Solarfassade vs. Solardach

Solarfassade vs. Solardach – Flächenpotential im Check

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Solaranlagen erzeugen nutzbare Solarenergie aus Sonnenstrahlen. Während Solarthermie-Kollektoren daraus Solarwärme machen, erzeugen Photovoltaik-Module Solarstrom. Die Technologien Solarthermie und Photovoltaik unterscheiden sich zwar, funktionieren aber beide nur mit Sonnenenergie. Anders ausgedrückt: Kollektoren und Module brauchen einen Platz an der Sonne. Den bieten Freiflächen, Dächer und Fassaden von Gebäuden. Letztere könnten für die Energiewende, insbesondere die Strom- und Wärmewende, eine größere Rolle spielen als bislang. Und auch für den Bodenschutz ist interessant, was Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme (ISE) gerade herausgefunden haben: Das theoretische Flächenpotential Solarfassade für ganz Deutschland ist doppelt so groß wie das der Solardächer.

Wir beziehen die Studienergebnisse, die im Fachmagazin “Transforming Cities” veröffentlicht wurden, selbstverständlich auch auf die Solarthermie und stellen sie euch hier näher vor.

Solardächer, also mit Solaranlagen bestückte Gebäudedächer hätten sich im deutschen Gebäudesektor längst etabliert, schreibt das IÖR in der zugehörigen Pressemitteilung. Vielerorts informierten demnach Solarkataster über das Potential von Dächern, um dort mit entsprechender Technik Energie aus Sonnenstrahlen zu gewinnen. Gerade stellte das Umweltministerium von Rheinland-Pfalz ein Solarkataster online. Die Kommunen schafften damit Anreize, dass sich Verbraucher für die Installation einer Solaranlage auf ihrem Dach entschieden.

Die Wissenschaftler vom IÖR und vom Fraunhofer ISE gingen jetzt der Frage auf den Grund: Wie steht es um die Fassaden der Gebäude – wie viel potentielle Fläche bieten sie zum Erzeugen erneuerbarer Solarenergie?

Flächenpotential-Check: Theoretisch gibt’s 12.000 Quadratkilometer Solarfassade

Für das Ziel der Bundesregierung, im Gebäudebestand bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, werde es nicht ausreichen, auf allen geeigneten Dächern in Deutschland Solaranlagen zu installieren. Das sagt Dr. Martin Behnisch vom IÖR. Deshalb habe das IÖR im Projekt “Standard-BIPV” in enger Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern wie dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar (IAB), dem Lehrstuhl für Geoinformatik der TU München sowie mit Praxispartnern der Solarindustrie zusätzlich die Fassaden von Gebäuden in den Blick gefasst. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Auf der Basis amtlicher Geodaten habe das Team um Martin Behnisch am IÖR untersucht, welche Flächenpotenziale für bauwerksintegrierte Photovoltaik (BIPV) die Gebäudefassaden in Deutschland böten.

Die ermittelten Zahlen seien demnach beachtlich:Das theoretische Flächenpotential lasse sich auf

  • rund 12.000 Quadratkilometer Fassadenfläche
  • und knapp 6.000 Quadratkilometer Dachfläche beziffern,

erklärt Dr. Behnisch, wobei er betont, dass es sich momentan noch um theoretische Flächenpotentiale handele.

Solarfassaden böten somit rund doppelt so viel potentielle Fläche für Photovoltaik-Module und Solarthermie-Kollektoren wie Dächer!

https://www.ioer.de/fileadmin/internet/Oeffentlichkeitsarbeit/Pressemitteilungen/grafik/2021/Modellierung-Solareinstrahlung-fuer-web-1.png

Kleinräumige Solarpotentialanalysen würden nicht nur die Gebäude und ihre Flächen berücksichtigen, sondern bezögen auch die unmittelbare Umgebung der Gebäude in die Modellierung mit ein. Die Grafik verdeutliche, welchen Einfluss der Baumbestand und der damit verbundene Schattenwurf auf die solare Einstrahlung hätten. Zur Erklärung: Blau steht für wenig, rot für viel Einstrahlung. Grafik: Behnisch et al./IÖR, Datenbasis: Geobasisdaten, Bayerische Vermessungs­verwaltung 2019

Potentialcheck: Solardach vs. Solarfassade – auf Basis bundesweiter amtlicher Geodaten

Die Ergebnisse des Flächenpotentialchecks hätten Pioniercharakter. Denn sie fußten auf Daten, die die Verhältnisse in der Realität zum Teil stark vereinfachten. Für ihre Untersuchung hätten die Forschenden ein 3D-Gebäudemodell des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG) analysiert. Es enthalte Informationen zum gesamten Gebäudebestand der Bundesrepublik. Jedes Haus sei darin als Klötzchen mit Flachdach verzeichnet. Detaillierte Dachformen und daraus resultierende Giebelwände, Fenster, Türen, Auskragungen wie Balkone und andere Installationen seien im Gebäudemodell nicht berücksichtigt. Sie seien demnach in den ermittelten Flächenpotenzialen noch nicht eingerechnet genausowenig wie Aspekte des Denkmalschutzes oder der hochwertigen Fassadengestaltung. Gebäudefassaden, die sich berührten und damit für die Installation von Solaranlagen nicht in Frage kämen, habe das Forschungsteam hingegen bereits herausgerechnet. Hinzu kämen Detailanalysen in drei Fokusgebieten,

  • den Städten München,
  • Freiburg
  • und Dresden,

sowie einer bundesweiten Stichprobe von 100.000 Gebäuden.

In enger Kooperation mit einem Team um Prof. Thomas H. Kolbe von der TU München hätten die Forschenden des IÖR für alle Dach- und Fassadenflächen die solare Einstrahlung modelliert und visualisiert, um so den möglichen solaren Energieertrag (Solarertrag) kleinräumig lokalisiert. Dafür habe das Team nicht nur auf detailliertere Gebäudemodelle mit ihren individuellen Dachformen zurückgegriffen. Auch die Umgebung der Gebäude,

  • etwa Bäume und ihr Schattenwurf
  • oder die Verschattung durch andere Gebäude
  • sowie das Gelände und umgebende Berge

seien in die Berechnungen mit einbezogen worden.

Karte theoretisches Flaechenpotenzial zu Photovoltaik in Deutschland

Wo viele Menschen wohnten, stünden auch viele Gebäude. Damit sei
auch das theoretische Flächenpo­tenzial der Häuserfassaden für die
bauwerksintegrierte Nutzung von Photovoltaik und Solarthermie besonders groß –
die Karte zeige Flächen-Hotspots in Deutschland. Grafik:
Behnisch et al./IÖR, Datenbasis: @GeoBasis-DE/BKG 2017
[Daten verändert]; ESRI 2020 Light Grey Canvas – Basemap

Anlagen an Gebäuden sind besser planbar

Das Ergebnis seien verschiedene Visualisierungen zu Flächenpotenzialen und möglichen Solarenergieerträgen in Deutschland. So lasse sich zum Beispiel die räumliche Verteilung der Flächenpotentiale in Deutschland aufzeigen. Deutlich werde: Wo viele Menschen auf relativ engem Raum lebten, sei auch das Potenzial für bauwerksintegrierte Photovoltaik-Module und Solarthermie-Kollektoren besonders hoch. Das sei zum Beispiel in den Ballungsräumen Rhein-Main, Rhein-Neckar und Rhein-Ruhr der Fall, ebenso wie in den städtischen Ballungszentren Berlin, Hamburg, Bremen, München oder dem Sachsendreieck Dresden-Leipzig-Chemnitz.

Die Modellierung der potenziellen Solarerträge am Beispiel konkreter Gebäude mache deutlich, dass sich die Installation von Solaranlagen an einer Solarfassade vor allem bei großen Gebäuden wie Produktionshallen, Bildungseinrichtungen oder öffentlichen Gebäuden lohne. Aber auch große Wohnkomplexe wie Hochhäuser böten durchaus großes Potenzial für die Installation von Solaranlagen, sagt Dr. Martin Behnisch.

Das Projektteam im IÖR sehe die gewonnenen Daten als ersten Schritt zu einer besseren Planung der Energiegewinnung an Gebäuden.

Die Daten müssten an den konkreten Standorten noch mit genaueren Analysen spezifiziert werden. Aber sie gäben doch einen Eindruck davon, welche großen Potenziale in bauwerksintegrierter Solarenergieerzeugungstechnik schlummere. Vor allem mit Blick auf die Ziele zur CO2-Einsparung seien das wichtige Ansatzpunkte, erklärt Dr. Martin Behnisch weiter. Mit Blick auf die Verkehrswende und die Herausforderungen der E-Mobilität sei es sinnvoll, mehr saubere Energie in den Städten zu gewinnen. Das ergänzen wir noch um die Wärmewende. Darüber hinaus gebe es laut Behnisch auch Vorteile für den Umweltschutz: Jede Solaranlage, die wir an einer Solarfassade installieren, helfe dabei, Natur und kostbaren Boden zu schonen, denn sie mache den Bau flächenintensiver Freiflächenanlagen überflüssig.

Fotos: Grafiken (2) Behnisch et al./IÖR, Datenbasis: Geobasisdaten, Bayerische Vermessungs­verwaltung 2019; Behnisch et al./IÖR, Datenbasis: @GeoBasis-DE/BKG 2017 [Daten verändert]; ESRI 2020 Light Grey Canvas – Basemap, Titel: DAW SE/Karim Donath/ Fraunhofer ISE