Franz Bergen: "Kostenwahrheit würde Solarthermie UND Photovoltaik zu Gewinnern machen"

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Wie schon öfter hier erwähnt, sind die hier veröffentlichten Interviews reines Work-in-Progress. Sobald uns jemand hier in den Kommentaren oder in anderen Artikeln “verdächtig kompetent” vorkommt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der oder diejenige bald von uns hört. Herr Bergen ist mal wieder so ein Fall, der uns zufällig über interessante Kommentare aufgefallen ist und ich etwas mehr wissen wollte. Franz Bergen ist Inhaber des Unternehmens BFB Großhandel & Beratungsdienste für erneuerbare Energien und Vollholzbau. Auf der Seite Solar-Sanieren gibt es auch ein tolles Berechnungstool für die Solare Sanierung oder den Hausbau. Das eben entstandene Interview könnte vermutlich als Lehrstück für viele zukünftige Solarteure herhalten. 

Herr Bergen, Sie beschäftigen sich seit langem ebenfalls mit der Wirtschaftlichkeit von Solarthermieanlagen und haben in ihrem Unternehmen schon viele Erfahrungen darüber gemacht, was funktioniert und was nicht. Gibt es so etwas wie eine Pauschalaussage für wen sich eine Anlage rechnet und für wen eher nicht?

Ja, die gibt es! Wenn der Kunde die Wirtschaftlichkeit als Ziel seiner Investition hat.

Ökonomisch lohnt sich eine heizungsunterstützende Solarthermie-Anlage bei heutigen Preisen ab einem Wärmebedarf von etwa 15.000 kWh, also 1500 l Öl bzw. m³ Gas.

Ökologisch lohnt sich jede Solaranlage. Im schlechtesten Falle sind die Produktionsenergie und deren Schadstoffausstoße nach vier Jahren durch die schadstofffreie Energiebereitstellung egalisiert. Danach liefert eine Solaranlage, Solarthermie genauso wie die Photovoltaik, mindestens 30 weitere Jahre kostenlose und schadstofffreie Energie.

Soziologisch, gesellschaftlich motivierte Kunden, die den Aspekt der Eigenständigkeit und –verantwortlichkeit fokussieren, verbinden häufig nur nachgeordnet ökonomische und ökologische Motive mit einer Solaranlage. Ihnen ist der Gewinn an Unabhängigkeit von kommerziellen Lieferanten und den finanzgesteuerten Weltmärkten und Krisenherden wichtig. Zu diesen Kunden gehören z.B. auch jene, die nur 8.000 kWh Wärmebedarf haben und sich ein Sonnenhaus aus Vollholz bauen, in dem die Sonne bis zu 100% der Wärme bereitstellt. In den letzten Jahren stelle ich gerade in der letzten Kundengruppe eine deutliche Zunahme fest.

Könnten Sie anhand eines Beispielprojektes ihre Vorgehensweise erläutern?

Die Vorgehensweise ergibt sich aus der Antwort auf Ihre erste Frage. Ich verallgemeinere die Vorgehensweise lieber.

Zunächst suche ich im Gespräch mit dem Kunden seine Motive und lasse mir seine Ziele benennen. Daran orientiere ich mich im weiteren Verlauf des Ersttermins. Als nächster Schritt wird gemeinsam mit dem Kunden eine Bestandsanalyse gemacht. Dazu erfrage ich die Abrechnungen der letzten drei Jahre und lass mir mögliche besondere Nutzungssituationen aufzeigen, die Auswirkungen auf den Verbrauch hatten. Danach erfolgt die Besichtigung des Heizkellers und ggf. der Küche und der Badezimmer. Dann definiere ich mit dem Kunden sein Budget für die geplante, zum Erreichen seines Ziels erforderlich Investition. Das Budget setzt sich zusammen aus Mitteln, die er zurückgelegt hat und seinen Energiekosten, die er künftig hätte, wenn er nicht investiert. Denn künftig wird er weiterhin im Winter Wärme zur Raumheizung und ganzjährig zur Bereitstellung von Warmwasser bezahlen müssen. Über die Höhe der künftigen Kosten entscheidet er im Rahmen der Beratungsgespräche mit mir. Zur Ermittlung der künftigen Kosten benötige ich seine derzeitigen Kosten und seine Einschätzung der Preisentwicklung. Aus diesem ersten Termin nehme ich also viele Informationen mit, die ich zur Erstellung einer zielführenden Lösung benötige. Für die Vorstellung der Lösung wird zum Abschluss des ersten Termins ein weiterer Termin etwa acht Tage danach vereinbart. Die Lösung wird bis dahin im Büro erarbeitet und per Mail werden dem Kunden fünf pdf-Dateien zugesandt, damit er sich auch auf den zweiten Termin vorbereiten und Fragen formulieren kann. Im zweiten Termin werden die Unterlagen besprochen und die Entscheidung herbeigeführt, ob für die vorgestellte Lösung ein konkretes Angebot erstellt werden soll. Für ökonomisch orientierte Kunden ist die pdf mit der Gegenüberstellung der Vollkosten von Istzustand und Zielzustand am wichtigsten (siehe Grafik). Nach der Auftragserteilung erfolgt die Planung und Simulation mit Polysun durch das mit mir kooperierende Ingenieurbüro EUKON.

Kosten Solarthermieanlage 15 m2
Vollkostenvergleich einer CPC-Röhrenkollektoranlage mit 15,12 m2 Fläche Quelle: Solar-Sanieren.de

An dieser Stelle vielleicht eine Anmerkung zu Ihren und in der Heizungsbranche durchaus üblichen Berechnungen der Gestehungskosten pro kWh. Ich mag diese Form der Kundenberuhigung nicht. Ein geringer Centbetrag pro kWh suggeriert es gäbe nur marginale Unterschiede zwischen den verschiedenen Heizsystemen und berücksichtigt nicht so wichtige Faktoren wie Energiepreissteigerungen und sehr unterschiedliche Lebenszeitleistungen (Ölheizung 20 Jahre, Solarthermie 40 Jahre). In Wahrheit beträgt der Unterschied mehrere Zig-Tausend Euro.

Sie arbeiten sowohl mit Photovoltaik als auch mit Solarthermie. Wie sehen Sie diesen unnötigen Streit um Dachflächen, wo doch beide Technologien ihre Berechtigung haben? Was raten Sie Ihren Kunden wenn sie mit der Frage: Photovoltaik oder Solarthermie auf Sie zukommen?

Es gibt kein “entweder oder” bei Photovoltaik und Solarthermie. Beide Technologien haben weit vor anderen Haustechniklösungen ihre Berechtigung, da sie eine für den Kunden kostenlose, jederzeit zur Verfügung stehende Energiequelle nutzen. Da Solarthermieanlagen mit ca. 80% Wirkungsgrad den größeren ökonomischen und ökologischen Effekt gegenüber Photovoltaik (ca. 20% Wirkungsgrad) haben, rate ich überwiegend dazu erst die Thermieeffekte zu nutzen und zeitlich danach eine Photovoltaikanlage zu installieren. Dazu rät auch der kaufmännische Grundsatz den größtmöglichen Effekt mit geringst-möglichen Mitteln zu erreichen. Dabei schlage ich vor, mit der Solarthermieinstallation die problematischeren Flächen zu belegen und die besser beschienenen Flächen für die Photovoltaik übrig zu lassen, da die Photovoltaik sensibler auf Verschattungen reagiert.

Neben dem besseren Wirkungsgrad ist das entscheidende Argument für die Solarthermie der höhere Durchschnittsbedarf eines bundesdeutschen Haushaltes für Wärme (ca. 20.000 kWh) gegenüber Strom (ca. 4.500 kWh). Während z.B. Öl in den letzten 10 Jahren etwa 350% teurer geworden ist, stieg der Strompreis im gleichen Zeitraum um ca. 70%.

Sie sind auch bekennender Fan der Vakuumröhre, wenn ich ihre Aussagen richtig gedeutet habe. Wo sehen Sie die Vorteile dieser Technologie bzw. was sagen Sie Kritikern?

Die 150 Jahre alte Flachkollektortechnologie hat ihre Berechtigung, wenn man, wie in der Vergangenheit zweitweise durchaus berechtigt davon ausgeht, solare Trinkwasser-Erwärmungsanlagen seien rentabel. Heutzutage ist das nur noch sehr selten der Fall, z.B. wenn im Einfamilienhaus Elektrodurchlauferhitzer abgebaut und durch solares Warmwasser ersetzt werden. Eine Solarthermieanlage muss heute heizungsunterstützend oder noch besser als Sonnenheizung eingesetzt werden, die noch von einer zweiten Wärmequelle unterstützt wird. Wenn man die letzte Aussage anerkennt, stellt sich die Frage, wann Raumwärme benötigt wird. Dann, wenn es draußen kalt ist, im Herbst, Winter und Frühjahr. Genau in der Phase wo Wärme benötigt wird haben Flachkollektoren einen entscheidenden Nachteil. Bei Sonnenschein wandeln sie Licht in viel Wärme um, die sie großen teils jedoch sofort wieder an die Umgebung abgeben. Bei diffusem Licht stellen sie Wärme nur auf einem niedrigen, nicht nutzbaren Temperaturniveau zur Verfügung. All diese Probleme hat ein CPC-Vakuum-Röhrenkollektor nicht. Er stellt dem Speicher die komplette eingesammelte Wärme zur Verfügung, erreicht auch bei diffusem Licht relevante Temperaturen (siehe Artikel zu Kollektorkennlinien) und verkürzt die Betriebszeiten des Zweitheizsystems. Es wird im Herbst erst später zugeschaltet und im Frühjahr früher abgeschaltet. Selbst im Winter, wenn nur 10% der Globalstrahlung die Kollektoren erreichen, kann die Zweitheizung tageweise abgeschaltet bleiben.

Was braucht der europäische Solarthermiemarkt derzeit? Wie kommt man aus dem Schattendasein in eine massenfähige Technologie?

Ich war vor einigen Tagen bei der Auftaktveranstaltung der KlimaExpo.NRW in Düsseldorf. Erfreulich oft habe ich in den Reden von den großen Potentialen im Wärmemarkt gehört. Ich habe den Eindruck, auf allen politischen Ebenen, auch in der EU, gerät endlich die Wärmewende in den Focus. Damit baut sich politische Unterstützung auf.

Auf unser Interviewthema bezogen, wollen Sie jetzt bestimmt von mir hören, dass Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Qualitätskontrollen wichtig seien. Ja, sie sind sehr wichtig. Viel wichtiger wäre mir jedoch, zwei Ziele zu erreichen. Erstens sollten die wirklichen Energiekosten auf dem Markt etabliert werden. Die Kosten sollten nicht mehr aufgeteilt werden in direkte Bezugskosten und gesellschaftlich getragene Folgekosten. Daraus ergibt sich mein zweites Ziel. Sämtliche Förderungen für fossile Energien und auch die für Solarthermie und Photovoltaik sollten gestrichen werden. Denn Sonnenenergie ist dann die günstigste und verlässlichste aller Energien.

Abschließende Frage zum heißen Thema Heizen mit Photovoltaik. Sie haben dazu bestimmt ebenfalls schon Berechnungen angestellt und eine fundierte Meinung dazu?

Das Thema ist nur noch lauwarm und sollte bald erkalten. Strom ist eine zu edle Energie, um ihn für Wärmeanwendungen einzusetzen. Wenn unsere Gesellschaft schnellstmöglich zu 100% erneuerbarem Strom und erneuerbarer Wärme kommen möchte, muss jegliche Verwendung von Strom zur Wärmeerzeugung vermieden bzw. auf ein Minimum reduziert werden. Die Solarthermie stellt Wärme wesentlich effizienter zur Verfügung. Überschüssiger Photovoltaikstrom sollte dem Stromnetz zur Verfügung gestellt werden.

Derzeit ersetzen wir, BFB und das Ingenieurbüro EUKON, in einem Wohnquartier, das einer Komplettsanierung unterzogen wird, z.B. 54 Elektrodurchlauferhitzer durch Etagenfrischwasserstationen. Sie werden durch eine 240 m² CPC-Vakuumröhrenkollektoranlage in einem Nahwärmenetz versorgt. Das spart bei aktuellen Strompreisen von 0,27 €/kWh etwa 28.000 € Stromkosten und 80 Tonnen CO2 pro Jahr ein. Es gibt viele Wohnanlagen, die so unnötigen Stromeinsatz vermeiden könnten. Hinzu kommt in unserem Fall eine Finanzierungskostenersparnis durch die Solaranlage im hohen sechsstelligen Bereich, der die Kosten für die Solaranlage deckt. Es bleibt sogar noch ein sechsstelliger Geldbetrag übrig.

Sehen Sie noch Kostensenkungspotenzial bei der Solarthermie? Wenn ja, wo?

Kostensenkungspotential wird es immer geben. Es muss jedoch auch immer gegen die Risiken betrachtet werden wie z.B. Qualitätsverlust, mögliche Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, Einsatz von umweltschädlichen Produktionsprozessen etc..

Wichtig wäre es den ST-Markt zu einem Massenmarkt zu machen, damit über die Stückzahlen günstigere Preise angeboten werden können.

Die Anlagen müssten weitgehend vereinfacht und standardisiert werden, damit nicht mehr so viele Installationsfehler passieren. Vielleicht sollte zum Nutzen der Kunden auch eine verpflichtende Abnahme einer Solaranlage durch einen nicht am Bau beteiligten Fachmann (z.B. Ingenieurbüros) vorgesehen werden.

Am wichtigsten jedoch wäre die reelle Bepreisung aller Energieträger.

Vielen Dank für dieses wirklich interessante Interview. Ich versuche ebenfalls seit Jahren das Thema Kostenwahrheit mehr in den Vordergrund zu bringen. Deshalb bin ich auch so beseelt von den Gestehungskosten, weil wir zuerst einen belastbaren Vergleich zwischen fossilen und erneuerbaren Energien herstellen müssen, um auch zu zeigen, dass Solarenergie letztendlich die günstigere Energieform ist, wenn auch externe Kosten mit berücksichtigt werden.