Gebäudesektor Energiewende

Energiewende in Deutschland 2022 (2): Gebäudesektor hinkt hinterher

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Wie am Montag angekündigt, schauen wir in diesem zweiten Beitrag zum Stand der Energiewende in Deutschland darauf, wie sich der Gebäudesektor diesbezüglich im Jahr 2022 machte. Datengrundlage ist nach wie vor die aktuelle Studie “Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2022” vom Thinktank Agora Energiewende.

Die Energiewende in Deutschlands Gebäuden

Der Thinktank-Studie zufolge würden von den rund 21,4 Millionen öffentlich erfassten
Gebäuden in Deutschland

  • etwa 19,4 Millionen Wohngebäude,
  • und 2 Millionen nicht beheizte Nichtwohngebäude

sein. Bei diesen Angaben beruft sich die Studie auf Daten der Deutschen Energieagentur dena. Bei den Wohngebäuden handele es sich demnach zu 83 Prozent um Ein- und Zweifamilienhäuser, die zwar rund 60 Prozent der Wohnfläche beanspruchen, aber nur 45 Prozent der Wohneinheiten stellen würden.

Über die letzten Jahrzehnte sei die Zahl an Wohneinheiten trotz gleichbleibender Bevölkerungszahlen stetig gestiegen und habe mit 43,1 Millionen Wohneinheiten 2021 einen neuen Höchststand erreicht (Datenquelle laut Agora: Statistisches Bundesamt Destatis 2022). In den letzten Jahren sei demnach jährlich rund eine Viertelmillion neue Wohneinheiten hinzugekommen, davon die Mehrheit in Mehrfamilienhäusern. Parallel dazu sei die bewohnte Wohnfläche pro Person stetig angewachsen: Während eine Person im Jahr 1990 noch auf durchschnittlich 35 Quadratmetern Wohnfläche
gewohnt hätte, wären es 2021 schon knapp 48 Quadratmeter pro Person gewesen.

Heizenergiebedarf weiterhin hoch

In privaten Haushalten entfalle der weit überwiegende Teil der eingesetzten Energie auf Raumwärme (68 Prozent) und Warmwasser (16 Prozent). Maßgeblich beeinflusst werde der Raumwärmebedarf von gebäudespezifischen Faktoren, wie dem energetischen Zustand oder der Wohnfläche, der Außentemperatur, sowie dem individuellen
Heiz- und Lüftungsverhalten.

Der Endenergieverbrauch des Gebäudebestands habe sich zwischen 2002 und 2010 um rund 20 Prozent reduziert, stagniere seitdem aber nahezu unverändert auf hohem Niveau. Der flächenbezogene Heizenergieverbrauch sei zwischen 2015 und 2018 sogar gestiegen. 2021 habe der durchschnittliche Heizenergieverbrauch immer noch rund 130 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter beheizter Wohnfläche betragen.

Im Jahr 2021 wäre der Studie zufolge die Bereitstellung von Raumwärme und
Warmwasser verantwortlich für einen Gasverbrauch von 362 Terawattstunden (TWh) und damit fast 60 Prozent des gesamten deutschen Erdgas-Endenergieverbrauchs gewesen. Die fossile Energiekrise habe im Herbst und Winter 2022 dazu geführt, dass der Gasverbrauch der Haushalts- und Gewerbekunden deutlich – im Durchschnitt um etwa 15 Prozent – hinter den Durchschnittsverbräuchen der Vorjahre zurückgeblieben sei. Zu diesen Einsparungen habe auch das warme Wetter im Herbst beigetragen. Der
Einspareffekt aufgrund von Verhaltensänderungen werde auf 8 Prozent geschätzt.

Deutschen heizten auch 2022 ihre Wohnungen vor allem fossil

Der Wohnungsbestand in Deutschland sei im Jahr 2022 noch zu 73 Prozent mit fossilen Energieträgern beheizt (exklusive Fernwärme) worden.

  • Fossiles Heizgas dominiere im Heizungskeller seit Jahren; der Erdgas-Anteil habe hier seit 1995 stetig zugenommen und im Jahr 2021 knapp 50 Prozent betragen. Im Jahr 2022 sei der Erdgas-Anteil zum ersten Mal leicht gesunken und liege nun bei schätzungsweise 49,3 Prozent.
  • Der Anteil von Heizöl sei ebenfalls gesunken, allerdings seien auch 2022 noch
    knapp 25 Prozent der Wohnungen mit Heizöl beheizt worden.
  • Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Heizungsstruktur des Wohnungsbestandes steige nur äußerst langsam an. So seien 2022 etwa 3 Prozent der Wohneinheiten mit Wärmepumpen versorgt worden. Die Zahl an Wohneinheiten, die an ein Wärmenetz angeschlossen sei, nehme ebenfalls langsam zu. Allerdings würden die Wärmenetze zum größten Teil noch mit fossilen Brennstoffen versorgt. Der Neubau erreiche dagegen einen erheblich höheren Anteil an erneuerbaren Wärmeerzeugern. 2021 seien in über 50 Prozent der neu fertiggestellten Gebäude Wärmepumpen eingesetztworden (Umweltwärme und Geothermie). Allerdings würden auch in neuen Gebäuden noch knapp 35 Prozent Gasheizungen eingebaut. Die Statistik der erteilten Baugenehmigungen zeige, dass sich der Trend im Jahr 2022 teilweise fortgesetzt habe. Mehr als die Hälfte der Wohnungen, die Baugenehmigungen im Zeitraum Januar bis September erhalten hätten , sollen mit Wärmepumpen ausgestattet werden. Außerdem sollen 23 Prozent der beantragten Wohnungsneubauten an ein Wärmenetz angeschlossen werden. Der Anteil an beantragen Erdgas- und Biomethanheizungen sei leicht rückläufig und habe rund 18 Prozent zwischen Januar und September 2022 betragen.

Trotz Wärmepumpe-Run: Gaskessel prägten 2022 den Absatzmarkt für neue Heizungen

Der Absatzmarkt für Wärmeerzeuger sowohl im Bestand als auch im Neubau bleibe  weiterhin hinter der für die Erreichung der Klimaziele dringend erforderlichen Dynamik zurück. Von rund 920.000 neuen Heizungen, die 2021 verkauft worden waren, wären
rund 700.000 Öl- und Gaskessel gewesen. Und auch im Jahr 2022 seien schätzungsweise noch über 600.000 Gas- sowie 50.000 Ölkessel abgesetzt worden. Obwohl dies immerhin einen Absatzrückgang von etwa 8 Prozent für Gaskessel darstelle, nähmen diese mit über 60 Prozent der verkauften Wärmeerzeuger immer noch den größten Posten ein.

Der Absatz an Ölkesseln habe gegenüber dem Vorjahr sogar wieder leicht zugenommen. Bei üblichen Lebensdauern von 20 bis 30 Jahren wären viele dieser Kessel somit auch 2045 noch in Betrieb – was laut der Studie im Widerspruch zu den Klimazielen Deutschlands stehe. Aber auch der Aufwuchs an holzbasierten Systemen, vor allem an Pelletkesseln, stelle demnach eine Herausforderung dar. So seien im Jahr
2022 etwa 90.000 Biomasse-Kessel verkauft worden, rund 18 Prozent mehr als im Vorjahr, obwohl der Ausbau holzbasierter Heizungen nicht zu einer nachhaltigen
Dekarbonisierung des Gebäudesektors führe.

Die Schlüsseltechnologie Wärmepumpe habe im Jahr 2022 mit knapp 23 Prozent der verkauften Wärmeerzeuger nur eine Minderheit unter den neuen Heizungen gestellt. Im Jahr 2022 seien knapp 230.000 Wärmepumpen verkauft worden, der Großteil davon seien Luft-Wasser-Wärmepumpen gewesen, gefolgt von Sole-Wasser Wärmepumpen und Wasser-Wasser-Wärmepumpe (Grundwasser, Abwasser). Der Wärmepumpenmarkt habe somit vor allem in den letzten drei Jahren erheblich an Dynamik gewonnen und Absatzerhöhungen von gut 40 Prozent zwischen 2021 und 2022 verzeichnen können. Dieser Trend müsse sich jedoch noch deutlich verstärken, um den Zielwert von 500.000 Wärmepumpen pro Jahr ab 2024 zu erreichen. Die hohen Antragszahlen für Wärmepumpen innerhalb der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) ließen ein reges Interesse für den Wärmepumpeneinbau erkennen: bis
Ende November seien etwa 330.000 Anträge für Wärmepumpen eingegangen (Quelle: BAFA). Um das von der Bundesregierung postulierte Ziel von 6 Millionen Wärmepumpen bis 2030 zu erreichen, müssten Wärmepumpen auch Bestandsgebäude
durchdringen. Hier gehe der Trend in die richtige Richtung: Während 2019 noch mehr als die Hälfte der Wärmepumpen in Neubauten eingesetzt worden seien, seien 2021 fast zwei Drittel der verkaufen Wärmepumpen in Bestandsgebäuden installiert worden (Quelle: Öko-Institut und Fraunhofer ISE).

Gebäudeeffizienz lässt zu wünschen übrig

Die energetische Qualität des Wohngebäudebestands sei nach wie vor überwiegend mangelhaft. Laut einer Hochrechnung würden rund 30 Prozent der gesamten
Gebäudefläche in die beiden schlechtesten Energieeffizienzklassen G und H mit einem Endenergiebedarf von über 200 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr fallen. Bei den Ein- und Zweifamilienhäusern seien es sogar 40 Prozent.

Das Interesse für Energieberatungen für Wohngebäude steige der Studie zufolge seit dem sprunghaften Anstieg der Energiepreise und infolge höherer Förderanreize
deutlich an. Beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) seien im Jahr 2022 monatlich bis zu zehnmal mehr Anträge eingegangen als noch im Jahr 2020.  Insgesamt seien bis einschließlich November 2022 bereits über 127.000 Anträge für Energieberatungen eingereicht worden, während im Jahr 2020 nur knapp 25.000 Anträge gestellt worden seien. Das Interesse an Energieberatungen für Nichtwohngebäude erhöhte sich ebenfalls stark, wenn auch nicht so ausgeprägt wie bei Wohngebäuden.

Grundsätzlich würden tatsächlich durchgeführte Maßnahmen zur Verbesserung der energetischen Qualität eines Gebäudes jedoch weit hinter dem bekundeten Interesse zurückbleiben. 2020 wären immer noch 36 Prozent aller Wohngebäude komplett
unsaniert gewesen, weitere 50 Prozent nur teilsaniert.

Wärmenetze versorgen konstante Zahl an Anschlüssen – erneuerbare Wärme stark ausbaufähig

Im Jahr 2022 seien etwa 14,2 Prozent der Wohnungen von Nah- oder Fernwärmenetzen versorgt worden. Wärmenetze sollen in Zukunft jedoch einen größeren Teil der Wärmeversorgung übernehmen. Das Szenario KNDE45 gehe davon aus, dass bis 2030 jährlich 220.000 Neuanschlüsse an Wärmenetze notwendig seien, und im Zeitraum 2030 bis 2045 durchschnittlich rund 340.000 Neuanschlüsse pro Jahr, um das
Ziel eines klimaneutralen Gebäudesektors zu erreichen.

Die Dekarbonisierung der Wärmenetze hierzulande gehe der Studie zufolge nur langsam voran. Erdgas habe 2021 mit 43 Prozent den Energieträgermix dominiert. Stein- und Braunkohle hätten immer noch über 20 Prozent der Wärme beigesteuert, wobei dieser Anteil seit ein paar Jahren stetig abnehme. Insgesamt hätten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen) 86 Prozent der Wärmemenge gestellt, die in Wärmenetze eingespeist worden sei (Zahl für 2020). Innerhalb der KWK würden knapp
50 Prozent der Kraftwerke mit fossilem Gas befeuert, weitere 22 Prozent mit Stein- und Braunkohle. Die KWKG-Förderung sei ein wichtiger Grund für den weiterhin hohen Anteil an Gas und Kohle in Wärmenetzen, weil sie Investitionen in fossile KWK sowie deren Weiterbetrieb attraktiv machten. Die Förderung erneuerbarer Wärmeerzeugung
steht somit in Konkurrenz zum KWKG.

Erneuerbare Energien wie Solarthermie hätten in den vergangenen Jahren leicht zugenommen, seien 2021 allerdings nur auf 22 Prozent des Energieträgermixes der Wärmenetze gekommen. Potenziale zur Nutzung von industrieller Abwärme sowie von Geothermie mit dem  Einsatz von Großwärmepumpen sowie von Solarthermie würden der Studie nach bisher nicht ausgeschöpft. Um die Dekarbonisierung und den Ausbau der Wärmenetze zu fördern, sei im September 2022 die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) in Kraft getreten. Es ist jedoch absehbar, dass der Bedarf an Fördermitteln über das derzeit festgelegte Fördervolumen hinausgehen werde.

Foto: jock+scott / photocase