Abweichungen zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch

Warum gibt es immer wieder Abweichungen zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch?

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Dieser Frage geht das Umweltbundesamt (UBA) in einem sogenannten Ad-hoc-Papier ausführlich nach. Das Kurzgutachten “Realitätsnahe Berechnung des Energiebedarfs” erklärt, wie es zu Abweichungen zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch, also zwischen dem normativ rechnerisch ermittelten Energiebedarf (gemäß DIN V 18599 bzw. DIN V 4701-10/DIN V 4108-6 und GEG) und dem tatsächlich messbaren Energieverbrauch, kommt. Dazu betont das UBA, dass die möglichst realitätsnahe Berechnung vom Energiebedarf von zentraler Bedeutung sei. Denn sie stelle die Grundvoraussetzung für die Ermittlung der Einsparungen von Sanierungsmaßnahmen dar und sei somit grundlegend für die Planung der Energiewende im Gebäudebestand. 

Worum geht’s im UBA-Kurzgutachten “Realitätsnahe Berechnung des Energiebedarfs?

Das UBA schreibt zu seinem 21-seitigen Kurzgutachten, dass es die Ursachen für Abweichungen zwischen dem

  • normativ rechnerisch ermittelten Energiebedarf
  • und dem tatsächlich messbaren Energieverbrauch eines Gebäudes

analysiere. Es beschreibe dabei die Ursachen und Treiber dieser Abweichungen und werte die verfügbare Literatur aus. Indikative Berechungen würden die Größenordnung dieser Abweichungen quantifizieren. Schließlich bekämt ihr noch Empfehlungen für realitätsnähere Standard-Randbedingungen für die energetische Bilanzierung von Gebäuden an die Hand.

Dazu führen die Verfasser des UBA-Kurzgutachtens Berechnungen durch, die die, in der
Literaturanalyse identifizierten, wesentlichsten Parameter für Prebound- und Reboundeffekte variieren. Anschließend vergleiche man die normativen Standardwerte mit den Ergebnissen potentiell geeigneterer Standardwerte am Beispiel eines teilsanierten und eines sanierten Einfamilienhauses. Außerdem zeige man Bandbreiten auf, die sich aus Extremwerten der einzelnen Parameter ergäben (MIN, MAX), um aufzuzeigen, wie hoch im Extremfall Abweichungen zwischen Energievedarf und Energieverbrauch ausfallen könnten.

Schließlich würden aus den Erkenntnissen Schlussfolgerungen für das bestehende
Anforderungssystem abgeleitet. Dabei bekämt ihr insbesondere Hinweise auf systematische Abweichungen der Standard-Randbedingungen gemäß DIN V 18599, heißt es in der Zusammenfassung zum UBA-Kurzgutachten.

Wo findet ihr das UBA-Kurzgutachten?

Ihr könnt euch das Kurzgutachten als PDF-Datei hier kostenlos aus dem Internet herunterladen.

Warum kommt es zu Abweichungen zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch?

In seinem Kurgutachten schreibt das UBA, dass die Berechnungen gemäß Gebäudeenergiegesetz (GEG) auf Standard-Randbedingungen basieren würden. Die gemäß GEG-Vorgaben berechneten Energiebedarfskennwerte einzelner
Gebäude würden häufig deutlich von ihrem tatsächlichen Energieverbrauch abweichen.

Als Ursachen für ein Überschätzen der Einsparwirkung von Sanierungen nennt das UBA diese:

  1. Die Bauausführung der Sanierungsmaßnahmen entspreche nicht der geplanten Qualität (Komponenten mit anderen Eigenschaften, abweichende Ausführung von
    wärmebrückenrelevanten Details usw.).
  2. Die Berechnungsannahmen zur Betriebsweise der Gebäudetechnik
    entspreche nicht der Realität (beispielsweise nicht optimale Betriebseinstellung der Anlagen).
  3. Weitere Randbedingungen der Energiebedarfsberechnungen würden nicht der
    statistisch erwartbaren Realität entsprechen, zum Beispiel:
  • grundsätzliche Abweichungen beim Nutzungsverhalten: abweichende
    Raumtemperaturen, Anteil unbeheizter Flächen, Luftwechsel bei Fensterlüftung; das
    Referenzklima
  • im Zusammenhang mit einer Sanierung auftretende Abweichungen beim
    Nutzungsverhalten (Prebound- und Reboundeffekte)
  • Abweichungen weiterer energiebedarfsrelevanter Größen, darunter Leitungslängen oder Bauteilkennwerte

Sowohl die Ex-ante- als auch die Ex-post-Berechnung der Einsparungen von energetischen Sanierungsmaßnahmen seien laut UBA grundlegend fürs Steuern der Energiewende im Gebäudebereich, vor allem bezüglich realistisch erreichbarer Treibhausgas(THG)-Minderungsziele.

Problematisch sei demnach vor allem das Überschätzen der Einsparwirkung von Sanierungen. In diesem Fall würde sich nicht nur die THG-Minderung, sondern auch die
Wirtschaftlichkeit gegenüber der vorher angestellten (unrealistischen) Berechnung, was sich in der Praxis mit längeren Amortisationszeiten von Sanierungsmaßnahmen bis hin zu deren Unwirtschaftlichkeit äußern würde.

Realitätsnähere Berechnungen trügen somit entscheidend dazu bei,

  • wirksame Maßnahmen auszuwählen,
  • keine unrealistischen Erwartungen zu wecken,
  • “Sanierungsfrust“ zu vermeiden
  • und somit die Akzeptanz für die Energiewende im Gebäudebereich zu steigern.

Was ist der Preboundeffekt, was ist der Reboundeffekt?

Dem UBA-Kurzgutachten zufolge beziehe sich der Preboundeffekt (P) ausschließlich auf den Zustand vor der Sanierung. Er bewerte die Differenz zwischen dem Energiebedarf vor der Sanierung (B1) und dem Energieverbrauch vor der Sanierung (V1) über folgende Formel:

P = (B1-V1) / B1 * 100 Prozent.

Der Reboundeffekt (R) beziehe sich ausschließlich auf den Zustand nach der Sanierung. Er bewerte die Differenz zwischen dem Energiebedarf nach der Sanierung (B2) und dem Energieverbrauch nach der Sanierung (V2) über folgende Formel:

R = (B2-V2) / B2 * 100 Prozent.

Somit beschreibe der Rebound-Effekt (…) die Differenz zwischen der theoretisch zu erwartenden Einsparung infolge einer Effizienzmaßnahme und der tatsächlichen erreichten Einsparung.

Wie groß sind die Abweichungen zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch?

Laut dem UBA-Kurzgutachten würden mehrere Studien erhebliche systematische Abweichungen zwischen dem realen Energieverbrauch und dem berechneten Energiebedarf von Gebäuden belegen.

  • Spannend dabei sei, dass die Bedarfsüberschätzung mit abnehmendem Wärmeschutz steige.
  • Im Gegensatz dazu werde der Bedarf bei hocheffizienten Gebäuden häufig eher unterschätzt.

Das führe dazu, dass die auf Basis der Standard-Rechenverfahren ermittelten Einsparungen von Sanierungen erheblich überschätzt würden.

Der individuelle Energiebedarf von Gebäuden sei demnach sehr stark von den Randbedingungen und dem Nutzungsverhalten abhängig. Bei den indikativen Berechnungen im Kurzgutachten habe man für die dort berücksichtigten Variationen der Randbedingungen eine Bandbreite des Energiebedarfs von 25 Prozent bis ca. 200 Prozent im Vergleich zu den normativ nach DIN V 18599 ermittelten Standard-Bedarfswerten ermittelt.

Auch der aktuell auf EU-Ebene diskutierte Vorschlag für die neue Europäische Gebäuderichtlinie (EPBD) sehe demnach vor, dass die „Mitgliedstaaten sicher stellen sollen, dass der typische Energieverbrauch repräsentativ für die tatsächlichen Betriebsbedingungen für jede relevante Typologie ist und das typische Nutzerverhalten widerspiegelt.“ Unter bestimmten Voraussetzungen, unte randerem zur Identifikation des Handlungsbedarfs bei den sogenannten worst performing buildings, erscheine es sogar sinnvoll, gegebenenfalls den messbaren Verbrauch als Kenngröße
heranzuziehen. Dies böte laut dem UBA auch die Möglichkeit, in der Regel kostenneutrale, aber wirksame Suffizienzmaßnahmen wie die Reduzierung der Raumsolltemperatur um 1 ° C durch die Nutzer geeignet zu honorieren.
Da letztendlich die tatsächlichen und nicht die errechneten CO2-Emissionen entscheidend für den Klimaschutz seien, sollte die Berechnung so realitätsnah wie möglich gestaltet und schnellstmöglich angepasst werden.

Das UBS rate daher  dringend dazu, die Standard-Berechnungen entsprechend anzupassen.

Standard-Berechnungen anpassen: 8 Empfehlungen

Gehe man davon aus, dass die gültigen Rechenverfahren grundsätzlich richtig seien, würden die Randbedingungen als mögliche Fehlerquelle sein.

Das UBA empfiehlt daher die Standardwerte der DIN V 18599 und des GEG anzupassen:

1. Standard-Raumtemperatur: Die Standard-Raumsolltemperaturen in der DIN V 18599-10 für den Heizfall (derzeit 20 Grad Celisus (° C) für Wohngebäude) sollten auf ein realistischeres Niveau angepasst werden – und zwar abhängig vom Wärmeschutzniveau des Gebäudes. Als Orientierungswert könnte 22 ° C dienen. Nicht zuletzt auch wegen der hohen Heizkosten bestünde allerdings vor allem bei ineffizienteren Gebäuden ein größerer Anreiz, erheblich niedrigere Raumtemperaturen einzustellen.

Anpassungsvorschlag: Variable Standard-Raumsolltemperatur als lineare Funktion des
Wärmeschutzes. Wertebereich von 18 ° C (bei sehr geringem Wärmeschutz) bis 22  °C (hoher Wärmeschutz).

2. Teilbeheizungsfaktor: Ein weiterer wesentlicher Faktor für den Energiebedarf eines Wohngebäudes sei laut dem UBA-Kurzgutachte die mitbeheizte Fläche. Analog den zuvor beschriebenen Überlegungen zur Raumtemperatur sollte auch der
teilbeheizte Bereich in Abhängigkeit vom Wärmeschutz des betrachteten Gebäudes gewählt werden.

Anpassungsvorschlag: Variable Teilbeheizungsanteile als lineare Funktion des
Wärmeschutzes. Wertebereich von 15 Prozent bei EFH beziehungsweise 10 Prozent bei MFH (hoher Wärmeschutz) bis 40 Prozent bei EFH beziehungsweise 30 Prozent bei MFH (bei sehr geringem Wärmeschutz).

3. Energetisch wirksamer Luftwechsel: Der aktuell in der DIN V 18599 berücksichtigte energetisch wirksame Luftwechsel für Fensterlüftung sei nicht mit qualifizierten Untersuchungen abgesichert und entspreche nicht der mittleren Lüftungspraxis.

Anpassungsvorschlag: Reduktion des Luftwechsels bei ausschließlich über Fenster
belüfteten Gebäuden/Zonen auf 0,24 1/h.

4. Standortspezifische Klimadaten: Das Klima habe nicht nur Einfluss auf den Nutzenergiebedarf, sondern vor allem auch auf die Effizienz von Luftwärmepumpen und die Erträge von Solaranlagen. Insbesondere für die Entwicklung klimagerechter Gebäudekonzepte sei es daher wichtig, die aktuellen lokalen Klimadaten zu berücksichtigen.

Anpassungsvorschlag: Anstelle des deutschlandweit einheitlichen Klimastandorts Potsdam sollten die aktuellen Referenzklimadaten des Gebäudestandorts verwendet werden und in die Berechnungen zum Nutzenergiebedarf, der Jahresarbeitszahl der Luft-Wärmepumpe und der Erträge von Solaranlagen einfließen. Die entsprechenden Datensätze des Deutschen Wetterdienstes (DWD) lägen vor und seien in den meisten Berechnungsprogramme bereits implementiert.

5. Verschattung: Als Standardwert für Verschattung sei gemäß GEG § 25 (2) „…für das zu errichtende Gebäude und das Referenzgebäude ein Verschattungsfaktor von 0,9 zugrunde zu legen, soweit die baulichen Bedingungen nicht detailliert berücksichtigt werden.“ Diese Formulierung sei dem UBA-Kurzgutachten zufolge zumindest unklar und führe sicherlich dazu, dass in den meisten Fällen der Wert für eine geringe Verschattung von 0,9 angesetzt werde. Diese entspreche überwiegend jedoch nicht der
Realität und führe zu hohen solaren Gewinnen und damit zu einer Unterschätzung des
Heizwärmbedarfs, die bei sehr effizienten Gebäuden erheblich sein könne.

Anpassungsvorschlag: Für die Verschattung sollten realistische Mittelwerte als Standardwert vorgegeben werden. Darüber hinaus gebe es weitere Standardwerte, die zwar bei der Berechnung individuell angepasst werden sollten, jedoch mutmaßlich häufig nicht angepasst würden.

6. Leitungslängen bei Wohngebäuden: Die Standard-Leitungslängen des Referenzgebäudes nach DIN V 4701-10: 2003-08 (gemäß GEG, Anlage 1) erscheinen den Gutachtern des UBA zu hoch.

Anpassungsvorschlag: Hierzu könnten im Referenzgebäude realitätsnähere Werte
vorgegeben werden, um bauliche Optimierungen und kompaktere Gebäudetechnik anzureizen und einen mutmaßlich häufigen Fehler bei den Energieberechnungen zu beseitigen.

7. Bauausführung und Betriebsweise: Bei den Berechnungen gehe man immer von einer optimalen Bauausführung und Betriebsweise aus. Das sei jedoch nicht realistisch. Nicht optimierte Betriebseinstellungen führten insbesondere bei sensiblen Systemen wie Luft-Wasser-Wärmepumpen zu erheblichen Effizienzeinbußen.

Anpassungsvorschlag für Neubauten: Einführung eines Bonus/Malus im Falle einer
durchgeführten/ nicht durchgeführten Qualitätssicherung und Betriebsoptimierung.

8. Warmwasser-Zirkulationssystem beim Referenz-Einfamilienhaus: Bei einer guten Planung sei es einfach möglich, zumutbar und gängige Praxis bei
Einfamilienhäusern auf ein Warmwasser-Zirkulationssystem zu verzichten. Aktuell werde jedoch ein Warmwasser-Zirkulationssystem im GEG-Referenzgebäude berücksichtigt. Das erhöhe den  Energiebedarf des Referenzgebäudes künstlich, was insbesondere bei zukünftig strengeren Vorgaben an das Anforderungsniveau dazu führe, dass die Planer an anderer Stelle Effizienzmaßnahmen einsparen könnten.

Anpassungsvorschlag: Ergänzung in GEG Anhang 1, zu Punkt 7: „…Verteilsystem in
Einfamilienhäusern ohne Zirkulation“.

Grafik: Doreen Brumme