Fernwärmenetz Wien

Wiener Fernwärmenetz: So funktioniert’s!

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Ein weiteres Kapitel aus der Diplom-Arbeit von Christoph Zinganell zum Thema Solare Fernwärme wird heute von mir aufgeschlagen. Es behandelt das Fernwärmenetz von Wien. Das ist nämlich das größte Verbundnetz seiner Art in Europa, wie wir in dem bereits hier auf dem Blog von mir vorgestellten Abschnitt der Arbeit erfahren haben. Doch keine große Vorrede: Vienna is calling …

Noch mal kurz zur Erinnerung die wichtigsten Eckdaten des Wiener Fernwärmenetzes: Das geschlossene Wärmeverteilnetz von Wien versorgt rund 6.400 Großkunden und 330.000 private Haushalte über eine Gesamtlänge von 1.167,7 Kilometer (km). Um Wärme zu erzeugen, hat das Wiener Fernwärmenetz, dessen Betreiberin die Wien Energie GmbH ist, zum einen vier thermische Abfallbehandlungsanlagen –

  1. Simmeringer Haide
  2. Flötzersteig
  3. Spittelau
  4. Pfaffenau

– deren installierte thermische Leistung Christoph in seiner Diplomarbeit „Ökonomische Analyse von unterschiedlichen solarthermischen Systemen für eine Einbindung in das bestehende Fernwärmenetz der Fernwärme Wien“ auf 240 Megawatt (MW) beziffert. Die erzeugte Wärme dient der Deckung der Grundlast. Sie entsteht beim Verbrennen von:

  • Hausmüll
  • Sondermüll (Abfälle aus Industrie und Gewerbe)
  • sowie Klärschlamm.

2011, so schreibt Christoph, wurden so insgesamt 950.000 Tonnen Abfall samt Klärschlamm und Sondermüll verbrannt, wobei sich 1.500 Gigawattstunden (GWh) Wärme entwickelten.

Zum anderen betreibt der Fernwärmedienstleister sieben Kraft-Wärme-Kopplungs(KWK)-Anlagen, die an verschiedenen Standorten angesiedelt sind. Deren thermische Leistung beschreibt Christoph mit 1.575 MW. Dank der KWK-Anlagen nutzen die Wiener die Wärme, die bei der Erzeugung von Strom abfällt, also die Abwärme, um Fernwärme zu produzieren. Der Gesamtwirkungsgrad dessen erreicht bis zu 86 Prozent. Eine Zahl, die sich nun wirklich sehen lassen kann, Wien!

Konventionelle Anlagen ohne Wärmeauskopplung kämen gerade mal auf einen Wirkungsgrad von 40 bis 50 Prozent, schreibt Christoph weiter. Die KWK-Anlagen im Wiener Verbundnetz dienen laut Christoph vor allem in der Übergangszeit und im Winter zum Decken der Mittellast. Sie bilden mit den installierten 1.575 MW den größten Teil der Kraftwerke. Den erhöhten Energiebedarf, der im Winter beispielsweise frühmorgens oder abends auftritt (Spitenzeiten) decken die Wiener, indem sie  sogenannte Spitzenkessel zuschalten. KWK-Anlagen und die thermischen Abfallbehandlungsanlagen werden von diesen unterstützt.

Um das Ganze mal konkret zu beziffern: Die Wien Energie GmbH betreibt fünf Fernheizwerke mit Spitzenkesseln an den Standorten

  1. Arsenal,
  2. Kagran,
  3. Inzersdorf,
  4. Spittelau
  5. und Leopoldau.

Die installierte Gesamtleistung beträgt 1.450 MW und steht auch als Ausfallsreserve zur Verfügung. Die Fernheizwerke werden Großteils mit Erdgas betrieben, schreibt Christoph weiter. Je nach Angebot und Energiepreis könne ihm zufolge aber auch mit Heizöl Extra Leicht beziehungsweise Heizöl Schwer befeuert werden. Die Struktur der Wärmeerzeugung der Wiener im Geschäftsjahr 2011/2012 zeigt folgende Abbildung:

Fernwärme Wien Struktur


Dazu betreibt der Wiener Fernwärmedienstleister noch gut 150 autonome Heizzentralen. Die sogenannten Kesselhäuser werden hauptsächlich mit Erdgas betrieben und erzeugen eine  thermische Gesamtleistung von 52 MW. Christoph schreibt, dass die Kesselhäuser Kunden außerhalb des Versorgungsnetzes mit Wärme zu den gleichen Konditionen wie innerhalb versorgen. Nach und nach würden diese dann in das Fernwärmenetz integriert. Das Wiener Modell stehe laut Christoph für „eine intelligente Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung in allen kalorischen Kraftwerken und Abfallverwertungsanlagen zur Strom- und Fernwärmeversorgung“.

Werfen wir als Nächstes einen Blick auf das geschlossene Wiener Wärmeverteilnetz. Christoph nennt es das Herzstück. Die gut 1.168 Kilometer teilen sich in

  • ein Primärnetz (552 km)
  • und ein Sekundärnetz (616 km).

Das Primärnetz dient dem Transport großer Wärmemengen bei hohem Druck von rund 21,5 bar und hohen Temperaturen bis zu 145 Grad Celsius und mündet über sogenannte Gebietsumformerstationen, die nach dem Prinzip großer Wärmetauscher arbeiten, in die weit verzweigten Sekundärnetze, die zu den einzelnen Gebäuden und Abnehmern führen. Dank weiterer Umformerstationen wird die Wärme an die Hausanlagen übergeben. Die

Rohrleitungen von den Wärmequellen zu den Wärmeverbrauchern (Haushalte und Unternehmen) bezeichnet Christoph als Vorlauf, über den sogenannten Rücklauf fließt das abgekühlte Wasser anschließend wieder zurück zu den Ausgangspunkten.

Die Aufteilung in ein Primär- und in ein Sekundärnetz bringt laut Christoph den Vorteil, dass die Wärme im Primärnetz in großer Menge schnell transportiert werde und dann durch das Sekundärnetz ohne weitere aufwendige Hausübergabestationen zum Verbraucher gelange. Das Titelbild zeigt eine schematische Darstellung des Wiener-Fernwärme-Verbundrings mit wichtigen (großen) Erzeugern und Abnehmern. Die Vorlaufleitungen sind orange, die Rücklaufleitungen blau ausgeführt.

Drei technische Wege solarer Einbindung ins Wiener Fernwärmenetz

Abschließend will ich Euch noch drei technische Möglichkeiten solarer Einbindung in das Wärmenetz vorstellen, die Christoph herausgearbeitet hat.

Technische Möglichkeiten solarer Einbindung

  1. Entnahme und Einspeisung im Vorlauf (Abbildung c)

Hebe man die Vorlauftemperatur an, arbeite der solare Einspeiser wegen der höheren geforderten Netztemperaturen mit dem kleinsten Wirkungsgrad. Von Vorteil sei dabei laut Christoph jedoch, „dass die Pumpenergie vom Netz aufgebracht wird und somit die Druckverluste des Wärmetauschers sowie der Verbindungsleitungen abdeckt sind“. Eine Vorlaufanhebung sei jedoch für den Betreiber des Fernwärmenetzes ungünstig, weil der einen Strömungswiderstand in die Fernwärmeleitung einbauen müsste, damit ein regelbarer Durchfluss durch den Wärmetauscher des solaren Einspeisers erzeugt werden könne.

  1. Entnahme und Einspeisung im Rücklauf (Abbildung b)

Hebe man die Rücklauftemperatur an, arbeite der solare Einspeiser mit dem größtmöglichen Wirkungsgrad, schreibt Christoph weiter. Wie auch bei der Entnahme und Einspeisung im Vorlauf, werde dabei die Pumpenergie von den Netzpumpen aufgebracht und diese decke wiederum die Druckverluste des Wärmetauschers und der Verbindungsleitungen ab. Dennoch, so konstatiert Christoph, sei die Rücklaufanhebung für den Fernwärmenetzbetreiber ebenso ungünstig wie die Vorlaufanhebung, da Strömungswiderstände in das Fernwärmennetz eingebaut werden müssten. Noch ein Nachteil seien ihm zufolge die Wärmeverluste des Netzes aufgrund höherer Rücklauftemperaturen. Und auch der Wirkungsgrad des primären Wärmeerzeugers verringere sich aufgrund der höheren Rücklauftemperaturen ebenfalls leicht.

  1. Entnahme im Rücklauf und Einspeisung im Vorlauf (Abbildung a)

Hierbei seien, so Christoph, die Temperaturerhöhungen des solaren Einspeisers von den Vor- und Rücklauftemperaturen des Fernwärmenetzes abhängig. Sie sind für das Wärmenetz der Wien Energie GmbH in der nachfolgenden Abbildung dargestellt und betragen im Sekundärnetz im Vorlauf mindestens 63 Grad Celsius. Die Rücklauftemperatur dürfe nach Christoph maximal 30 Grad Celsius hoch sein. Vom Einspeiser werde eine variable Leistung beziehungsweise ein variabler Volumenstrom gefordert. Die Pumpenergie ist dann jedoch für den Einspeiser relativ hoch, da der Differenzdruck zwischen primären Vorlauf und Rücklauf im Wärmenetz der Wien Energie GmbH mindestens 1 bar (bis zu 2,5 bar) betrage und diese vom solaren Einspeiser abgedeckt werden müsse. Trotzdem sei diese Form der Einspeisung die von den Fernwärmebetreibern bevorzugte, da die Rücklauftemperaturen konstant bleiben könnten und die Pumpkosten zu einem großen Teil vom Einspeiser getragen würden. Christoph sagt: „Nach diversen Rücksprachen mit Entscheidungsträgern der Wien Energie GmbH, ist dies auch hier die gewünschte Variante.“

Primärnetz Sekundärnetz

Ich denke, das reicht für heute und zum Fernwärmenetz Wien, meint Ihr nicht auch? Wer mehr wissen will, wendet sich bitte direkt an den Autor der besprochenen Diplomarbeit Christoph Zinganell. Ihr erreicht ihn hier: christoph.zinganell@nullcollective-energy.at

Grafiken: Christoph Zinganell, Wien Energie GmbH