Raumtemperatur richtiges Heizen

Ratgeber „Richtig heizen“, Teil 4: Thermische Behaglichkeit – 4 Grad zwischen Theorie und Praxis

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Dieser Teil meines Ratgebers „Richtig heizen“ dreht sich unter anderem darum, dass wir Menschen heutzutage eine andere, höhere Gradzahl im Raum als behaglich empfinden, als laut energieeffizienten Baunormen und Richtwerten vorgesehen ist. Eine Gradzahl, die auch höher ist als die, die noch unsere (Groß)Eltern vor Jahrzehnten als angenehm empfanden.

Im vorhergehenden Teil dieser Serie ging es vor allem um die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Wahrnehmung thermischer Behaglichkeit. Dabei hatte ich bereits darüber geschrieben, dass das höhere Wärmebedürfnis von Frauen offensichtlich auf Mann getrimmte effiziente Heizsysteme um deren Energieersparnis bringen könnte, wenn die Raumtemperatur der thermischen Behaglichkeit wegen nachreguliert werde.

Rebound-Effekt: Energiegewinne infolge Sanierung werden von höherem Komfort teilweise „aufgefressen“

Ein Forschungsprojekt des Zentralverbands für Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) beschäftige sich laut einem Bericht von Enbausa.de seit einiger Zeit unter anderem mit diesem Effekt, der auch Rebound-Effekt genannt werde. Es gehe beim Projekt „Heizen 2020“ demnach um das Heizverhalten und die Heizwünsche von Hausbewohnern. Enbausa schreibt, dass den Rebound-Effekt „zahlreiche Studien“ belegten, „unter anderem ein europaweit angelegter Vergleich des Fachbereichs Architektur der Uni Cambridge aus dem Jahr 2012, aber auch Ergebnisse des bis Ende 2013 laufenden EU-Forschungsprojekts Concerto“. Demzufolge wirke der Rebound-Effekt nicht nur nach einer Sanierung, „sondern schon bei den Berechnungen und Auslegung von Heizungen. Die gehen derzeit von Bedürfnissen der Nutzer aus, die nicht der Realität entsprechen.“

In dem Bericht wird Matthias Wagnitz genannt, der als Referent für Energie- und Wärmetechnik beim ZVSHK durch Auswertung gemessener realer Temperaturen und der Abfrage der Wunschtemperatur in Wohnungen im Rahmen des Forschungsprojekt „Heizen 2020“ ermittelt hätte, „dass die Wohlfühltemperatur der meisten Menschen nicht dem entspricht, was DIN-Normen ihnen derzeit zugestehen“. Die genormte Standardtemperatur läge bei 19 Grad, am wohlsten fühlen sich die Menschen aber bei 23 Grad.

Und jetzt kommt’s: Diese Temperatur holten sich die Bewohner auch, wenn sie es sich leisten könnten und die Heizanlage es hergebe. Das könne nach einer Sanierung bedeuten, dass die Hausbewohner ihr Budget für Heizkosten beibehalten und mehr heizen. Im Neubau hieße es, dass Nutzer aus den Heizanlagen mehr rausholten als diese effizient zu bieten hätten.

Ein Dilemma, meint ihr nicht auch?

Laut Enbausa.de gäbe es im Wesentlichen „zwei Bereiche, bei denen die Wohlfühltemperatur in Deutschland bei normierten Berechnungen zugrunde gelegt“ werde:

  1. bei der Auslegung der Heizungen nach der Heizlast in Sanierung und Neubau sowie
  2. beim Berechnen der wahrscheinlichen Energieverbräuche für den Energieausweis, wenn dieser als Bedarfsausweis berechnet werde.

Deshalb schlage Wagnitz vor, „bei der Auslegung der Heizung im Neubau und im voll sanierten Altbau von vorneherein eine Temperatur von 23 Grad Celsius zugrunde zu legen.

Ganz klar: Das hätte Auswirkungen auf das ganze System. Ein Beispiel: Heize man mit Wärmepumpen, müsste demzufolge bei einer Auslegung auf 20 Grad Celsius deren Vorlauftemperatur auf zirka 50 Grad Celsius erhöht werden, um die 23 Grad Celsius Heiztemperatur zu gewährleisten. Enbausa.de schreibt weiter: „Würden die 23 Grad Innentemperatur durch eine geeignete Auslegung schon bei 40 Grad Vorlauftemperatur erreicht, würde dies auch verhindern, dass die Hausbesitzer durch willkürliche Veränderungen bei den Vorlauftemperaturen die Effizienz des Systems gefährden.“

Fragt man sich, ob denn die erhöhte Normtemperatur nicht auch zu steigendem Energieverbrauch führte …

Der Experte Wagnitz sagt, da die Technik auf die höhere, gewünschte Gradzahl ausgelegt werde, werde sie in der Realität auch wie geplant betrieben, oder von sparsamen Nutzern mit weiter abgesenkten Temperaturen noch effizienter betrieben. Ändern würde sich demnach nur der berechnete Energiebedarf. Die alte Auslegung orientiere sich an einem für ein neues oder energetisch saniertes Gebäude mit nicht repräsentativem Nutzer. In der Praxis hätte er sich die gewünschte Leistung dadurch geholt, dass er die Vorlauftemperatur einfach angehoben hätte, zitiert Enbausa.de den Experten weiter. Die neue Auslegung führe demnach zu einem sinnvollen Betreiben der Technik: Die zugrunde gelegte Heizlast steige nach den von Wagnitz vorgeschlagenen Werten rechnerisch um bis zu zehn Prozent, wegen der besseren Betriebsweise sinke der tatsächliche Verbrauch sogar zwischen

  • zweieinhalb Prozent bei einer Brennwertheizung mit Gas
  • und zehn Prozent bei einer Wärmepumpe

bezogen auf die Ausgangs-Vorlauftemperatur von 50°C, wenn der Nutzer mit dem alten Wert von 20 Grad Raumtemperatur zufrieden sei. Der errechnete Bedarf im Neubau (theoretische Verbrauch) steige gebäudeabhängig um etwa vierzig Prozent, während er im Altbau um zirka achtzehn Prozent sinke. Laut Wagnitz deckten diese Werte die Realität im Feld deutlich besser ab.

Die Debatte um den Rebound-Effekt mache laut Enbausa-Bericht auch vor den Normierungsgremien nicht Halt. Es gebe eine Entscheidung der Gremien für die DIN 18599, dass man sich um das Thema der zugrunde gelegten Normtemperaturen neu kümmere, wird Wagnitz zitiert. Auch europäische Normen zur Heizlastberechnungen würden demnach derzeit überarbeitet.

Thermische Behaglichkeit: Gradzahl ist seit 1970 um vier Grad Celsius gestiegen

Ich möchte Euch in diesem Kontext noch von einer weiteren Studie mit dem Titel „United Kingdom housing energy fact file“ berichten: Sie stammt von den Autoren Jason Palmer und Ian Cooper und wurde vom britischen Department of Energy & Climate Change im Dezember 2013 herausgegeben.

Zum Hintergrund der Studie: Wohnen (Housing) verbrauche in Großbritannien mit 502 Terrawattstunden ein Viertel der Energie (Total: 1.724 Terrawattstunden) und damit mehr als die Bereiche Straßentransport (459 Terrawattstunden) und Industrie (293 Terrawattstunden). Ein Großteil der britischen Wohngebäude stamme aus Zeiten, in denen man den Energieverbrauch noch nicht mit dem Klimawandel verband. Zudem verstand man in den Baujahren unter thermischer Behaglichkeit etwas anderes als heute.

So wohnten die meisten Familien 1970 winters in ihren Wohnungen bei um die 12 Grad Celsius, aus heutigem Temperaturempfinden eine unbehagliche Wohnkälte. Die Fenster seien von innen womöglich vereist gewesen – und man nahm es hin, dass man im Winter auch drinnen dicke Sachen trug. Nur wenige Wohnungen hätten zentrale Heizsysteme, die meisten Familien heizten mit Kohle. Heute sei das ganz anders: Die meisten Haushalte hätten demnach Zentralheizungen, beheizt mit Gas – aber auch Geräte wie Kühl- und Eisschränke, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Trockner, Computer und Spielekonsolen.

Die britische Studie zeigt viele spannende Fakten auf, die ich teilweise demnächst hier auf dem Blog noch einmal aufgreifen werde, zum Beispiel zum Thema Regulation der Raumtemperatur. Für den vorliegenden Beitrag ist das Ergebnis der Studie wichtig, dass die Menschen sich offensichtlich an eine höhere Raumtemperatur gewöhnt hätten.

Als mögliche Gründe für das stärkere Heizen nennt die Studie

  • die zunehmend sitzende Lebensweise,
  • dass man schneller friere
  • und dass die Menschen es nicht mehr akzeptieren würden, im Winter zu Hause dicke Kleidung zu tragen.

In den 1970er-Jahren wohnten die Briten demnach durchschnittlich bei vier Grad Celsius weniger in ihren Wohnungen: bei durchschnittlich 13,7 Grad Celsius in einem typischen britischen Haushalt. Heute hingegen seien es 17,7 Grad Celsius.

Das sagt so einiges zur empfundenen Wohnbehaglichkeit aus, das sich sicherlich nicht nur auf die britische Insel beschränkt, sondern auch auf Deutschland beziehen lässt.

Weitere Artikel aus der Reihe “Richtig heizen”:

  • Teil 1: Raumtemperatur und ihre Wirkung auf Herz, Gewicht und Harndrang
  • Teil 2: Thermische Behaglichkeit: Thermische Behaglichkeit: Bei wie viel Grad ist uns behaglich?
  • Teil 3: Thermische Behaglichkeit: Warum Frauen eher frieren als Männer

Foto: blümchen36 / photocase