Klimaschutz Klimakrise

Klimakrise bekämpfen: Mehr als 220 medizinische Fachzeitschriften weltweit fordern dringendes Handeln

Veröffentlicht von

Mehr als 220 Gesundheits- und medizinischen Fachzeitschriften haben Anfang September gemeinsam zu dringenden Maßnahmen gegen die Klimakrise aufgerufen. Der Zeitpunkt des Aufrufs ist strategisch gewählt: Denn die UN-Generalversammlung wird die Länder im September 2021 zu einem entscheidenden Zeitpunkt zusammenbringen, um gemeinsame Maßnahmen zur Bewältigung der globalen Umweltkrise zu ergreifen. Sie werden sich auf dem Biodiversitätsgipfel in Kunming (China) und der Klimakonferenz (COP26) in Glasgow (Vereinigtes Königreich) wiedersehen.

Unser aller Gesundheit werde bereits vom globalen Temperaturanstieg und von der Zerstörung der Natur geschädigt, heißt es in dem gemeinsamen Aufruf der Gesundheits- und medizinischen Fachzeitschriften. Das sei ein Umstand, auf den Mediziner seit Jahrzehnten aufmerksam machen würden. Die Wissenschaft stehe zur Klimakrise eindeutig: Ein globaler Anstieg von 1,5 Grad Celsius (°C) über den vorindustriellen Durchschnitt und der anhaltende Verlust der biologischen Vielfalt würden die Gefahr katastrophaler Gesundheitsschäden bergen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Trotz der notwendigen Beschäftigung der Welt mit Covid-19 könne man nicht warten, bis die Pandemie vorüber sei, um die Emissionen rasch zu reduzieren und die Klimakrise zu bekämpfen.

Leitartikel mit Forderungen an die Regierungen der Welt, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen

Der Leitartikel, der den Ernst der Lage widerspiegele, sei daher in Gesundheitsfachzeitschriften auf der ganzen Welt erschienen. Deren Herausgeber seien sich einig in der Erkenntnis, dass nur grundlegende und gerechte gesellschaftliche Veränderungen den derzeitigen Kurs der Welt umkehren könnten.

Die gesundheitlichen Risiken eines Temperaturanstiegs von mehr als 1,5°C seien inzwischen hinlänglich bekannt. Tatsächlich sei kein Temperaturanstieg “sicher”. In den letzten 20 Jahren sei die hitzebedingte Sterblichkeit bei Menschen über 65 Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Höhere Temperaturen hätten zu

  • vermehrter Dehydrierung und Nierenfunktionsverlust,
  • dermatologischen Malignomen,
  • tropischen Infektionen,
  • negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit,
  • Schwangerschaftskomplikationen,
  • Allergien
  • sowie kardiovaskulärer und pulmonaler Morbidität und Mortalität geführt.

Die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, darunter Kinder, ältere Menschen, ethnische Minderheiten, ärmere Bevölkerungsgruppen und Menschen mit grundlegenden Gesundheitsproblemen, seien unverhältnismäßig stark betroffen.

Die globale Erwärmung trage auch zum Rückgang des globalen Ertragspotenzials für wichtige Nutzpflanzen bei, das seit 1981 um 1,8 bis 5,6 Prozent gesunken sei; zusammen mit den Auswirkungen extremer Witterungsbedingungen und der Auslaugung der Böden behindere dies die Bemühungen zur Verringerung der Unterernährung. Gedeihende Ökosysteme seien aber für die menschliche Gesundheit unerlässlich, und die weit verbreitete Zerstörung der Natur, einschließlich der Lebensräume und Arten, untergrabe die Wasser- und Nahrungsmittelsicherheit und erhöhe die Gefahr von Pandemien.

Die Folgen der Klimakrise träfen unverhältnismäßig stark diejenigen Länder und Gemeinschaften, die am wenigsten zu dem Problem beigetragen hätten und am wenigsten in der Lage seien, die Schäden zu mindern. Doch kein Land, egal wie wohlhabend, könne sich vor diesen Auswirkungen schützen. Wenn man zulasse, dass die Folgen unverhältnismäßig stark auf die Schwächsten abgewälzt würden, führe dies zu mehr Konflikten, Ernährungsunsicherheit, Zwangsumsiedlungen und zoonotischen Krankheiten – mit schwerwiegenden Folgen für alle Länder und Gemeinschaften. Wie bei der Covid-19-Pandemie seien wir weltweit so stark wie unser schwächstes Mitglied.

Ein Anstieg über 1,5 °C erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass natürliche Systeme Kipppunkte erreichten, die die Welt in einen akut instabilen Zustand versetzen könnten. Dies würde unsere Fähigkeit, Schäden abzumildern und katastrophale, unkontrollierbare Umweltveränderungen zu verhindern, entscheidend beeinträchtigen.

Globale Ziele sind nicht genug

Erfreulicherweise setzten sich viele Regierungen, Finanzinstitute und Unternehmen Ziele, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, darunter auch Ziele für 2030. Die Kosten für erneuerbare Energien sänken rapide. Viele Länder strebten an, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Landflächen und Ozeane der Welt zu schützen.

Diese Versprechen seien aber nicht genug.

Denn Ziele seien leicht zu setzen, aber schwer zu erreichen. Sie müssten noch mit glaubwürdigen kurz- und längerfristigen Plänen zur Beschleunigung sauberer Technologien und zur Umgestaltung der Gesellschaft einhergehen. In den bisherigen Plänen zur Emissionsreduzierung würden gesundheitliche Erwägungen nicht angemessen berücksichtigt, heißt es in dem Leitartikel weiter. Die Besorgnis wachse, dass ein Temperaturanstieg von mehr als 1,5 °C von mächtigen Mitgliedern der Weltgemeinschaft als unvermeidlich oder sogar akzeptabel angesehen werde. In diesem Zusammenhang gingen den Verfassern beziehungsweise Herausgebern des Leitbriefs zufolge die derzeitigen Strategien zur Reduzierung der Emissionen auf Null bis zur Mitte des Jahrhunderts unplausibel davon aus, dass die Welt große Fähigkeiten zur Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre erwerben werde.

Diese unzureichenden Maßnahmen würden demnach bedeuten, dass der Temperaturanstieg wahrscheinlich weit über 2 °C liegen werde, was für die Gesundheit und die Stabilität der Umwelt katastrophale Folgen hätte. Kritisch anzumerken sei, dass die Zerstörung der Natur nicht gleichwertig mit dem Klimaelement der Krise sei, und jedes einzelne globale Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2020 auszugleichen, verfehlt worden sei. Es handele sich bei der derzeitigen schließlich um eine umfassende Umweltkrise.

Klimawandel ist unvermeidlich – schnelles Handeln unerlässlich

Gesundheitsexperten seien sich mit Umweltwissenschaftlern, Unternehmen und vielen anderen einig, dass dieses Ergebnis unvermeidlich sei. Es könne und müsse jetzt mehr getan werden – in Glasgow und Kunming und in den unmittelbar darauf folgenden Jahren. Deshalb schlössen sich die Gesundheits- und medizinischen Fachzeitschriften den Gesundheitsexperten auf der ganzen Welt an, die bereits Forderungen nach schnellem Handeln angesichts der Klimakrise unterstützt hätten.

Die Gerechtigkeit müsse im Mittelpunkt der globalen Reaktion auf die Klimakrise stehen. Ein fairer Beitrag zu den globalen Anstrengungen bedeute, dass die Reduktionsverpflichtungen

  • den kumulativen, historischen Beitrag jedes Landes zu den Emissionen
  • sowie seine aktuellen Emissionen
  • und seine Fähigkeit, darauf zu reagieren,

berücksichtigen müssten. Die wohlhabenderen Länder müssten ihre Emissionen schneller senken, und zwar bis 2030 über die derzeit vorgeschlagenen Reduktionen hinaus und bis 2050 auf Null. Ähnliche Ziele und Sofortmaßnahmen seien für den Verlust der biologischen Vielfalt und die Zerstörung der Natur im Allgemeinen erforderlich.

Regierungen der Welt sind jetzt gefordert – das ist zu tun:

Um diese Ziele zu erreichen,

  • müssten die Regierungen die Art und Weise, wie unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften organisiert seien und wie wir lebten, grundlegend ändern. Die derzeitige Strategie, die Märkte zu ermutigen, schmutzige gegen sauberere Technologien auszutauschen, reiche nicht aus.
  • Die Regierungen müssten eingreifen, um die Neugestaltung der Verkehrssysteme, der Städte, der Produktion und Verteilung von Lebensmitteln, der Märkte für Finanzanlagen, der Gesundheitssysteme und vieles mehr zu unterstützen. Es bedürfe einer globalen Koordinierung, um sicherzustellen, dass der Ansturm auf sauberere Technologien nicht auf Kosten von mehr Umweltzerstörung und menschlicher Ausbeutung gehe.

Viele Regierungen begegneten der Bedrohung durch die Covid-19-Pandemie mit nie dagewesenen Mitteln. Die Umweltkrise erfordere eine ähnliche Notfallreaktion. Es würden enorme Investitionen erforderlich sein, die weit über das hinausgingen, was irgendwo auf der Welt erwogen oder geleistet werde. Aber diese Investitionen würden enorme positive gesundheitliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben. Dazu gehörten

Allein die bessere Luftqualität würde gesundheitliche Vorteile mit sich bringen, die die globalen Kosten der Emissionsreduzierung bei weitem aufwiegen würden.

Diese Maßnahmen würden auch die sozialen und wirtschaftlichen Determinanten der Gesundheit verbessern, deren schlechter Zustand die Bevölkerung möglicherweise anfälliger für die Covid-19-Pandemie gemacht habe. Die Veränderungen könnten jedoch nicht durch eine Rückkehr zu einer schädlichen Sparpolitik oder durch die Beibehaltung der großen Wohlstands- und Machtunterschiede innerhalb und zwischen den Ländern erreicht werden.

Die Zusammenarbeit hänge davon ab, dass die wohlhabenden Nationen mehr tun:
Insbesondere die Länder, die die Umweltkrise in unverhältnismäßigem Maße verursacht hätten, müssen mehr tun, um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen beim Aufbau sauberer, gesünderer und widerstandsfähigerer Gesellschaften zu unterstützen.

Die einkommensstarken Länder müssten ihre noch ausstehende Verpflichtung zur Bereitstellung von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr erfüllen und darüber hinausgehen, um etwaige Defizite im Jahr 2020 auszugleichen und die Beiträge bis 2025 und darüber hinaus zu erhöhen. Die Mittel müssten zu gleichen Teilen für Abschwächung und Anpassung, einschließlich der Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme, bereitgestellt werden.

Die Finanzierung sollte über Zuschüsse und nicht über Darlehen erfolgen, um lokale Kapazitäten aufzubauen und Gemeinschaften wirklich zu stärken, und sie sollte mit dem Erlass hoher Schulden einhergehen, die die Handlungsfähigkeit so vieler Länder mit niedrigem Einkommen einschränke. Es müssten zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, um die unvermeidlichen Verluste und Schäden zu kompensieren, die durch die Folgen der Umweltkrise entstünden.

Als Gesundheitsfachleute, so schreiben die Verfasser beziehungsweise Herausgeber des Leitartikels, müssten sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Übergang zu einer nachhaltigen, gerechteren, widerstandsfähigeren und gesünderen Welt zu unterstützen.

Sie wollen nicht nur handeln, um die Schäden der Umweltkrise zu verringern, sondern auch proaktiv dazu beitragen, weitere Schäden zu verhindern und die Ursachen der Krise zu bekämpfen. Daher müssten die führenden Politiker der Welt zur Rechenschaft gezogen werden und andere über die Gesundheitsrisiken der Krise aufgeklärt werden.

Man müsse sie an den Bemühungen beteiligen, bis 2040 ökologisch nachhaltige Gesundheitssysteme zu schaffen, und dabei anerkennen, dass dies eine Änderung der klinischen Praxis erfordere. Gesundheitseinrichtungen hätten bereits mehr als 42 Milliarden Dollar an Vermögenswerten aus fossilen Brennstoffen abgezogen; andere sollten sich ihnen anschließen.

Die größte Bedrohung für die globale öffentliche Gesundheit sei das anhaltende Versagen der führenden Politiker der Welt in der Klimakrise, den globalen Temperaturanstieg unter 1,5°C zu halten und die Natur wiederherzustellen. Es müssten dringend gesellschaftsweite Veränderungen vorgenommen werden, die zu einer gerechteren und gesünderen Welt führen würden.

“Wir, die Herausgeber von Gesundheitszeitschriften, fordern die Regierungen und andere führende Persönlichkeiten zum Handeln auf und bezeichnen das Jahr 2021 als das Jahr, in dem die Welt endlich ihren Kurs ändert.”

Foto: complize/photocase