Ölpreis fällt ungebremst – und bremst Ausbau Erneuerbarer Energien

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Auf Facebook kursiert gerade ein Foto: Es zeigt Angela Merkel im Flieger. Die deutsche Bundeskanzlerin schaut aus dem Fenster auf Offshore-Windräder und denkt: „Bei dem Ölpreis können wir die auch bald mit Benzin betreiben …“

Nicht lustig? Stimmt. Denn der sich derzeit nahezu im freien Fall befindliche Ölpreis hängt dem Ausbau Erneuerbarer Energien wie ein Klotz am Bein. Wieso, weshalb, warum – Fragen, denen ich hier mal nachgehe.

Was passiert auf dem Ölmarkt gerade?

Fossiles Rohöl verliere stetig an Wert, seit Mitte 2014 seien die Ölpreise um 75 Prozent eingebrochen, schreibt der Spiegel in seiner Online-Ausgabe (kurz: SPon) unter Berufung auf Marktanalysten. Seit Jahresanfang um 25 Prozent. Das muss man sich mal vorstellen! Als Gründe für den Ölpreisverfall führt das Onlinemagazin zwei an: „ein Überangebot und eine zugleich maue Nachfrage wegen trüber Konjunkturaussichten“. Am Markt befürchte man demnach, dass die Ölpreise weiter fallen – ungebremst. Ich las bereits von Öl-Preisen unter Null

Ölpreis im ungebremsten Fall

Ein Tiefpunkt sei die Aufhebung der wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen der internationalen Weltgemeinschaft gegen den Iran gewesen, nach dem gerade das Atomabkommen mit dem Staat abgeschlossen worden sei. Iran könne jetzt sein eigenes Erdöl wieder auf dem Weltmarkt anbieten – allein auf diese Ankündigung hin rutschten die Ölpreise tiefer. Weltweit sanken die Kurse schon am Freitag. Die führende Ölsorte Brent aus der Nordsee beispielsweise fiel an den asiatischen Börsen zeitweise um mehr als zwei Prozent, heißt es bei SPon weiter. Mit 27,67 Dollar pro Ölbarrel (das sind etwa 159 Liter Öl) sei die Sorte damit so billig wie seit 2003 nicht mehr. Und Sonntag meldeten auch Börsen muslimischer Länder, die Freitag geschlossen waren, Preisstürze, zum Beispiel  für den saudischen Index Tadawul (minus sieben Prozent zu Handelsbeginn).

Billiges Öl = billiger Sprit: (K)Ein Grund zur Freude

So billiges Öl! So billiges Benzin! So billiger Diesel! Das freut mich nur insofern, als dass wir unser Auto mal eben preisgünstig(er) volltanken und einen Ausflug mit den vier Kids machen könnten. Wir lieben Ausflüge … Doch zwei Herzen schlagen in meiner Brust: Das rote des Sparfuchses (private Haushaltskasse, Einsparposten: Sprit) und das grüne des Lohas und der Energie-Bloggerin. Und als Letztere sehe ich natürlich, was so ein billiger Ölpreis ist: Nix anderes, als ein erdplanetenschwerer Klotz am Bein der Erneuerbaren. Preisargumente gegen Fossil verpuffen derzeit nämlich wie das zerstörerische Treibhausgas in der Luft. Die von uns hier zentralisierte Solarthermie-Branche kann davon ein Lied singen (Aussagen, die das belegen, liefern unsere Handwerker des Monats reichlich).

Expertenmeinungen zum Ölpreis im Sinkflug

Befürworter der Erneuerbaren müssen derzeit anders argumentieren: Ich habe deshalb mal ein bisschen quer gelesen und geschaut, was Experten an schlüssigen Argumenten so anführen.

“Je niedriger die Preise fossiler Energien sind, umso teurer sind die alternativen Energien oder Effizienzmaßnahmen”, sagte Harald Hecking vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln der Nachrichtenagentur dpa. Und weiter: “Je niedriger der Ölpreis ist, umso herausfordernder wird es, Erneuerbare in diesen Sektoren auszubauen.”

Öl sei laut Hecking „in vielen Sektoren bisher kaum oder nur unter sehr hohen Kosten zu ersetzen“. Und werde „sowohl im deutschen als auch im weltweiten Energiemix weiter sehr wichtig bleiben“. Die Rechnung der Bundesregierung, mehr Ökostrom statt Strom von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Erdöl, geht damit nicht auf. Der niedrige Ölpreis macht hier buchstäblich den Strich durch die Rechnung. Und der Preisverfall bei Benzin- und Diesel erschwere laut Hecking „zudem den von der Bundesregierung angestrebten Ausbau der Elektromobilität“.

Ölpreis im Sinkflug – mögliche Folgen und Reaktionsstrategien

Der Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker sei angesichts des Ölpreises im Sinkflug besorgt und warne laut klimaretter.info  vor bösen Preissprüngen nach oben.

Ressourcensteuer

Er fordere demnach „die Einführung einer ‚sanft ansteigenden Ressourcensteuer, um die langfristige Knappheit und die Schäden sichtbar zu machen‘“. Die erspare  der deutschen „‚ressourcenabhängigen Wirtschaft‘ die durch Preissprünge drohenden Schocks und setze Anreize für eine effizientere Nutzung der Rohstoffe“, heißt es auf klimaretter.info weiter. Denn die Umweltschäden und der Energieaufwand bei der Gewinnung und Aufbereitung der Ressourcen würden demnach stark ansteigen.

Man darf schließlich nicht vergessen, dass es sich bei Erdöl um einen endlichen Rohstoff handelt, der mit schwindender Menge aus immer unzugänglicheren Erdreichen (trocken oder von Wasser überlagert) gefördert werden muss. Weizsäcker schätzt dazu auf Klimaretter.info ein: „Das Abrutschen der Preise von mineralischen Ressourcen gibt nur den kurzfristigen Angebotsüberhang wieder, nicht die langfristige Knappheit, von den ökologischen Schäden des Bergbaus und der Nutzung ganz zu schweigen”. Und weiter: „Es geht also beim Ressourcenschutz nicht nur um die geologische Reichweite, sondern auch um ökologische Schäden vom Bergwerk bis zur Entsorgung.”

Von Weizsäcker schlage demnach vor, „die Preise für Energie- und Primärressourcen künftig jährlich ‚um einen sehr niedrigen Prozentsatz‘ anzuheben, der sich am Fortschritt bei der Ressourcenproduktivität orientiert.” Dann lohnten sich die Fortentwicklung der Effizienz und der Kreislaufführung von Rohstoffen wieder viel besser. Für Firmen, die sich zum Beispiel „von der reinen Abfallwirtschaft auf die Wertstoff-Wirtschaft umgestellt hätten, ‚wäre das eine großartige Nachricht‘.”

Neuauflage der Ökosteuer

Schon im November des vergangenen Jahres hatte Umweltexperte Klaus Töpfer eine neu aufgelegte Ökosteuer gefordert. Sie könnte die falschen Signale stoppen, „die durch den niedrigen Erdölpreis für den Klimaschutz gesetzt werden“.

Nicht nur der Rohstoff Öl ist vom Preisverfall betroffen

Wie dem Öl geht’s auch anderen Rohstoffen, zum Beispiel Kupfer, Zink, Aluminium, so dass in Wirtschaftskreisen bereits von einer „Super-Baisse“ die Rede ist. Also einem Preisverfall vieler Rohstoffe. Zugleich hat sich aber der Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe stark erhöht. Ein Ende dieser Trends ist nicht absehbar. Unternehmen in den entsprechenden Branchen kündigten bereits Stellenabbau und Drosselungen der Rohstoff-zu-Tage-Förderung an, um das Angebot an Rohstoffen zu verknappen. Die daraus auf mittlere Frist hinaus resultierenden steigenden Preise dürften die sein, die von Weizsäcker als Preissprünge erwartet.

Mein Fazit: Alles spricht dafür, dass wir uns klimawandeltechnisch dem Point of no Return nähern. Sind wir erst drüber weg, ist das Weltklima unwiderruflich zerstört. Es ist also dringend notwendig, die Energiewende mit voller Kraft voranzutreiben. Und die umfasst eben nicht nur eine Stromwende, sondern auch eine (von uns hier auf dem Blog schon wortreich geforderte) Wärmewende sowie eine Verkehrswende und – wie ich gerade erörtert habe – auch eine Rohstoffwende, die auch der wachsenden Bedeutung von Recyclingrohstoffen gerecht wird.

Auf geht’s, Wendemanöver einleiten! Ich spar‘ mir also die billige Spritladung, nehm‘ die Kids an die Hand und laufe mit ihnen zu Fuß um die Alster. Das mindert schließlich auch die hohen Folgekosten, die unser Auto Jahr für Jahr verursacht (2.100 Euro).

Und um den Kreis zu schließen: Möge Frau Merkels eingangs zitierter Satz bleiben, was er ist: ein  Quäntchen Ironie (des Energieschicksals). Insofern lassen wir den Wind besser bei seinen Mühlen und das Öl gerne in der Erde, nicht wahr, meine Lieben?

Foto: Doreen Brumme (der Offshore-Windpark vor Fehmarn)