R. Andreas Kraemer über den EU-Emissionshandel und absurde Atompolitik

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Letzte Woche hat Sabine über die Geschichte des EU-Emissionshandels berichtet und die Frage gestellt ob ein Scheitern dieses Systems unmittelbar bevorsteht. In verschiedensten Kanälen hat sich eine Diskussion ergeben unter anderem mit R. Andreas Kraemer dem Director des Ecologic Institute – einem Think Tanks für angewandte Umweltforschung. Ich kenne diese Institution deshalb so gut, weil sie mit dafür verantwortlich ist, dass ich so viele Best Practice Beispiele zum Thema Energie in der Welt kenne. Seit letztem Jahr bin ich nämlich Teil des von ihnen gemeinsam mit dem Young Atlanticist Councils betreuten Netzwerkes ELEEP – Emerging Leaders in Energy and Environment Policy und durfte auch Herrn Kraemer schon persönlich kennenlernen. Deshalb konnten wir ziemlich unkompliziert dieses Interview einfädeln. Vielen Dank dafür.

Cornelia Daniel: Herr Kraemer, Sie haben ziemlich deutlich reagiert, als vom Scheitern des Europäischen Emmisionshandelssystem (ETS) in unserem Artikel gesprochen wurde. Wie sind Sie als Ecologic Institute in diesen Prozess involviert? 

R. Andreas Kraemer: Nun zunächst ist das ETS, das Emissionshandelssystem in der EU nicht gescheitert. Als Marktmechanismus funktioniert es genau so wie es soll. Märkte sind gut, um Knappheiten, die ja immer relativ sind, über die Preisbildung transparent zu machen: Ändert sich die Knappheit, ändert sich auch der Preis. Das Preissignal ist dann wichtig, um Verhaltensänderungen in der Wirtschaft und bei Verbrauchern auszulösen. Auf diese weise soll das ETS zu einer europaweiten Entwicklung zu klimaschonenderer Wirtschaftsweise, zu nachhaltigen Produktions- und Konsummustern beitragen. Die Knappheit, um die es hier geht, ist die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre und der Ozeane für klimawirksame Gase. Nun können die Atmosphäre und die Ozeane ihre übermäßige Verschmutzung nicht direkt an den Markt, an das ETS kommunizieren, da ist die Politik gefragt. Die Politik hat versagt, nicht der Emissionshandel in der EU. Die Politik hat zu schwache Ziele gesetzt und später nicht nachjustiert. Die Experten im Ecologic Institut beobachten diese Entwicklung ganz genau, analysieren die Gründe und Triebkräfte, und entwickeln Lösungsoptionen.

Was ging schief bei der Abstimmung vor zwei Wochen. Warum konnte man sich nicht einigen?

R. Andreas Kraemer: Einige Abgeordnete haben zwischenzeitlich gesagt, da sie versehentlich auf den falschen Knopf gedrückt haben. Das ist unwahrscheinlich und wenn es wahr wäre, müssten wir uns Sorgen um die Verlässlichkeit aller Abstimmungsergebnisse im Europäischen Parlament machen. Der Hauptgrund liegt erstens im Fehlen von verantwortungsvoller politischer Führung, woran Deutschland und hierzulande vor allem das Bundesministerium für Wirtschaft unter Führung von Philipp Rösler nicht unschuldig ist, und zweitens in einem völlig falschen Verständnis von Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Verständnis, oder besser Unverständnis, wird von Antonio Tajani artikuliert, für den Europa wettbewerbsfähig ist und bleibt, wenn die Energiepreise für Unternehmen und Verbraucher niedrig sind und die Folgekosten der Energieversorgung vom Steuerzahler und künftigen Generationen getragen werden, und wenn zugleich über staatliche Interventionen sichergestellt wird, dass kein Unternehmen, vor allem kein großes, schließen muss. Abgesehen davon, dass Staaten oder Staatengemeinschaften wie die EU untereinander gar nicht wie Unternehmen konkurrieren und damit schon die Grundannahmen hinter dieser Vorstellung falsch sind, ist an der vom Kommissar für Industrie und Unternehmertum präferierten Politik schon die Sowjetunion gescheitert. Auch im Kopf von Kommissionspräsident Manuel Barroso scheint die Vorstellung vorzuherrschen, dass ein Mehr an – überlebensnotwendigem – Klimaschutz einen Verlust an Wirtschaftsleistung, Arbeitsplätzen und Steueraufkommen bedeutet. Dass diese Vorstellung Unsinn ist, zeigt die Erfahrung mit der Energiewende in Deutschland und anderen Staaten, wie zum Beispiel Österreich oder Dänemark.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit sinnvolle Lösungen für den Emissionshandel gefunden werden?

R. Andreas Kraemer: Die Lösungen sind bekannt: Anhebung der Klimaschutzziele in der EU: Die Emissionen der klimawirksamen Gase sollten bis 2020 nicht mehr um 20% gegenüber 1990 verringert werden, sondern das Ziel sollte 30% sein. Das würde kaum zusätzliche Anstrengungen erfordern; die Erfahrung hat gezeigt, dass die Emissionsminderung viel leichter und billiger zu haben ist als zuvor gedacht. Die wirtschaftliche Rezession in weiten Teilen Europas wirkt dabei mit, indem sie – volkswirtschaftlich gesehen – Ressourcen für den Strukturwandel frei macht und die Kosten der Anpassung der Energiesysteme deutlich senkt. Die gleiche Erfahrung wird beim Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht, auch hier geht es schneller und leichter voran und die kurz- und mittelfristigen Ausbauziele könnten angehoben werden. Ich bin mir sicher, dass es auch bei der Energieeffizienz so wäre, wenn die Politik das Thema ernsthaft angehen würde.Damit sind die Lösungen, die jetzt umgesetzt werden können, schon skizziert. Damit es künftig nicht wieder zu so bedauerlichen Blockaden in der Energie- und Klimapolitik kommt, sollten die Institutionen und Verfahren in der EU so gestaltet werden, dass Politik stärker “lernfähig” wird, auf Veränderungen und neue Erkenntnisse also schneller reagieren kann.

Kann dieses System überhaupt noch repariert werden? Jemand aus unserem Netzwerk ist der Meinung, dass das CO2 Problem nicht über so einen Marktplatz reguliert werden kann. Welche Alternativen zum ETS gibt es, um die externen Kosten der fossilen Energien in das System hineinzubringen? 

R. Andreas Kraemer: Ich bin nicht der Meinung, dass der Emissionshandel ein untaugliches Instrument wäre, im Gegenteil. Er steht ja auch nicht allein sondern ist in ein Geflecht von umwelt-, klima- und energiepolitischen Instrumenten eingebettet. Das sind nicht nur die schon genannten Ziele und Umsetzungsmaßnahmen zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Verbesserung der Energieeffizienz, es sind beispielsweise auch die Harmonisierung und die aus meiner Sicht zu langsame voranschreitende, europäisch harmonisierte Anhebung von Steuern und Abgaben auf Kraftstoffe vor allem im Verkehrsbereich, aber auch bei der Heizung von Gebäuden. Die Harmonisierung von Steuern scheiterte oft an der dafür erforderlichen Einstimmigkeit im Ministerrat. Öffentliche Stellen können als Käufer von energieverbrauchenden Geräten und Fahrzeugen, als Betreiber von Gebäuden und Anlagen, viel zur Verbesserung der Märkte für energiesparende Produkte und Dienstleistungen tun. Daneben gibt es auch in der EU noch zahlreiche Subventionen und Privilegien für fossile Energien, für die Produktion und den Einsatz vor allem in der Industrie. Da sollte so einiges bereinigt werden, und es sollten keine neuen Subventionen und Privilegien geschaffen werden, wie das zur Zeit etwa beim Fracking, der unkonventionellen Förderung von fossilem Methan gefordert wird. Der Abbau von Subventionen wäre zum Wohle des Klimas und dazu ein wichtiger Beitrag zur Behebung der Staatsschuldenkrise, welche die europäische Wirtschaft derzeit abwürgt.

Gibt es Ideen zu europaweiten Einspeisetarifen oder ist die Energiewirtschaft in jedem Land einfach zu unterschiedlich ausgeprägt? 

R. Andreas Kraemer: Zu diesem Zeitpunkt wäre eine europaweite Harmonisierung der Fördersysteme für erneuerbare Energien etwa durch EU-Richtlinien Gift für die Energiewenden in den Mitgliedstaaten. Das wissen auch diejenigen, die eine solche rechtsförmliche Harmonisierung vorschlagen oder fordern. Dennoch sollten die Mitgliedstaaten, auch Deutschland, in ihrer Energiepolitik stärker europäisch denken und auch auf die Erfahrungen in anderen Staaten schauen, um selbst Fehler zu vermeiden. Hier wäre ein Mehr an Austausch hilfreich. Er scheitert, wie ich selbst mehrfach erleben konnte, aber oft daran, dass die energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Eliten in großen, wirtschaftlich bedeutenden Mitgliedstaaten immer noch von Vertretern der fossilen Energieindustrien und der Atomindustrie dominiert sind. Das gilt auch für die zentralen Ministerien in diesen Staaten. Ein verstärkter Dialog zwischen diesen Gruppen kann nichts zu einer Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien oder eines intelligenten Stromnetzes, der Steigerung der Energieeffizienz oder der Einführung neuer energiewirtschaftlicher Instrumente und Konzepte beitragen. Ein Beispiel dafür wären lastabhängige Tarife, die jedem Verbraucher und jedem Erzeuger von erneuerbarer Energie den aktuellen Netzzustand mitteilen und über ein Preissignal Anreize schaffen, sich so zu verhalten, dass das Netz im Ganzen stabil und dynamisch effizient funktioniert. Europa hat ja einen zunehmend integrierten Strommarkt, in dem die Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten immer geringer werden; über das Netz fließt der Strom immer auf dem Weg des geringsten Widerstands, und dabei spielen national Grenzen keine Rolle.

Noch eine etwas abweichende Frage, die mich persönlich interessiert und ich weiß, dass Sie dich damit stark auseinandersetzen. Manche Länder versuchen auch Atomkraft als Low-Carbon Technologie zu verkaufen und in Klimagesetze hineinzulobbyieren. Was ist Ihre Meinung dazu?

Was ich davon halte, können sie auf Facebook unter RAKraemer und Twitter unter @RAKraemer nachvollziehen. Atomkraft verursacht rund 7 Mal so viele Treihausgasemissionen wie Windkraft. Da schneidet sie schlecht ab. Nur im Vergleich zur Kohle und nur bezogen auf CO2-Emissionen ist Atomstrom als energiepolitische Option darstellbar. Deswegen besteht der Trick der Atomlobby ja auch darin, immer nur Atom und Kohle gegenüber zu stellen, und nicht über erneuerbare Energien zu reden. Bei einer Betrachtung des gesamten Energiesystems einer Landes, oder auch nur der Stromversorgung in ihrer Entwicklungsdynamik, zeigt sich jedoch, dass Atomstrom sich nicht mit erneuerbaren Energien verträgt; Atomstrom steht ihrem Ausbau entgegen.

Kaum jemand thematisiert heute den hohen sicherheitspolitischen Preis der Atomkraft. Wer einen Atomreaktor verstehend, betreiben und warten kann, kann auch eine Atombombe bauen, was dann zu internationalen Spannungen führt. Alle Kosten der diplomatischen, handelspolitischen und verdeckt vielleicht sogar militärischen Konflikte mit Staaten wie dem Iran, Pakistan oder Nordkorea sind direkte Folge des verantwortungslosen Exports von Atomtechnologien, zumal es keine wirtschaftliche Rechtfertigung für den Bau von Atomkraftwerken gibt.

Es ist im Grund absurd, dass wir immer noch über Atomenergie reden müssen. 60 Jahre nach ihrer Markteinführung überlebt sie nur Dank erheblicher Subventionen und Privilegien, allen voran der Tatsache, dass die Haftung der Hersteller, Eigentümer und Betreiber von Atomkraftwerken für die Schäden am Leben, an der Gesundheit und am Eigentum Dritter extrem niedrig gedeckelt ist, und aufgrund internationaler Abkommen eine grenzüberschreitende Haftung ausgeschlossen ist. Die Risiken der Atomenergie sind so hoch und so unberechenbar, dass keine Versicherungsgesellschaft der Welt eine ausreichende Versicherung anbieten würde. Gäbe es eine solche Versicherung wären die Prämien so hoch, dass alle Atomkraftwerke stillgelegt würden.

Die langfristigen Kosten der Atomkraft, der Finanzbedarf für die Stilllegung und den Abbau der bestehenden Atomkraftwerke und die langfristige Lagerung, Überwachung und Pflege des schon angefallenen Atommülls sind derzeit nicht gedeckt. Die Rückstellungen in den Bilanzen der Betreiber reichen bei Weitem nicht aus. Müssten diese, wie es sich bei ordnungsgemäßer Buchführung gehört, diese bereits bestehenden Verpflichtungen und Verbindlichkeiten richtig bewerten und ausweisen, alle Betreiber von Atomkraftwerken wären überschuldet und müssten Insolvenz anmelden. Ganze Staaten, vor allem die Mitgliedstaaten in der EU mit vielen Atomkraftwerken und einer schwachen Wirtschaft, würden in Schieflage geraten; ihre Kreditwürdigkeit wäre noch weiter angeschlagen. Für Frankreich und Großbritannien könnte es jeweils um eine Trillion Euro gehen, aber auch das kleinere Belgien ist stark gefährdet. Österreich hat klugerweise das Atomkraftwerk Zwentendorf nicht in Betrieb genommen, und Deutschland könnte gerade noch rechtzeitig den Ausstieg schaffen.

Vielen Dank für diese ausführlichen Worte. Wir sind gespannt wie unsere Leser Ihre Ausführungen kommentieren werden.

Bild: (c) Ecologic Institute