Nahwärme: Kaltes Netz in Dollnstein

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Der Markt Dollnstein im bayerischen Altmühltal betreibt seit 2014 ein “Kaltes Netz” – seitdem stehen die Telefone in der 3000-Einwohner-Gemeinde nicht mehr still. Kommunale Energieentscheider wollen wissen: Was ist das kalte Nahwärmenetz, was bringt’s und wie kann man es umsetzen? Auch ich habe nachgefragt: Bei Thomas Kerner, Vorstand von Energie Dollnstein, Anstalt öffentlichen Rechts.

Die Gemeinde Dollnstein hat mit dem “Kalten Wärmenetz” ein differenziertes Konzept zur Wärmeversorgung umgesetzt und dafür ein eigenes Kommunalunternehmen gegründet. Können Sie uns kurz erläutern, wie das “Kalte Netz” funktioniert und wie die Idee entstanden ist – sowohl für die Wahl der Technologie, als auch die Gründung des Kommunalunternehmens?

Thomas Kerner: Das Kommunalunternehmen bestand schon vor Planung und Realisierung des Nahwärmenetzes, es hat sich jedoch angeboten, den Betrieb des Netzes in diesem Unternehmen anzusiedeln. Da ein klassisches Hochtemperatur-/Hackschnitzel Netzwerk wirtschaftlich nicht tragbar war, wurde nach neuen Möglichkeiten gesucht. Entstanden ist ein sog. „Kaltes Nahwärmenetz“, welches im Sommer mit Vorlauftemperaturen von ca. 30°C arbeitet, während im Winter klassisch mit ca. 75°C gefahren wird. Der Winterbetrieb in dieser Form ist notwendig, da hauptsächlich Bestandsgebäude versorgt werden, deren Energiebedarf nur in dieser Form sinnvoll gedeckt werden kann.

Wann ist das Netz in Betrieb gegangen, welche Erwartungen haben sich seither erfüllt – und welche eventuell (noch) nicht?

Thomas Kerner: Die ersten Anschlussteilnehmer konnten im Herbst 2014 mit Wärme versorgt werden, der erste Winter konnte aufgrund der geringen Anschlussquote hervorragend als Pilot genutzt werden. Die großen Abnehmer kamen 2015 ans Netz, auch 2016 werden noch weitere angeschlossen. Leider hat der günstige Ölpreis die Anschlussteilnehmer nicht so schnell wie erhofft zu einem Wärmebezug wechseln lassen.

Wie hoch ist der Preis für den Wärmebezug?

Thomas Kerner: Die Wärme wird zu 11 ct/kWh brutto abgegeben.

Gibt es eine Möglichkeit für Anschlussnehmer, selbst überschüssige Wärme in das Netz einzuspeisen? Falls ja, machen die Bürger davon Gebrauch?

Thomas Kerner: Technisch ist die Möglichkeit vorgesehen, wird jedoch seitens Anschlussteilnehmer nicht genutzt.

Und schließlich: Welche Tipps würden Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen anderen kommunalen Entscheidern in puncto Wärmenetze mit auf den Weg geben?

Thomas Kerner: Das Wichtigste in der erfolgreichen Umsetzung ist die frühe Einbindung der Bürger. Ein intensiver Dialog erleichtert die Arbeit im Vorfeld. Zur Findung eines passenden Konzeptes müssen alle Möglichkeiten untersucht werden, auch untypische Herangehensweisen, wie etwa „kalte Nahwärme“. Die Begleitung durch einen geeigneten Planer im Vorfeld kann scheinbar unwirtschaftliche Netze durch Einbindung neuer Ideen durchaus wieder sinnvoll machen.

Herr Kerner, vielen Dank für das Interview!

 

Hintergründe zur Person und zum Kommunalunternehmen Energie Dollnstein

Hut ab, dass Herr Kerner sich auch für uns noch Zeit freigeschaufelt hat: Denn “eigentlich” ist er selbständiger IT-Unternehmer. Als ich ihn um das Interview bat, standen bereits wieder Vertreter einer anderen Gemeinde zum Referenzbesuch vor der Tür. Das Kommunalunternehmen (KU) in Form einer Anstalt öffentlichen Rechts ist übrigens auch eine Besonderheit in der kommunalen Energiewirtschaft – normalerweise sind unter dieser Rechtsform eher Organisationen im Kultur-, Banken- oder Gesundheitsbereich anzutreffen oder auch die Studentenwerke. Energie Dollstein hat sich die “Überprüfung und Organisation der Versorgung des Gemeindegebietes mit Energie aus Wind, Sonne, Biomasse, Erdwärme, Wasser und der Einsatz effizienter Energie” zur Aufgabe gemacht.

Zum Verwaltungsrat von Energie Dollnstein gehört neben dem 2. Bürgermeister und Gemeinderatsmitgliedern auch Alfons Kruck, einer der beiden Geschäftsführer der ortsansässigen Firma ratiotherm Heizung + Solartechnik GmbH & Co. KG. Ratiotherm ist Ideengeber für das Kalte Netz und lieferte auch die Solarkollektoren und Schichtspeicher für die Ausführung der Anlage.

Einen Eindruck von dem Konzept vermittelt auch dieser Animationsfilm der Firma Ratiotherm auf Youtube:

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Weitere Informationen

 

Das Kalte Netz: Die Anlage

Das Konzept des “Kalten Netzes” ist es, die sommerlichen Wärmeverluste im Netz zu reduzieren – bei einem herkömmlichen Netz mit um die 80 Grad Betriebstemperatur und gleichzeitig geringem Wärmebedarf sind erfahrungsgemäß die Netzverluste so hoch, dass das Netz unwirtschaftlich zu werden droht – vor allem im ländlichen Raum mit großen Leitungslängen. Deshalb wird das Netz im Sommer mit nur 30 Grad betrieben und die Wärme vor Ort, also in jedem angeschlossenen Gebäude, bedarfsgerecht mit einer Wärmepumpe erzeugt. Näheres könnt ihr in diesem Artikel vom September 2015 nachlesen: Intelligentes „kaltes” Nahwärmenetz – Bayerische Gemeinde realisiert Pionier-Projekt (Autor: Sascha Emig, Vertriebsleiter ratiotherm). Hier die wichtigsten Daten daraus, ergänzt bzw. aktualisiert mit Informationen von Herrn Kerner:

  • Investitionskosten: 1,7 Mio. Euro netto
  • Kosten Wärmebezug: 11 ct/kWh
  • Einspeisung durch Anschlussnehmer möglich, aber derzeit nicht genutzt
  • 100 m² Kollektorfläche Solarthermie (Ausbau auf 200 m² geplant)
  • 1800 m Wärmerohre
  • 47 angeschlossene Gebäude
  • kleine Wärmepumpen als Übergabestationen
  • Eine Grundwasserwärmepumpe 440 kW
  • Heizzentrale: ganzheitliches Strom- und Wärmemanagement, gasbefeuertes Blockheizkraftwerk mit 250 kW thermischer und 150 kW elektrischer Leistung, 27.000 Liter-Zentralspeicher, 15.000 Liter -Niedertemperaturspeicher, Solarthermie, Gaskessel, Steuerungs – und Regelungstechnik

Ausblick: Kaltes Netz hat Nachahmer in Bayern und auch im hohen Norden

Laut Angaben von ratiotherm wollen auch die niederbayerische Gemeinde Bodenmais und das unterfränkische Haßfurt ein Netz nach Dollnsteiner Modell umsetzen. Und auch im Norden kennt man das Konzept: Die Stadtwerke Schleswig bieten ein Kaltes Nahwärmenetz mit einem Arbeitspreis von knapp 7 ct/kWh (zuzüglich jährliche Grund- und Servicepreise), im Kombipaket mit Glasfaseranschluss und mit einem angegebenen Primärenergiefaktor von 0,46.

Eure Meinung ist gefragt

Wer hat’s erfunden? Diese Frage kann ich nicht beantworten – doch erlaubt ist, was funktioniert … Und da bin ich schon auf die Einschätzung unserer fachlich versierten Leserschaft gespannt: Was haltet ihr davon? Seht ihr Vorteile gegenüber anderen Technologien, was ist sinnvoll? Eignet sich das Konzept zur Nachahmung?

Foto: Volker Gringmuth | wikipedia