom-Fans heute schon bei einem SEH ein E-Heizstab, der mit regenerativem Strom aus dem Netz betrieben wird, die richtige Lösung. Die Kosten dieses „Heizaggregats“ mit Schutz für 500 Euro stehen in keinem Verhältnis zu einer Wärmepumpe für 15.000 Euro.

In 50 Jahren wird ein Puffer mit 1.000 Liter und 15 bis 20 m² CPC die Wärme zu 90 Prozent versorgen, den Rest macht dann der E-Heizstab. Wer das Lagerfeuer neben der Couch gut findet, der wird das auch mit einem Kaminofen machen. Aber Zentralheizkessel oder Wärmepumpen wie heute wird es nicht mehr geben. Das SEH Kirner zeigt deutlich den Weg in den nächsten 50 Jahren auf.

Vielen Dank, Gerd Schallenmüller, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch genommen haben! Ich bin gespannt, welche Daten Sie für das Fallbeispiel liefern werden! 

Foto: Gerd Schallenmüller, ReSYS AG