Kürzlich haben wir die Akteure der Wärmewende nominiert und auch von euch nominieren lassen. In den nächsten Monaten möchten wir wie versprochen all diese Menschen noch mehr ins Rampenlicht bringen und ihre Forderungen anhören. Solarthermalworld.org führte mit dem auch hier im Blog schon bekannten Buchautor Roger Hackstock und Nominierten ein Interview über die Auswirkungen der Stromkreiskapriolen auf dem Wärmemarkt in dem Artikel Austria: “Heat networks must enable decentralised feed-in options”. Wir bringen nun die deutsche Originalfassung des Interviews exklusiv auf Ecoquent-Positions.
Die Erneuerbaren Energien stellen die Stromversorgung auf den Kopf. Dies schreibt der ehemalige Geschäftsführer von Austria Solar Roger Hackstock in seinem im Frühjahr erschienenen Buch „Energiewende – Die Revolution hat schon begonnen“. Hackstock bezieht sich dabei auf die hohen Anteile von regenerativem Strom im Netz und den damit einhergehenden Strompreisverfall an der Strombörse. Solarthermalworld.org sprach mit dem Buchautor über die Auswirkungen dieser Stromkreiskapriolen auf den Wärmemarkt und wir dürfen dieses nun exklusiv hier auf Ecoquent-Positions veröffentlichen.
Solarthermalworld.org: Wie wirken sich die stark gesunkenen Strompreise an der Strombörse auf den Wärmemarkt aus?
Hackstock: Von allen Kraftwerken, die ihren Strom zum Verkauf an der Strombörse anbieten, bestimmen jene mit den niedrigsten Brennstoffkosten den Preis. Über Jahrzehnte hatten dabei Atom- und Braunkohlekraftwerke die Nase vorn. 2010 wurde der Handel auf Ökostrom ausgeweitet und dieser wird zum Nulltarif angeboten, da keine Brennstoffkosten anfallen. Ist viel Strom aus Wind und Sonne im Netz, werden die teureren Kraftwerke aus dem Stromhandel gedrängt. Das sind dann oft Gas-Kombikraftwerke die Strom und Wärme produzieren. Hier schließt sich die Brücke zum Wärmemarkt, wenn diese Kraftwerke größere Städte mit Fernwärme versorgen. Kann das Kombikraftwerk keinen Strom verkaufen, produziert es auch keine Wärme, damit bekommt das Fernwärmenetz ein Problem.
Solarthermalworld.org: Machen kommunale Energieversorger beim Betrieb der Gas-Kombikaftwerke inzwischen also Verluste?
Hackstock: Einige kommunale Energieversorger sind tatsächlich gezwungen, die Gas-Kombikraftwerke mit Verlust zu betreiben, wenn sie den Strom an der Börse nicht verkaufen können, die Wärme aber liefern müssen. Sie müssten sich die Mindereinnahmen eigentlich bei den Fernwärmekunden holen, das ist aber in vielen Städten ein Politikum und kaum machbar. Die Fernwärmepreise waren immer günstig, weil es sich ja eigentlich um Abwärme aus dem Stromgeschäft handelt und die Stadtregierungen dagegen sind, dass die Bürger jetzt mehr bezahlen sollen. Wir erleben diese Probleme im Moment massiv in den österreichischen Städten Wien und Graz. In Graz, der Hauptstadt der Steiermark, hat der Energieversorger Verbund im Mai 2014 bekannt gegeben, dass er die Gas- und Kohlekraftwerke in Mellach südlich der Stadt bis 2020 abschalten will, das heißt, dass in sechs Jahren fast 80 Prozent der Fernwärme fehlen.
Solarthermalworld.org: Welche alternativen Wärmeerzeuger werden dort diskutiert?
Hackstock: Alle Alternativen von Geothermie über Biomasse bis zur Solarwärme werden geprüft. Allerdings stellt sich dabei heraus, dass die zentralen Wärmenetze mit 140 °C und 15 bar, die von wenigen zentralen Stellen aus die ganze Stadt versorgen, nicht gut geeignet sind für die Einspeisung von regenerativer Wärme. Hier ist ein Kulturwandel erforderlich. Wie strukturieren wir die Fernwärmenetze von hohen Temperaturen, großen Drücken und wenigen zentralen Einspeisepunkten um zu vernetzten Wärmeinseln mit vielen Einspeisepunkten und niedrigeren Rücklauftemperaturen, in denen die Wärmespitzen mit dezentralen Speichern gedeckt werden.
Dabei geht es nicht nur um Technik, wir brauchen auch neue Tarifmodelle. In Dänemark bieten Nahwärmenetzbetreiber ihren Kunden einen deutlich günstigeren Wärmetarif, wenn sie es schaffen ihre Heizung hydraulisch so gut einzuregeln, dass die Rücklauftemperatur unter einem bestimmten Wert bleibt. Damit können erneuerbare Wärmequellen wie zum Beispiel Solarwärme viel effizienter genutzt werden und deutlich bessere Wirkungsgrade erzielen.
Solarthermalworld.org: Wie reagieren die Wärmeversorger auf diese neuen Anforderungen?
Hackstock: Im Wärmesektor herrscht Ratlosigkeit, wie es mit den Gas-Kombikraftwerken in der Stadt weiter geht. Die meisten Energieversorger verharren im gewohnten zentralen Denken, wenn ich ihnen rate die Netze für dezentrale Wärmeversorger zu öffnen, sehen sie als Zukunft nur Chaos und Anarchie. Sie können sich nicht vorstellen, dass auch ein dezentral organisiertes Netz mit vielen Einspeisern und Speichern gesicherte Temperaturen über das ganze Jahr sicherstellen kann. Im Grunde sind das dieselben Reaktionen, die wir vor 15 Jahren im Strombereich hatten, als die Netze liberalisiert wurden. Damals sagten die Stromversorger den Blackout voraus, wenn viele neue dezentrale Einspeiser die Netzsicherheit stören und es zu Notabschaltungen kommt. Aber der Blackout kam nicht, weil intelligente Regelmechanismen für das Netzmanagement entwickelt wurden und der Ausbau der Netze auf der Niederspannungsebene vorangebracht wurde. Solche Innovationen wird es auch in Wärmenetzen brauchen, wenn sie für dezentrale erneuerbare Einspeiser geöffnet werden. Der Wärmebereich ist hier gute 10 Jahre hinter dem Strombereich zurück.
Das Interview wurde geführt von Bärbel Epp.
Alle Artikel der Serie: Akteure der Wärmewende:
- Wir suchen die wichtigsten Akteure der Wärmewende – wen nominierst du?
- Timo Leukefeld: Buchtipp: Heizen mit Solarthermie
Bild: REHAU AG + Co, Roger Hackstock
Die Aussagen und Einschätzungen von Herrn Hackstock teile ich. Wärmenetze bieten als Infrastruktur große Potenziale zur kostengünstigen Integration erneuerbarer Energien in das künftige Energiesystem. Allerdings werden diese bisher kaum genutzt.
Für eine möglichst effiziente Integration von erneuerbaren Energien und industrieller Abwärme sollten die bestehenden Fernwärmenetze auf eine dezentralere Erzeugerstruktur ausgerichtet und die Systemtemperaturen abgesenkt werden. Dies könnte z.B. durch eine exergetische Neustrukturierung bestehender Netze über Sekundärnetze geschehen.
Ziel sollte es sein, die Wärmenetze in einer neuen Innovations- und Entwicklungsphase zu intelligenten offenen Wärmeplattformen zu entwickelt, die verschiedene lokale nachhaltige Wärmequellen bündeln, speichern und verteilen.
Auch die Öffnung der Netze für Dritte kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Voraussetzung für die Realisierung sind klare Regelungen zu den technischen Anforderungen an die Einspeisung oder Durchleitung von Wärme, die Herstellung der Versorgungssicherheit für Verbraucher und die Entwicklung fairer Geschäftsmodelle für die beteiligten Akteure.
Zu diesem Thema haben wir (Hamburg Institut) bereits verschiedene Expertisen incl. der notwendigen Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens erstellt. Dieses Thema ist technisch, ökonomisch und juristisch durchaus eine große Herausforderung. Aber am Ende könnten hier (zumindest für große städische Netze) die daraus resultierenden Vorteile den regulatorischen Aufwand rechtfertigen.
Vielen Dank Herr Sandrock. Wenden sich eigentlich Regierungen direkt an Sie? Ich könnte mir vorstellen, dass die österreichische Regierung auch dringendst Beratung in dieser Angelegenheit gebrauchen könnte und ich glaube oder fürchte, dass sich in Österreich auch noch niemand in der Tiefe mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wie Sie das seit Jahren tun. Kurz gesagt würde mich interessieren, ob es da schon Austausch gibt?
Hallo Frau Daniel-Gruber,
bislang gibt es da keinen Austausch. Generell traut sich wohl noch keine Regierung so recht an die Sache ran. Auch die Liberalisierung im Strom- und Gasmarkt sind ja damals nur auf starken Druck der EU und gegen den Widerstand der meisten nationalen Regierungen durchgesetzt worden. Der Fernwärmesektor ist immer noch so strukturiert, wie es Strom- und Gasversorgung früher waren. Nahezu ohne gesetzlichen Regulierungsrahmen und mit integrierten Versorgungsunternehmen, die alle Wertschöpfungsstufen von der Erzeugung bis zum Kunden abdecken. Die Branche hat kein Interesse, dies zu ändern. Und auch die Kommunen nicht, da über die kommunalen Versorgungsunternehmen ein Finanzzufluss in den Haushalt erfolgt, der verwendet wird, um defizitäre Aufgabe (wie etwa Schwimmbäder) zu finanzieren.
Hatte ich nicht erwartet ;-). Ich fürchte in dem Fall liegt es noch nichtmal am Trauen sondern an dem völlig fehlenden Bewusstsein und der Angst vor der zugegebenermaßen sehr hohen Komplexität. Wenn Sie Unterlagen haben, die wir in diesem Bereich noch veröffentlichen sollen, immer her damit. Vielleicht können wir etwas zur Komplexitätsreduktion beitragen.