Gastbeitrag zur EU-Klimapolitik von Roger Hackstock, 23.1.2014
[su_quote cite=”Klimaforscher Mojib Latif ” url=”http://oe1.orf.at/programm/361601)”] „Es ist offensichtlich, dass kein Strukturwandel des Energiesystems gewünscht ist, wie er für die Energiewende notwendig wäre.“[/su_quote]
Der deutsche Klimaforscher traf damit den Punkt, als er das am 22. Jänner von der EU-Kommission präsentierte Weißbuch zur Klimapolitik kommentierte. Bis zum Jahr 2030 soll der CO2-Ausstoßes um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden, so das Weißbuch. Der Anteil erneuerbarer Energie soll bis 2030 von derzeit rund 14 Prozent auf 27 Prozent fast verdoppelt werden. Auf den ersten Blick klingen die Ziele vielversprechend. Anders als bisher wird den Mitgliedstaaten aber nicht mehr vorgeschrieben, wie viel Energie sie aus erneuerbaren Quellen wie Wasser, Wind, Sonne und Biomasse gewinnen sollen. Großbritannien denkt eher an den Bau von Atomkraftwerken, Polen an Erdgas aus Fracking-Anlagen statt der CO2-Schleuder Kohle. Die CO2-Ziele bis 2030 sind auch ohne erneuerbare Energie erreichbar, so die Botschaft. Diese kommt von der etablierten Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie, deren Handschrift das Weißbuch trägt.
Kniefall vor wirtschaftlichen Interessen
„Das EU-Weißbuch zur Klimapolitik ist ein Kniefall vor wirtschaftlichen Interessen“, ist Latif überzeugt. In der EU-Kommission war der Einfluss dieser Interessen auf die Klimapolitik Europas monatelang umstritten, schließlich wurde das Weißbuch zur Chefsache erklärt. EU-Kommissionspräsident Barroso präsentierte es selbst, flankiert von Klimakommissarin Hedegaard und Energiekommissar Oettinger, die gegensätzlicher Meinung waren, wohin die Reise der Klimapolitik gehen soll. Jetzt ist jedes Land auf sich gestellt, wie es bis 2030 seine CO2-Emissionen reduziert. Österreich hat nur Nachteile, wenn die EU stärker auf Atomkraft, Schiefergas und „saubere“ Kohle setzt. Die Erzeugung von Atomstrom ist bei uns gesetzlich verboten, Kohlestrom spielt hierzulande fast keine Rolle und gegen Schiefergas läuft die Bevölkerung Sturm. Bei Erneuerbarer Energie hat Österreich hingegen in den letzten Jahrzehnten viel gewonnen, wir haben weltweit den Ruf des Technologieführer, neue Wirtschaftszweige und Arbeitsplätze sind entstanden. Das Weißbuch hindert uns jedenfalls nicht, den erfolgreichen Weg weiter zu gehen und die Energiewende in Richtung einer Vollversorgung mit erneuerbarer Energie voranzutreiben.
Bremse Weißbuch? Pah – wir machen trotzdem weiter!
Statt entsetzt auf das Weißbuch zu starren, sollten wir uns auf den notwendigen Strukturwandel des Energiesystems konzentrieren, den es braucht damit die Energiewende gelingt. Wir brauchen Änderungen der gesetzlichen Vorgaben, damit Ökostrom künftig am Regelenergiemarkt mehr zur Versorgungssicherheit beitragen kann. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, um die vielen privaten Betreiber dezentraler Anlagen zu einem sicheren und günstigen Gesamtsystem zusammen zu führen. Wir brauchen neue technische Lösungen, um Heizen mit der Sonne und Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Das sind die Aufgaben, auf die wir uns konzentrieren müssen. Wer meint, in den USA günstigere Voraussetzungen und Energiepreise zu finden, sei gewarnt. Erst die hohen Gaspreise haben Fracking wirtschaftlich gemacht und Investoren angelockt. Der unerwartete Preisverfall führt dazu, dass sich Investoren nun zurück ziehen und kaum weiter nach Schiefergas gebohrt wird. Nach vier Jahren Gaspreissenkung in den USA steigt der Preis seit einem Jahr wieder. Mit billigem Gas ist der Fracking-Boom mittelfristig nicht zu haben. Selbst die IEA kam im World Energy Outlook 2013 zum Schluss, dass der Fracking-Boom spätestens 2020 endet und wir dann weltweit wieder auf die OPEC-Staaten angewiesen sind, deren Quellen aber bis dahin sinken werden. Das sind tolle Aussichten für die Versorgungssicherheit. „Es ist wichtig, bei der Klimapolitik rasch und planbar Fortschritte zu machen. Was wir heute nicht umsetzen, müssen wir in ein paar Jahren zu höheren Kosten für die Industrie aufholen“, ist auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) überzeugt. Die Energiewende hat mittlerweile eine breitere gesellschaftliche Basis, als es der Politik bewusst ist. Lassen wir uns von einem fehlgeleitetem Weißbuch nicht irritieren – wir machen weiter!
Roger Hackstock war bis 2013 Geschäftsführer von Austria Solar und veröffentlicht in Im Februar sein Buch: Energiewende – Die Revolution hat schon begonnen. Vielen Dank für diesen aktuellen Kommentar.
Fotos: Roger Hackstock (c) Foto Wilke, Prof. Dr. Mojib Latif (c) Leibniz-Institut für Meereswissenschaften
Ich würde gerne wissen, an welche “Änderungen der gesetzlichen Vorgaben, damit Ökostrom künftig am Regelenergiemarkt mehr zur Versorgungssicherheit beitragen kann” der Autor dieses Beitrags gedacht hat. Wasserkraftwerke nehmen bereits teil; Windräder und Photovoltaikanlagen können zur Versorgungssicherheit mangels verlässlichem Strom kaum was beitragen; allenfalls bei Biomasse- und Erdwärme-Kraftwerken wäre ein Einsatz als Regelenergie anstatt Grundlast sinnvoll, aber teuer und zumindest in Österreich gar nicht notwendig, weil wir genug Pumpspeicherkraftwerke haben.
Ihre Frage zeigt, Sie sind ein Fachmann. 🙂 Es ist jedoch tatsächlich so, dass auch Windräder und Photovoltaikanlagen Regelenergie liefern können, wie das Forschungsprojekt „Kombikraftwerk 2“ zeigt, an dem unter anderem ENERCON GmbH, Siemens AG, SMA Solar Technology AG und SolarWorld AG mitarbeiten. In einem Feldtest des Forschungsprojekts wurden reale Windparks, Biogas- und Photovoltaikanlagen mit in Summe 80 MW zu einem Kombikraftwerk zusammengeschlossen, zentral von einer Leitwarte aus gesteuert. Die Ökostromanlagen wurden bewusst nicht auf Volllast gefahren (selbst bei genug Wind oder Sonne), um Spielraum für Leistungsänderungen zu lassen, um die Netzfrequenz stabil zu halten. Technisch ist das kein Problem, beim Windrad kann die Leistung z.B. durch den Blattanstellwinkel schnell verändert werden. Ob sich das auch ökonomisch rechnet, hängt davon ab, ob Ökostromanlagen das auch dürfen. Laut der letzten Novelle des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (ELWOG) im Jahr 2012 ist für Windräder, Photovoltaikanlagen, Biogasanlagen etc. keine Regelenergielieferung möglich, nur für Wasserkraftwerke und konventionelle Kraftwerke. Ist immer mehr Ökostrom im Netz – das Ziel der Energiewende – so müssen alle Ökostromanlagen zur Netzstabilität beitragen können. Diese „Änderung der gesetzlichen Vorgaben“ meinte ich. Pumpspeicherkraftwerke allein werden dafür nicht reichen, da müssten wir ziemlich viele zusätzliche Täler fluten und mit Staumauern versehen, wie selbst Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber vorrechnet.
Hier finden Sie ein Kurzvideo (08.25 min) zum „Kombikraftwerk 2 – Stabiler Strom aus Erneuerbaren Energien“
http://www.youtube.com/watch?v=JqaeYaSAnFE