Urteil vom BVerfG zum Klimaschutzgesetz

Bundesverfassungsgericht BVerfG zum Klimaschutzgesetz von 2019: “in Teilen verfassungswidrig”!

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Am 17. Mai 2018 berichteten wir euch hier auf dem Solarthermie-Blog davon, dass der Solarenergie Förderverein Deutschland e.V. (SFV) zusammen mit mehreren Einzelklägern wie Prof. Dr. Volker Quaschning eine Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung vorbereite, weil diese mit der Vernachlässigung der notwendigen Klimaschutzanstrengungen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletze. Wir meldeten im November desselben Jahres, dass die Beschwerde eingereicht worden sei. Und jetzt, knapp drei Jahre später hat das Bundesverfassungericht der Verfassungsbeschwerde recht gegeben und das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG) für in Teilen als verfassungswidrig erklärt.

Bäm!

Der Beschluss des Bundesverfassungserichts (BVerfG) mit dem Aktenzeichen “BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021
– 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1-270″, den ihr euch hier im Wortlaut online anschauen oder downloaden könnt, ist deshalb historisch bahnbrechend, weil er längst im Grundgesetz (GG) verankertes Recht bestätigt.

Ende März hatte das BVerfG sechs Verfahren entschieden. Das bekannteste davon führte eine Hamburger Kanzlei für die Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer und acht weitere junge Menschen. Die 144 Seiten lange Antragsschrift stützte sich auf “gesetzgeberisches Unterlassen”.

27 Jahre später …

Jens Ohlig (@johl) kommentierte den Beschluss des BVerfG zum Klimaschutzgesetz auf Twitter treffend wie keiner: “Stell dir vor, du schreibst 1994 nichtsahnend ins Grundgesetz: ‘Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen’ [und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. – Anmerkung der Redaktion] und nur 27 Jahre später nagelt dich das Bundesverfassungsgericht darauf fest.”

Das Urteil vom BVerfG zum Klimaschutzgesetz

Im Urteil des BVerfG zum Klimaschutzgesetz heißt es:

  • “2. § 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 3 Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 2513) in Verbindung mit Anlage 2 sind mit den Grundrechten unvereinbar, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe der Gründe genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt.
  • 3. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
  • 4. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31. Dezember 2022 die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 nach Maßgabe der Gründe zu regeln. § 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 3 Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 2513) in Verbindung mit Anlage 2 bleiben anwendbar.”

Bundesregierung wird zum schnellen Nachbessern des Gesetzes verpflichtet

Mit Punkt 4 nehmen die Richter des BVerfG die deutsche Bundesregierung in die Pflicht. Sie müsse demnach bis Ende des kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher regeln. Dies begründete das BVerfG damit, dass die derzeitigen Regelungen im Klimaschutz-Gesetz die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführer in ihren Freiheitsrechten verletzten: “Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.” Wolle man den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad begrenzen, gelänge dies dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen.

Und weiter ist im Beschluss zu lesen, dass “von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten … praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen” sei, “weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind”. Zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, “um diese hohen Lasten abzumildern”.

Den Sachverhalt hinter seinem Beschluss erklärt das BVerfG in der zugehörigen Pressemitteilung ausführlich. Unter anderem schreibt es darin, dass mit der im Klimaschutzgesetz geregelten Reduktion von CO2-Emissionen das der Temperaturschwelle von 1,5 °C entsprechende “CO2-Restbudget” nicht eingehalten werden könne. Die zum Teil in Bangladesch und Nepal lebenden Beschwerdeführenden stützten ihre Verfassungsbeschwerden demnach vor allem auf grundrechtliche Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG, auf ein Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft und ein Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum, welche sie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20a GG und aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ableiteten. Hinsichtlich der von den Beschwerdeführenden als „Vollbremsung“ bezeichneten künftigen Belastung durch Emissionsminderungspflichten für Zeiträume nach 2030 berufen sich die Beschwerdeführenden allgemein auf die Freiheitsrechte.

Die angegriffenen Regelungen würden laut BVerfG eingriffsähnliche Vorwirkung auf die durch das Grundgesetz umfassend geschützte Freiheit entfalten. Die Möglichkeiten, von dieser Freiheit in einer Weise Gebrauch zu machen, die direkt oder indirekt mit CO2-Emissionen verbunden sei, stößen an verfassungsrechtliche Grenzen, weil CO2-Emissionen nach derzeitigem Stand weitestgehend irreversibel zur Erwärmung der Erde beitrügen, der Gesetzgeber einen ad infinitum fortschreitenden Klimawandel aber von Verfassungs wegen nicht tatenlos hinnehmen dürfe. Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zuließen, begründen eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil sich mit jeder CO2-Emissionsmenge, die heute zugelassen werde, die in Einklang mit Art. 20a GG verbleibenden Emissionsmöglichkeiten verringerten; entsprechend werde CO2-relevanter Freiheitsgebrauch immer stärkeren, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein. Zwar müsste CO2-relevanter Freiheitsgebrauch, um den Klimawandel anzuhalten, ohnehin irgendwann im Wesentlichen unterbunden werden, weil sich die Erderwärmung nur stoppen lasse, wenn die anthropogene CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre nicht mehr weiter steige. Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärfe jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper werde, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte.

Die Verfassungsmäßigkeit dieser nicht bloß faktischen, sondern rechtlich vermittelten eingriffsähnlichen Vorwirkung aktueller Emissionsmengenregelungen setze zum einen voraus, dass sie mit dem objektivrechtlichen Klimaschutzgebot des Art. 20a GG vereinbar ist. Grundrechtseingriffe ließen sich verfassungsrechtlich nur rechtfertigen, wenn die zugrundeliegenden Regelungen den elementaren Grundentscheidungen und allgemeinen Verfassungsgrundsätzen des Grundgesetzes entsprächen. Das gelte angesichts der eingriffsähnlichen Vorwirkung auf grundrechtlich geschützte Freiheit auch hier. Zu den zu beachtenden Grundsätzen zähle auch Art. 20a GG. Zum anderen setze die verfassungsrechtliche Rechtfertigung voraus, dass die Emissionsmengenregelungen nicht zu unverhältnismäßigen Belastungen der künftigen Freiheit der Beschwerdeführenden führten.

Und jetzt? Jetzt kommt ein neues Klimaschutzgesetz!

Nach dem Urteil des BVerfG zum Klimaschutzgesetz kündigt die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) schon für Anfang Mai den Entwurf eines neuen Klimaschutzgesetzes an.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete nur einen Tag nach der Urteilsverkündung an, dass e rmit Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbart habe, dass das reformierte Klimaschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode kommen soll.

In Richtung des amtierenden Bundeswirtschaftsministers Peter Altmeier sagte  Svenja Schulze laut Medienberichten: “Ich habe dazu im Winter einen Vorschlag gemacht, wonach das Ausbautempo bei Wind- und Solaranlagen in den 20er Jahren im Vergleich zu den bisherigen Planungen verdoppelt würde.” Die Union habe das blockiert. “Vielleicht holt Peter Altmaier meinen Vorschlag ja jetzt doch wieder aus seinem Papierkorb”, sagte Schulze weiter. Mit der Klimaschutzpolitik ihres Kabinettskollegen geht sie hart ins Gericht: “Seine Nebelkerzenpolitik macht mich sauer, seine Klimakrokodilstränen kann er sich sparen”.

Wir sind gespannt!

Zum Weiterlesen über den Beschluss des BVerfG zum Klimaschutzgesetz

Welche Folgen hat das historische Urtiel des BVerfG zum Klimaschutzgesetz?

Signal an die Klima-Justiz

Foto: complize / photocase