Naturbewusstseinsstudie-2019_Titel

Deutsches Naturbewusstsein wächst

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Die Deutschen werden immer naturbewusster und wertschätzen die Natur mehr. Das ist das Ergebnis der Mitte August von Bundesumweltministerium (BMU) und Bundesamt für Naturschutz (BfN) veröffentlichten “Naturbewusstseinsstudie 2019”. Wir machen euch hier mit den wichtigsten Ergebnissen der repräsentativen Umfrage zum deutschen Naturbewusstsein 2019 vertraut. 

Die Naturbewusstseinsstudie 2019 ist die inzwischen sechste bundesweite Befragung zum Naturbewusstsein 2019 der deutschen Bevölkerung für Natur, Naturschutz und biologische Vielfalt. Die Umfrage beruhe laut eines gemeinsamen Infopapiers von BMU und BfN auf einer zufällig ausgewählten Stichprobe von 2.044 Personen aus der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 18 Jahren. Sie sei demnach in ihrer Aussagekraft für ganz Deutschland repräsentativ und beziehe Menschen aus allen Regionen und sozialen Lagen Deutschlands ein. Sie werde seit 2009 alle zwei Jahre veröffentlicht. Ihr findet die Naturbewusstseinsstudie 2019 hier zum kostenlosen Download in voller Länge (108 Seiten), ein Kurzpapier (15 Seiten) mit den wesentlichen Aussagen der Studie gibt’s auf dieser Internetseite.

Für die Naturbewusstseinsstudie 2019 seien die Umfrageteilnehmer zur biologischen Vielfalt, zur Mensch-Natur-Beziehung, zu Schutzgebieten, zur Energiewende, zur Agrogentechnik und  Artenkenntnis sowie zu den Chancen der Digitalisierung befragt worden.

Wir haben uns insbesondere den Abschnitt “Erneuerbare Energien – auf dem Weg zu einem Gemeinschaftsprojekt” (ab Seite 52 der Studie) mit den Umfrageergebnissen zur Energiewende als Teilaspekt vom deutschen Naturbeweusstsein 2019 genauer angeschaut.

Naturbewusstsein 2019: Mehrheit der Deutschen hält Energiewende für richtig

Laut der Umfrage habe sich das Verhältnis von Zustimmung und Ablehnung der Energiewende im Vergleich zu den Umfragen der vergangenen Jahre kaum verändert. Wie zuvor halte auch im Jahr 2019 eine deutliche Mehrheit (60 Prozent) der Deutschen die Energiewende für richtig, nur acht Prozent hielten sie für falsch. Mit 29 Prozent sei auch der Anteil derjenigen stabil, die in dieser Frage unentschieden seien:Naturbewusstsein-2019_Zustimmung_Energiewende

Interessanter Fakt zum deutschen Naturbewusstsein 2019: Vor allem unter Gutverdienern (Haushaltseinkommen ab 3.500 Euro) und in Großstädten mit einer Einwohnerzahl von über 500.000 sei die Zustimmung zur Energiewende
überdurchschnittlich ausgeprägt (65 Prozent und 68 Prozent). Außerdem sei sie umso höher ausgefallen, je höher das Bildungsniveau der Befragten war (einfache Bildung: 55 Prozent, mittlere Bildung: 61 Prozent, hohe Bildung: 65 Prozent).

Mit Blick auf lokale Proteste sei zu beachten, so ist in der Naturbewusstseinsstudie 2019 weiter zu lesen, dass die generelle Zustimmung zur Energiewende nicht ausschließe, dass Menschen sich im konkreten Fall vor Ort dennoch gegen eine Windkraftanlage oder die Trassenführung beim Netzausbau entscheiden würden. Inwieweit die generelle Einstellung zur Energiewende auf die Akzeptanz lokaler Projekte durchschlage, sei demnach von vielen weiteren Faktoren abhängig, darunter

  • wirtschaftliche Vorteile für die Region,
  • Vertrauen in die Projektplanung,
  • Vermeidung negativer Auswirkungen auf Mensch und Natur
  • sowie die Meinung anderer (soziale Norm).

Milieuspezifische Unterschiede bei der Zustimmung zur Energiewende hätten dagegen abgenommen. In den Milieus der Liberal-Intellektuellen und Adaptiv-Pragmatischen fänden sich die meisten Befürworter der Energiewende (71 Prozent und 69 Prozent „ja“-Stimmen). Am wenigsten Zuspruch käme aus den Reihen der Hedonisten (47 Prozent „ja“-Stimmen). Dabei falle auf, dass die Energiewende im Vergleich zum letzten Erhebungszeitpunkt in mehreren gehobenen Milieus an Zustimmung verloren habe. Das gelte vor allem für die Liberal-Intellektuellen (2017: 79 Prozent „ja“-Stimmen, 2019: 71 Prozent) und die Sozialökologischen (2017: 74 Prozent „ja“-Stimmen, 2019: 64 Prozent). Auf der anderen Seite gewinne die Energiewende an Zuspruch bei den Traditionellen, den Adaptiv-Pragmatischen und den Performern:

Naturbewusstsein 2019

Ein vergleichbarer Wandel bei der Zustimmung habe man zuletzt in der Naturbewusstseinsstudie 2013 feststellen können – damals allerdings in die
umgekehrte Richtung: Im Vergleich zu den 2011er-Werten habe die Energiewende vor allem bei den gehobenen sozialen Milieus „punkten können“, was zu einer stärkeren Oben-Unten-Polarisierung der Zustimmung geführt hätte. Im Jahr 2019 hätten die milieuspezifischen Diskrepanzen der Zustimmung abgenommen, was – positiv ausgelegt – den (sozialen) Gemeinschaftscharakter der Energiewende wieder stärker in den Vordergrund rücke. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des 2018 zum zweiten Mal durchgeführten sozialen Nachhaltigkeitsbarometers zur Energiewende könnten die hier vorgelegten Befunde besser eingeordnet werden. Auch dort werde eine weiterhin hohe Akzeptanz der Energiewende festgestellt, wobei jedoch die Kritik an der Umsetzung der Energiewende gegenüber 2017 deutlich zugenommen hätte. Die Haupteinwände seien dabei

  • die hohen Kosten,
  • die mangelhafte Berücksichtigung sozialer Gerechtigkeit
  • und der als mangelhaft bewertete Beitrag zum Klimaschutz.

Auch eine als ungerecht empfundene räumliche Verteilung von Energieanlagen sowie unklare energiepolitische Absprachen zwischen den Bundesländern könnten demnach zu Unverständnis und Konflikten führen.

Naturbewusstsein 2019: Was die Deutschen unter der Energiewende verstehen

Um zu erfahren, wofür genau die Energiewende eigentlich stehe, warum sie notwendig sei und was sie auszeichne, habe man den Befragten vier Aussagen vorgestellt, die auf Begründungsmuster und Besonderheiten abzielten:

Naturbewusstseinsstudie-2019_Einstellungen_Energiewende

75 Prozent der Befragten seien der Ansicht gewesen, die Energiewende sei nötig, um dem Klimawandel zu begegnen, davon hätten 46 Prozent diese Ansicht sogar „voll und ganz“ vertreten. Einen hohen Zuspruch erhalte demnach auch die Begründung, dass die Energiewende Deutschland unabhängiger vom Import fossiler Energieträger mache. 35 Prozent der Befragten hätten dieser Argumentation uneingeschränkt zugestimmt, weitere 36 Prozent stimmten dem nur „eher“. Bei der Frage, inwiefern die Energiewende ein „echtes Gemeinschaftsprojekt“ sei, falle die Zustimmung insgesamt verhaltener aus (beide Zustimmungsstufen: 59 Prozent), wobei der größte Zuspruch in der höchsten Einkommensgruppe gemessen worden sei (höchste Zustimmungsstufe: 34 Prozent, Durchschnitt: 28 Prozent). Ähnlich verhalte es sich mit der Frage, ob die Energiewende ein Unterscheidungsmerkmal Deutschlands im internationalen Vergleich darstelle: 58 Prozent der Befragten hätten hier zugestimmt, darunter 26 Prozent „voll und ganz“. Bei finanziell Gutgestellten seien es immerhin 32 Prozent, die hier ihre uneingeschränkte Zustimmung gegeben hätten.

Im Milieuvergleich falle besonders auf, dass die Energiewende mit Abstand am häufigsten im Liberalintellektuellen Milieu als notwendige Maßnahme zur Bekämpfung des Klimawandels herausgestellt werde: 65 Prozent der Milieuangehörigen hätten dem uneingeschränkt zugestimmt. Im Vergleich dazu seien es im Hedonistischen Milieu nur 37 Prozent und im Milieu der Prekären gar nur 30 Prozent gewesen.

Naturbewusstsein 2019: Wie Deutsche landschaftsverändernde Maßnahmen akzeptieren

Neben der grundsätzlichen Zustimmung oder Ablehnung der Energiewende seien die Umfargeteilnehmer auch danach gefragt worden, wie die Menschen die Auswirkungen verschiedener erneuerbarer Energieoptionen auf Landschaftsveränderungen bewerteten. Der Terminus „Landschaftsbild“ umfasse jedoch nicht nur den visuellen Eindruck, sondern auch Dimensionen wie Lärm oder Geruch.

Hochspannungsleitungen und Holzeinschlag in Wäldern sei mehrheitlich abgelehnt worden. Es zeige sich, dass die Menschen mehrheitlich Optionen mit vergleichsweise geringer „Eingriffstiefe“ in das Landschaftsbild unterstützen oder zumindest akzeptieren würden.

  • Die höchste Zustimmung hätten demnach Solaranlagen auf und an Gebäuden („das finde ich gut“ / „würde ich akzeptieren“: 93 Prozent) erfahren,
  • gefolgt von den als Erdkabel verlegten Leitungen (78 Prozent),
  • Offshore-Windanlagen (78 Prozent)
  • sowie Windanlagen an der Küste (76 Prozent).
  • Rund 70 Prozent Zustimmung erfahren hätten sowohl Windanlagen an Land als auch der Rapsanbau. Der Anbau von Mais werde noch von 65 Prozent unterstützt oder akzeptiert. Biogasanlagen und freistehende Solaranlagen auf Wiesen und Feldern befänden sich mit jeweils 61 Prozent im hinteren Mittelfeld der
    Zustimmung.
  • Hochspannungsleitungen (38 Prozent) und der Holzeinschlag in Wäldern (22 Prozent) würden weit abgeschlagen auf den letzten Rängen rangieren.

Eindeutige soziodemografische Unterschiede hätten sich nur auf der höchsten Zustimmungsstufe („das finde ich gut“) erkennen lassen: Windanlagen an der Küste habe die höchste Einkommensgruppe überdurchschnittlich häufig als für gut befunden. Raps- und Maisanbau seien vor allem in der jungen Generation auf Unterstützung gestoßen. Die Zustimmung zu Windenergieanlagen auf dem Land sei in der höchsten Einkommensgruppe überdurchschnittlich ausgeprägt, nehme  mit dem Alter ab und steige mit der Formalbildung an. Ähnlich verhalte es sich mit der Befürwortung von Solaranlagen auf Wiesen und Feldern, sie nehme mit dem Alter ab und steige mit der Formalbildung an. Neben Alter, Bildung und Einkommen habe hier auch die Ortsgröße eine Rolle gespielt. So würden Solaranlagen auf und an Gebäuden ebenso wie die als Erdkabel verlegten Leitungen am häufigsten in den Großstädten befürwortet werden („das finde ich gut“: Einwohnerzahl über 500.000: 64 Prozent und 36 Prozent, Durchschnitt: 58 Prozent und 30 Prozent). Auffällig sei auch, dass Raps- und Maisanbau sowie eine mögliche Zunahme von Solaranlagen auf Wiesen und Weiden in kleineren Städten (Einwohnerzahl 5.000 bis 20.000) und Dörfern (Einwohnerzahl unter 5.000) am wenigsten Zuspruch erfahren (Rapsanbau: 17 Prozent und 16 Prozent; Maisanbau: 14 Prozent und acht Prozent; Solaranlagen auf Wiesen und Weiden: 16 Prozent und neun Prozent) hätte.

Im Gegensatz zu der soziodemographischen Analyse zeige die Milieuanalyse größere Unterschiede bei Betrachtung beider Zustimmungsstufen („das finde ich gut“ / „würde ich akzeptieren“). Besonders interessant seien hier die Befunde zu Windkraft an Land: Die wichtigsten „Befürworter“-Milieus für Windkraft an Land seien die Expeditiven (75
Prozent), die Performer (76 Prozent) und die Adaptiv-Pragmatischen (78 Prozent). Während 70 Prozent aller Befragten eine Zunahme von Onshore-Windkraft gut fänden oder doch akzeptieren würden, täten dies nur 64 Prozent der Bürgerlichen Mitte und sogar nur 57 Prozent der Sozialökologischen. Die Zeiten, in denen ein Windrad Ausdruck einer alternativ-ökologischen Haltung war, seien offenbar endgültig vorbei. Auch diese Zahlen würden den bereits erwähnten Befund einer gewissen „Normalisierung“ der Energiewende – also ihren Wandel von einem „Herzensanliegen“ besonders ökologisch geprägter Milieus hin zu einem gesellschaftlich breiter verankerten, allerdings auch pragmatischer betrachteten und nicht unumstrittenen Gemeinschaftsvorhaben unterstreichen.

Titelfoto und Grafiken: Naturbewusstseinsstudie 2019