Kirche und Solarthermie Strandläufernest Sylt Paradigma

Kirche und Solarthermie: Sonnenheizung für Zeltlager auf Sylt

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Unser Projekt des Monats Mai 2020 ist die 48 Meter große Solarthermie-Anlage auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes im Jugendzeltlager “Strandläufernest” auf Sylt. Die Anlage installierte unser Handwerker des Monats Timo Carstensen. Das Zeltlager für Jugend- und Familiengruppen wird von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, kurz: Nordkirche, getragen. Im unserem tadaaa! ersten Interview zum Thema “Solarthermie und Kirche” erklärt uns die Klimaschutzmanagerin Annette Piening aus dem Klimaschutzbüro der Nordkirche, warum ihre Kirche auf Solarthermie setzt. 

Kirche und Solarthermie – warum und wie geht Ihre Kirche das Thema Klimaschutz an?

Annette Piening, Klimaschutzmanagerin der Nordkirche: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) sieht sich wie andere Landeskirchen und Bistümer in Deutschland auch dem Klimaschutz in besonderer Weise verpflichtet. In der Verfassung der Nordkirche ist als eine Zielbestimmung verankert, dass die Mitglieder der Nordkirche, also

  • die knapp 1.000 Kirchengemeinden in 13 Kirchenkreisen in den drei nördlichen Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern,
  • die kirchlichen Einrichtungen,
  • die Kirchenkreisverwaltungen,
  • die Landeskirchliche Verwaltung,

für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung eintreten. Dieses allgemeine Ziel wurde im Klimaschutzgesetz der Nordkirche von 2015 konkretisiert. Das Gesetz formuliert das Ziel bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen und reserviert einen festen Anteil der Kirchensteuerzuweisungen für Klimaschutzinvestitionen: Insgesamt umfassen die Mittel aktuell etwa 2,5 Millionen Euro jährlich.

Als Planungsgrundlage für konkrete Klimaschutzmaßnahmen dient das Klimaschutzkonzept für die Nordkirche, das auf der Grundlage umfangreicher Verbrauchserhebungen die CO2-Emissionen und Minderungspotentiale in den drei zentralen Handlungsbereichen Gebäude, Mobilität und Beschaffung abschätzt. Der Bereich Gebäude ist laut Konzept mit einem Minderungspotential von etwa 50 Prozent der wichtigste Handlungsbereich. Hier wiederum sind etwa 50 Prozent der Emissions-Minderungspotentiale dem Wechsel zu erneuerbaren Energien für die Wärmeversorgung zugerechnet.

Zur Umsetzung der Maßnahmen sind in den Kirchenkreisen und der landeskirchlichen Verwaltung (die jeweils als selbständige Körperschaften innerhalb des gesetzten Rahmens frei agieren und entscheiden können)

  • vielfach Förderfonds für Projekte in Kirchengemeinden oder Einrichtungen aufgelegt worden.
  • Außerdem wurden und werden personelle Strukturen für ein systematisches, software-gestütztes Energiecontrolling aufgebaut.
  • Fachliche Kompetenz und Beratungsangebote der kirchlichen Bauabteilungen werden aufgebaut.
  • Informations- und Bildungsangebote werden stetig erweitert und Klimaschutzbeauftragte stehen mit verschiedensten Projekten aktiven und motivierten Kirchengemeinden zur Seite.
  • Außerdem wurden auf dem Wege von kirchlichen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften klimaschutzorientierte Vorgaben verabschiedet, zum Beispiel in der novellierten Reisekostenverordnung und in einer neuen Beschaffungsverwaltungsvorschrift.

Die Auswertung der Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass die Emissionen dort deutlich rückläufig sind, wo vielfältige Maßnahmen umgesetzt werden. Insgesamt erfordert der Klimaschutz in dem stark von ehrenamtlichem Engagement geprägten kirchlichen Umfeld jedoch viel Geduld und den Aufbau von Strukturen für eine gute, kontinuierliche Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen der Nordkirche (Kirchengemeinden – Kirchenkreise – Landeskirche) im Klimaschutz.

Welches Potential schreiben Sie als Klimaschutzmanagerin der Nordkirche der Solarthermie zu?

Laut Klimaschutzkonzept wird bis 2050 ein Anstieg des Anteils der Solarthermie an der Wärmeversorgung von unter einem auf fünf Prozent erwartet (bei einer Reduzierung des absoluten Wärmebedarfs um 50 Prozent).

Der Haupteinsatzbereich für Solarthermie wird für die Brauchwassererwärmung identifiziert, nur teilweise auch für die Heizungsunterstützung. Die Nutzungsstrukturen der kirchlichen Gebäude weisen diese Nutzung lediglich in Pastoraten beziehungsweise Pfarrhäusern aus, also für Wohnzwecke ausgewiesene Gebäude, und in kirchlichen Kitas, Herbergen und Heimen (zu letzteren: die meisten werden nicht von Mitgliedern der Nordkirche betrieben, sondern durch die Diakonie).

Gemeindehäuser und Kirchen haben sehr geringe Bedarfe an Trinkwarmwasser und weisen sehr häufig verhältnismäßig geringe Nutzungszeiten auf. Dadurch ist häufig auch der Umbau der Heizsysteme zu Niedrigtemperatursystemen finanziell nicht zu rechtfertigen. Die Gebäude sind außerdem, wie auch viele Pastorate, aus denkmalrechtlichen Gründen sehr häufig nicht für die Solarenergienutzung geeignet. Und da viele Kirchhöfe einen schützenswerten alten Baumbestand aufweisen, sind potentiell geeignete Gebäude häufig stark verschattet. Das sind also jede Menge Hemmnissse, die dazu führen, dass andere Maßnahmen im Wärmebereich (insbesondere Effizienzmaßnahmen) aktuell im Fokus stehen.

Beachtung findet die Solarenergie dennoch, wenn Heizanlagen zur Erneuerung anstehen. Im Zusammenspiel mit konventionellen Heiztechniken, mit Holzpelletanlagen oder in kleinen lokalen Wärmenetzen sind durchaus Potentiale vorhanden, die auch teilweise bereits genutzt werden. Allerdings werden vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Management-Strukturen Solarthermie-Projekte immer mit einem stark erhöhten Planungsaufwand einhergehen. Daher sind derzeit eher Projekte mit Pilotcharakter zu erwarten und (noch) keine regelhafte Betrachtung der Solarthermie als mögliche Standardoption.

Kirche und Solarthermie – werden wir künftig auch auf Kirchendächern Solarwärme-Anlagen sehen?

Solarwärmeanlagen auf Kirchendächern sind schon aus denkmalrechtlichen Gründen in der Nordkirche derzeit nicht vorstellbar. Und wie oben ausgeführt, aus Gründen der Wärmenutzungsstruktur häufig auch nicht sinnvoll.

Das Interesse und die Aufmerksamkeit für Solarenergie als klimaschonende Wärmequelle wird aber – so meine Hoffnung und Erwartung – weiter steigen. Wir werden versuchen, dies durch entsprechende Informationsangebote zu unterstützen. Dabei werden auch Projekte wie das Strandläufernest auf Sylt helfen, die wir auswertend begleiten und Erfahrungen innerhalb der Nordkirche breit kommunizieren wollen.

Kirche und Solarthermie Strandläufernest Sylt
Hier sind die Kollektoren der Paradigma-Solarthermie-Anlage auf dem Dach des Hauptgebäudes des Zeltlagers “Strandläufernest” auf Sylt noch verpackt. Foto: Timo Carstensen

Was schätzen Sie an der Solarthermie-Lösung fürs Strandläufernest auf Sylt besonders?

Interessant an der Solarthermie-Lösung im Strandläufernest ist vor allem der Ansatz, die Wärmeversorgung allein auf Solarthermie zu stützen. Damit lässt sich eindrücklich demonstrieren, welchen umfassenden Beitrag Solarthermie leisten kann.

Besonders interessant wird aus meiner Sicht daher auch sein, welches Temperaturniveau im Haus in den Wintermonaten erreicht werden wird. Der Ansatz, Luftkollektoren für die Belüftung und Trocknung der Kellerräume und Lebensmittellager zu nutzen, könnte möglicherweise auch für andere Anwendungen interessant sein, insbesondere im historischen Gebäudebestand.

Wie bereits oben geschildert, wollen wir deshalb diese und andere Lösungen und zukünftige Betriebserfahrungen sowohl in Baufachkreisen der Nordkirche als auch unter Kirchengemeinden breit kommunizieren.

Vielen Dank, Annette Piening, für dieses interessante Gespräch zum Thema Kirche und Solarthermie!

Fotos (2): Timo Carstensen