AWI Eis Grönlandeis 1,5 Grad

Grönlands Eis hat sich längst um 1,5 Grad Celsius erwärmt

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Der AWI-Glaziologe Dr. Sepp Kipfstuhl untersucht im AWI-Eislabor in Bremerhaven an einem insgesamt 120 Meter langen Bohrkern Eis aus der Antarktis (Aurora Basin Project). Dieser Kern wird im AWI-Eislabor in verschiedene Segmente geschnitten, von denen dann alle bis auf eines für gezielte Analysen genutzt werden. Die Schneidearbeiten werden im AWI-Eislabor vorgenommen, weil es zum einen eines der größten Eislabore der Welt ist, zum anderen kann nur am AWI Bremerhaven hochaufgelöste Dichteanalyse des Eises vorgenommen werden. Foto: AWI / Jan Vincent Kleine

Die globale Erwärmung erreicht die Mitte Grönlands. Beunruhigt euch diese Meldung? Was sich zunächst recht harmlos liest, ist von großer Tragweite: für unser Klimasystem, denn das grönländische Eis gilt als ein Klima-Kipppunkt. Deshalb geben wir dieser aktuellen Meldung zum Grönlandeis hier heute Raum. Denn die zugehörige, aktuelle Studie von Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), geht uns nicht nur alle an, sondern inmitten der weltweiten Ereignisse und Medienberichte darüber auch so gut wie unter. Lest hier, was es bedeutet, dass auf Grönland längst 1,5 Grad Celsius (°C) Erderwärmung stattfinden.

Darum geht’s: 3 Fakten übers Grönländische Eis

  • Der grönländische Eisschild umfasse laut dem AWI eine Fläche von rund 1,7 Millionen km2 und sei bis zu 3.000 m mächtig. Er sei damit die größte zusammenhängende Inlandeismasse der Nordhalbkugel. Fast ganz Grönland sei demnach von einer mächtigen Eisschicht bedeckt und speichere so rund zehn Prozent des weltweiten Süßwassers.
  • Würde das grönländische Eis komplett abschmelzen, würde der Meeresspiegel  um rund sieben Kubikmeter (m3) steigen.
  • Grönlands Eispanzer sei aber nicht nur ein enormer Süßwasserspeicher,
    sondern auch ein sehr detailliertes Klimaarchiv: Anhand sogenannter Eisbohrkerne ließen sich wichtige Informationen über das Klima der Vergangenheit ermitteln.

Die Rolle des grönländischen Eisschilds im Klimasystem

Mit der Erderwärmung schmilzt der grönländische Eisschild. Das AWI beschreibt, dass sich dann Seen aus Schmelzwasser auf der Eisoberfläche bildeten und das Eis immer schneller in den Ozean abfließe – wo es entscheidend zum Meeresspiegelanstieg beitrage.

Mittlerweile würden dem grönländischen Eisschild pro Jahr über 250 Milliarden
Tonnen (t) Eis verloren gehen. Diese Menge entspreche mehr als dem Fünffachen der Wassermenge des Bodensees. Zusammen mit den weltweiten Gletschern und dem Antarktischen Eisschild verursache Grönlands Eisschmelze rund die Hälfte des aktuellen Meeresspiegelanstiegs. Die andere Hälfte sei dem AWI zufolge auf die physikalische Ausdehnung des Wassers infolge der Erwärmung der Ozeane zurückzuführen.
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Doch nicht nur die Menge des abschmelzenden Wassers sei für das Klimasystem von Bedeutung, sondern auch seine Eigenschaften: Denn dieses Schmelzwasser sei Süßwasser, dem es somit an Salzanteilen fehle. Das mache das Schmelzwasser  – bei gleicher Temperatur – leichter als das salzige Ozeanwasser. Der erhöhte Eintrag des Süßwassers verändere daher die Bedingungen im Ozean und könnte in der Zukunft klimarelevante Meeresströmungen wie den Golfstrom abschwächen. Außerdem reichere sich das Schmelzwasser auf seinem Weg zum Meer mit Nährstoffen und Stickstoff an. Gletscher, die ins Meer münden, würden das Wasser ihrerseits durchmischen, sodass nährstoffreiches Wasser an die Oberfläche gelange und sich positiv auf den dortigen Fischbestand auswirke.

Studie: Grönlands Eis hat sich bereits um 1,5 °C erwärmt

Laut den Studienergebnissen, die die Forscher vom AWI in der Zeitschrift “Nature” veröffentlichten, lasse sich die Erderwärmung in Nord- und Zentralgrönland in Zeitreihen aus Eisarchiven überraschend eindeutig und prägnant sichtbar machen. Der letzte vermessene Zeitraum von 2001 bis 2011 wäre demnach der wärmste in den letzten 1.000 Jahren gewesen. Die Region habe sich im Vergleich zum 20. Jahrhundert bereits um 1,5 °C erwärmt.

Grönlandeis ist ein Klima-Kipppunkt

Der grönländische Eisschild spiele demnach eine zentrale Rolle im globalen Klimasystem, heißt es in der zugehörigen Pressemitteilung des AWI.  Wegen des riesigen Volumens (rund drei Millionen Kubikkilometer) gelte das Abschmelzen und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels als potentieller Kipppunkt.

Weitere Studienergebnisse auf einen Blick

In einem Szenario mit globalen Emissionsraten wie heute beziffern die AWI-Forscher den Beitrag Grönlands zum Anstieg des Meeresspiegels bis zum Jahr 2100 auf 50 Zentimeter (cm). Messstationen entlang der grönländischen Küsten würden demnach bereits seit Jahren eine Erwärmung aufzeichnen. Aber der Einfluss des globalen Temperaturanstiegs auf die zentralen Höhenlagen des über 3.000 Meter hohen Eisschildes wären wegen fehlender Langzeitbeobachtungen bisher unklar gewesen. Die neusten Studienergebnisse der AWI-Forscher belegten jetzt erstmals, dass die globale Erwärmung unzweifelhaft auf dem grönländischen Plateau angekommen sei.

Die ausgewertete Zeitreihe reiche mittlerweile vom Jahr 1000 bis 2011. Und die Erwärmung in der Phase zwischen 2001 bis 2011 setze sich eindeutig von natürlichen Schwankungen der letzten 1.000 Jahre ab, sagt die AWI-Glaziologin Dr. Maria Hörhold, die die Erstautorin der Studie ist. Gemeinsam mit Kollegen vom AWI sowie dem Niels-Bohr-Institut an der Universität Kopenhagen habe sie Eiskerne analysiert, die unter AWI-Federführung in Nord-und Zentralgrönland gebohrt worden seien. Die Eindeutigkeit und Prägnanz der Forschungsergebnisse hätten die Forscher demnach nicht erwartet.

Die Eiskerne, die zuerst in den 1990er-Jahren gebohrt worden seien, hätten bislang keinen eindeutigen Temperaturanstieg in Nord- und Zentralgrönland im Vergleich mit der globalen Durchschnittstemperatur ergeben., weil starke natürliche Klimaschwankungen in dieser Region gang und gäbe seien.

Mit gezielten Nachbohrungen hätten die AWI-Forscher diese Datensätze nun bis zum Winter 2011/2012 aktualisiert und somit eine Zeitreihe geschaffen, die in ihrer Länge, Kontinuität und Qualität einmalig sei. Die jetzt vorgestellte Temperaturrekonstruktion basiere auf einem einheitlichen Verfahren über den gesamten Untersuchungszeitraum: die Messungen stabiler Sauerstoffisotope aus den Eiskernen, deren Konzentration mit der vorherrschenden Temperatur variiere. Andere Temperaturrekonstruktionen müssten auf eine Vielzahl unterschiedlicher solcher Klimaarchive zurückgreifen und diese kombinieren, was zu Unsicherheiten in der Abschätzung der natürlichen Variabilität führen könne.

Neben der Temperatur habe das wissenchaftliche Team zusätzlich deren Zusammenhang mit dem Schmelzwasserabfluss des Eisschilds analysiert. Das Schmelzen habe demnach in Grönland seit den 2000er-Jahren stark zugenommen und sei heute ein wichtiger Beitrag zum globalen Meeresspiegelanstieg. „Wir waren erstaunt, wie eng die Temperatur mitten auf dem Eisschild mit dem grönlandweiten Schmelzwasserabfluss zusammenhängt, der ja an den Küsten, also den Rändern des Eisschildes, auftritt“, sagt Maria Hörhold der Presse.

Um diesen Zusammenhang zwischen der Temperatur in den Höhenlagen und dem Schmelzen am Rand des Eisschildes zu quantifizieren, hätten die Studien-Autoren zusätzlich Daten aus regionalen Klimamodellen für den Zeitraum 1871 bis 2011 und Satellitenbeobachtungen der Eismassenänderung der Missionen GRACE/GRACE-FO für die Jahre 2002 bis 2021 verwendet. Damit sei es möglich gewesen, die in den Eiskernen bestimmten Temperaturschwankungen in Schmelzraten umzusetzen und für die letzten 1.000 Jahre abzuschätzen. Das sei ein wichtiger Datensatz für die Klimaforschung: Denn je besser die Schmelzdynamik des Eisschilds verstanden werde, desto genauer würden Projektionen des Meeresspiegelanstiegs und umso zielgerichteter könnten notwendige Anpassungsmaßnamen sein.

Eine weitere spannende Erkenntnis der Studie sei, dass das Klima des grönländischen Eisschilds vom Rest der Arktis entkoppelt sei und seine ganz eigene Dynamik habe. Das zeigte der Vergleich der Temperaturrekonstruktionen mit dem arktisweiten Datensatz namens „Arctic 2k“. Dieser bilde die zirkumpolaren Regionen gut ab, gebe aber die Begebenheiten in den Höhen der eisbedeckten Insel Grönland nicht wieder. Die Rekonstruktion der AWI-Forscher stelle nun die Entwicklung der Temperatur über Grönland zuverlässig dar und die zeigt eine eigene Dynamik, sagt Prof. Thomas Laepple, AWI-Klimawissenschaftler und Mitautor der Publikation. Ihm zufolge habe man erwartet, dass die Zeitreihe relativ gut mit der Erwärmung der arktischen Region korreliere. Eine Erklärung für die Unterschiede liefere die Studie jedoch gleich mit: Der Eisschild sei mehrere Kilometer dick und mit dieser Höhe würden atmosphärische Zirkulationsmuster Grönland stärker als andere Teile der Arktis beeinflussen. Dementsprechend brauche es für die Arktis regional aufgelöste Temperaturzeitreihen, um den Klimawandel zuverlässig zu beschreiben.

Foto: AWI / Jan Vincent Kleine