Effizienzhaus Plus in Berlin

Das Effizienzhaus Plus – alle Zeichen stehen auf Strom

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Heute möchte ich mich einem Energiestandard widmen, der in letzter Zeit ganz besonders gehypt wurde: Dem Effizienzhaus Plus. Wobei Standard eigentlich das falsche Wort ist, denn das Plusenergiehaus ist noch in der Erprobungsphase. Im Rahmen eines Forschungsprojektes hat das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ein eigenes Modellhaus in Berlin erstellen lassen, das seit einem guten Jahr von einer “echten” Familie getestet wird.

Die Testfamilie: Umweltbewusst und elektromobil

Kurz vor Weihnachten 2011 wurde die Familie ausgelost, wenige Monate später zog sie ein: Simone Wiechers und Jörg Welke, ihre Kinder Frejya und Lenz sowie Katze Susi. Zuvor lebten sie in einer Wohnung, von der aus Schul- und Arbeitswege mit dem Fahrrad zu bewältigen waren. Die Familie hatte aus Überzeugung kein Auto, als Testfamilie muss sie nun verstärkt Elektromobilität nutzen: Mit einem A-Klasse Mercedes und zwei Elektrofahrrädern – für trainierte Radler nicht unbedingt ein Must Have auf den Straßen Berlins.

Der Strom für Haushalt und Mobilität stammt von der Photovoltaikanlage auf Dach und Fassade und versorgt auch eine Luft-Wärmepumpe; der gesamte Wärmebedarf wird mit Strom gedeckt! Überschüsse werden in das Netz einspeist, bzw. in Batterien und Akkus.

Die umweltbewusste Familie setzt sich gern mit der komplexen Haustechnik auseinander und meistert deren Tücken mit Humor und Nervenstärke: Etwa die Reichweitenanzeige des Elektromobils, die auf längeren Fahrten schon mal gegen Null geht und den Adrenalinspiegel steigen lässt – oder die Tatsache, dass sich das Haus manuell nur mit Hilfe der Außentüren lüften lässt. Die Familie nennt das 130 qm große Haus zärtlich EH+ und teilt ihre Erfahrungen in einem Blog.

Top oder Flop?

Das Projekt wird auch wissenschaftlich begleitet und einige Messdaten sind im Internet abrufbar, so z.B. die aktuelle Leistungsabgabe sowie Verbrauch und Ertrag der letzten 24 Stunden. Am 26. Januar 2013 beispielsweise hat das EH+ über 130 kWh Strom aus dem Netz bezogen! Und es gibt auch schon eine Energiebilanz von März bis Dezember 2012. Sie war beinahe ausgeglichen; es wurde nur ein bisschen mehr Strom verbraucht, als ins Netz eingespeist werden konnte. Doch es fehlen ja noch zwei Wintermonate zum vollen Jahr, und der Gesamtenergiebedarf (inklusive Mobilität) belief sich bereits nach 10 Monaten auf fast 14.000 kWh!

Kalter Winter: Österreich hilft Deutschland mit alten Kraftwerken aus

Die Bewohner eines Plusenergiehauses sind also abhängig vom Strombezug und den (steigenden) Strompreisen, die durch die Einspeisevergütung für Solarstrom langfristig nicht mehr wettgemacht werden können. Und was ist bei einem länger andauernden Strom-Blackout? Wenn das strombasierte Plushaus Standard wird, können wir uns auf gehörige Lastspitzen im Winter gefasst machen. Bereits jetzt halten die Energieversorger auf Empfehlung der Bundesnetzagentur Reservekapazitäten vor – zu einem großen Teil aus alten Gas- und Kohlekraftwerken in Österreich.

Forschungsinitiative Zukunft Bau fördert weitere Effizienz-Plus-Häuser

Das Modellhaus in Berlin ist übrigens nicht das Einzige seiner Art: Im Rahmen der Förderinitiative Zukunft Bau werden deutschlandweit Modellprojekte privater Bauherren im Effizienzhaus Plus Standard gefördert; die Fördermittel sind momentan ausgeschöpft. Mit dem Berliner Plushaus haben sie vor allem den hohen Stromverbrauch gemeinsam, wie die folgende Grafik zeigt. Die Daten hat der Experte für energetisches Wohnen der Zukunft, Timo Leukefeld, zusammengetragen und aus den bisherigen Messwerten hochgerechet:

effizienzhaus-plus-stromverbrauch-deutschlandkarte-leukefeldEffizienzhaus Plus – Standorte und Stromverbrauchswerte ausgewählter Projekte, ohne Elektromobilität

Energieautarke Alternative

Durch die starke Abhängigkeit vom Strom führt das Plusenergie-Konzept für mich in die falsche Richtung – zumal bei vielen Häusern noch offen ist, ob die Gesamtjahresbilanz überhaupt einen Stromüberschuss aufweisen wird. Aber dafür sind Forschungsprojekte ja eigentlich da: Um wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Praxis abzugleichen und gegebenenfalls gegenzusteuern. So verstehe ich das jedenfalls.

Experten wie Timo Leukefeld plädieren schon länger für eine sinnvolle Kombination aus Solarthermie und Photovoltaik: Die Sonnenwärme direkt nutzen für Heizung und Warmwasser, zusammen mit einem Langzeitspeicher, und ergänzend dazu Photovoltaik für den Strom. Der restliche Wärmebedarf  wird mit einem umweltfreundlichen Pelletofen bereitgestellt. Das ermöglicht Unabhängigkeit von Netzen und Preiserhöhungen, stattdessen ecoquente Eigenversorgung und echte Energieautarkie!

Zum Weiterlesen und Weiterschauen:

Grafik: (c) Timo Leukefeld, Bild: (c) BMVBS, Werner Sobek