Klima-Notfall

Klima-Notfall +++ Alarm! +++ Klima-Notfall +++ Alarm! +++

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Immer mehr Wissenschaftler stimmen in den Alarm-Ruf ein, der Ende 2019 von William J. Ripple und Kollegen aus um die Welt ging: Damals riefen 11.258 Wissenschaftler unterschiedlicher Branchen aus 153 Ländern, darunter auch 871 aus Deutschland, den Klima-Notfall aus. Inzwischen sind mehr als 2.800 weitere dazugekommen. Somit noch gewichtiger, noch lauter und noch dringender wiederholten sie jetzt ihren Alarmruf zum Klima-Notfall mit einer Erklärung im Wissenschaftsjournal BioScience. Zugleich forderten die Wissenschaftler erneut und drängender denn je sofortige Veränderungen, um das Leben auf der Erde zu schützen. Hier kommen die wissenschaftlich ermittelten Daten und Fakten, die den Alarm mehr als rechtfertigen. 

Das Wichtigste zuerst: Schlusswort der wissenschaftlichen Erklärung zum Klima-Notfall

“Ausgehend von den aktuellen Trends der planetarischen Symptome bekräftigen wir die Erklärung zum Klima-Notstand und rufen erneut zu einem transformativen Wandel auf, der heute mehr denn je notwendig ist, um das Leben auf der Erde zu schützen und innerhalb möglichst vieler planetarischer Grenzen zu bleiben. Das Tempo des Wandels ist von entscheidender Bedeutung, und neue Klimapolitiken sollten Teil der COVID-19-Erholungspläne sein. Wir müssen uns nun als globale Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Gefühl der Dringlichkeit, der Zusammenarbeit und der Gleichheit zusammenschließen.”

Die zunehmenden Symptome vom Klima-Notfall sprächen demnach für sich: Seit 2019 sei ein beispielloser Anstieg klimabedingter Katastrophen zu verzeichnen,

  • darunter verheerende Überschwemmungen in Südamerika und Südostasien,
  • verheerende Hitzewellen und Waldbrände in Australien und den westlichen Vereinigten Staaten,
  • eine außergewöhnliche atlantische Hurrikan-Saison und verheerende Wirbelstürme in Afrika, Südasien und im Westpazifik.

Es gebe auch immer mehr Hinweise darauf, dass wir uns Kipppunkten nähern oder diese bereits überschritten hätten, die mit kritischen Teilen des Erdsystems verbunden seien, darunter die Westantarktis und Grönland-Eisschilde, Warmwasserkorallenriffe und der Amazonas-Regenwald. Angesichts dieser alarmierenden Entwicklungen bräuchten wir kurze, häufige und leicht zugängliche Updates zur Klimakatastrophe, schreiben die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Erklärung. 

Symptome vom Klima-Notfall – auf einen Blick

Für die Erklärung zum Klima-Notfall hätten die Wissenschaftler eigenen Angaben zufolge die Veränderungen planetarischer Vitalzeichen seit der Veröffentlichung von Ripple und Kollegen (2019/2020) untersucht. Von den 31 Variablen lägen mit 18 mehr als die Hälfte auf neuen Allzeit-Tiefs oder Allzeit-Hochs:

Lebensmittel

Zum ersten Mal sie die Zahl der Wiederkäuer, so ist es in der englischsprachigen Erklärung zu lesen, weltweit auf über 4 Milliarden gestiegen. Das entspreche den Wissenschaftlern zufolge deutlich mehr Masse als alle Menschen und wildlebenden Säugetiere zusammengenommen auf die Waage brächten. Allerdings sei die aktuelle Pro-Kopf-Fleischproduktion zwischen 2018 und 2020 um rund 5,7 Prozent (2,9 Kilogramm pro Person) zurückgegangen, wahrscheinlich wegen eines Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest in China, der das Schweinefleischangebot verringerte. Künftige Rückgänge beim Fleischkonsum und der Fleischproduktion würden demnach wahrscheinlich erst eintreten, wenn eine generelle Umstellung auf pflanzliche Ernährung erfolgt sei oder der Einsatz von Fleischersatzstoff zunehme, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen und bis 2026 weltweit ein Volumen von 3,5 Milliarden US-Dollar erreichen würden.

Regenwald (Amazonas)

Die jährliche Waldverlustrate im brasilianischen Amazonasgebiet sei in den Jahren 2019 und 2020 angestiegen und erreichte mit 1,11 Millionen Hektar einen 12-Jahres-Höchstwert. Der Anstieg sei demnach wahrscheinlich auf die schwächere Durchsetzung der Entwaldung zurückzuführen, die einen starken Anstieg der illegalen Rodungen für Rinder– und Sojaanbau ausgelöst hätte. Walddegradation durch Brände, Dürre, Abholzung und Fragmentierung hätte dazu geführt, dass diese Region nicht mehr als Kohlenstoffsenke, sondern als Kohlenstoffquelle fungiere.

Klimawirtschaft

Das globale Bruttoinlandsprodukt sei im Jahr 2020 als Reaktion auf die Sars-COVID-19-Pandemie um 3,6 Prozent gesunken, wobei aktuell dafür ein Allzeithochstand prognostiziert werde. Das Veräußern fossiler Brennstoffe habe stark zugenommen – zwischen 2018 und 2020 um 6,5 Billionen US-Dollar, während gleichzeitig die Subventionen für fossile Brennstoffe auf ein Rekordtief von 181 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 gefallen seien. Das sei ein Rückgang um 42 Prozent gegenüber dem Niveau von 2019, wahrscheinlich, so vermuten die Wissenschaftler, aufgrund des geringeren Energieverbrauchs und der niedrigeren Preise .

CO2-Preis

Der Anteil der durch die Bepreisung von CO2-Emissionen abgedeckten Treibhausgasemissionen werde zwischen 2018 und 2021 voraussichtlich von 14,4  auf 23,2 Prozent ansteigen. Ein Großteil dieses Anstiegs sei auf ein von China vorgeschlagenes CO2-Bepreisungssystem zurückzuführen, das noch immer zügig viele Kohlekraftwerke baue und heute mehr Emissionen verursache als die gesamten Industrieländer. Der globale, emissionsgewichtete Durchschnittspreis pro Tonne Kohlendioxid sei nach wie vor zu niedrig (15,49 US-Dollar ab 2020), und er müsse um ein Vielfaches erhöht werden, um den Verbrauch fossiler Brennstoffe wirksam einzudämmen, fordern die Wissenschaftler.

Energieverbrauch

Wahrscheinlich wegen der Sars-COVID-19-Pandemie sei der Verbrauch fossiler Brennstoffe seit 2019 gesunken, ebenso wie die Kohlendioxidemissionen, die Kohlendioxidemissionen pro Kopf und der LuftverkehrDiese Rückgänge scheinen jedoch vorübergehend zu sein, da für 2021 prognostizierte Schätzungen zeigen, dass alle diese Variablen wieder deutlich ansteigen würden. Umgekehrt sei der Solar– und Windenergieverbrauch zwischen 2018 und 2021 um 57 Prozent angestiegen, liege aber immer noch rund 19-mal unter dem Verbrauch fossiler Brennstoffe. Die Zahl der Fluggäste sei im Jahr 2020 pandemiebedingt um beachtliche 59 Prozent zurückgegangen, aber mehr als ein Drittel dieses Rückgangs dürfte bis 2021 wieder aufgeholt werden.

Treibhausgase und Temperatur

Für drei wichtige Treibhausgase,

  • Kohlendioxid,
  • Methan
  • und Lachgas,

seien sowohl im Jahr 2020 als auch im Jahr 2021 Höchstwerte für die Konzentration in der Atmosphäre gemessen worden. Im April 2021 habe die Kohlendioxid-Konzentration 416 ppm betragen, die höchste jemals verzeichnete durchschnittliche globale Konzentration eines Monats. Das Jahr 2020 war das zweitwärmste Jahr seit der Aufzeichnung, und alle fünf heißesten Jahre seien seit dem Jahr 2015 aufgezeichnet worden.

Eisschmelze

Grönland und die Antarktis hätten kürzlich neue Rekordtiefstände der Eismassen aufgewiesen. Im Jahr 2020 hätte das arktische Meereis das zweitkleinste seit jeher aufgezeichnete Ausmaß erreicht, und auch die Gletscherdicke habe ein neues Allzeittief gesetzt. Gletscher würden viel schneller als bisher angenommen schmelzen; sie verlören demnach pro Jahr 31 Prozent mehr Schnee und Eis als noch vor 15 Jahren.

Meeresveränderungen

Sowohl für den Wärmegehalt des Ozeans als auch den Meeresspiegel seien neue Rekorde aufgezeichnet worden. Der pH-Wert des Ozeans habe nach 2012 seinen zweitniedrigsten gemessenen Durchschnittswert erreicht. Dies sei den Wissenschaftlern zufolge besorgniserregend, da die Widerstandsfähigkeit der Korallen gegenüber der Ozeanversauerung durch thermischen Stress beeinträchtigt werde und mehr als 500 Millionen Menschen von Korallenriffen abhängig seien – sie würden Nahrung liefern, Tourismus begründen und vor Tropensturmfluten schützen.

Klima-Notfall: Was ist jetzt zu tun?

Diese aktualisierten Symptome, mit denen sich der Klima-Notfall zeige, spiegelten laut den Wissenschaftlern weitgehend die Folgen eines unverminderten “Business as usual” wider. Selbst die “positiven” Auswirkungen der beispiellosen Pandemie auf einige klimabedingte menschliche Aktivitäten wären demnach nur von kurzer Dauer gewesen. Eine wichtige Lehre daraus sei, dass selbst ein kolossaler Rückgang von Transport und Konsum bei weitem nicht ausreiche und dass stattdessen transformative Systemänderungen erforderlich seien, die sich über die Politik erheben müssten.

Trotz positiver Absichten, “besser wieder aufzubauen”, indem Sars-COVID-19-Wiederherstellungsinvestitionen in umweltfreundliche Maßnahmen gelenkt würden, seien bis zum 5. März 2021 (OECD 2021) nur 17 Prozent dieser Mittel für eine grüne Wiederbelebung bereitgestellt worden. Angesichts der Auswirkungen, die wir bei derzeit etwa 1,25 Grad Celsius (°C) Erwärmung in Verbindung mit den vielen verstärkenden Rückkopplungsschleifen und potentiellen Kipppunkten sähen, sei ein massiver Klimaschutz dringend erforderlich.

Treibhausgase drastisch reduzieren!

Das verbleibende Kohlenstoffbudget für 1,5° C sei kürzlich auf eine Wahrscheinlichkeit von 17 Prozent geschätzt worden, was darauf hindeute, dass wir bereits die Möglichkeit verpasst hätten, die Erwärmung auf dieses Niveau zu begrenzen, ohne die Marke zu überschreiten oder riskantes Geoengineering einzusetzen. Aufgrund der begrenzten Zeit, die uns zur Verfügung stünde, müssen die Prioritäten auf eine sofortige und drastische Reduzierung der gefährlichen kurzlebigen Treibhausgase, insbesondere Methan, verlagert werden.

Ursachen vom Klima-Notfall bekämpfen statt Symptome lindern!

Des Weiteren, so die Wissenschaftler, müssten wir aufhören, die Klimakrise als eigenständiges Umweltproblem zu betrachten. Die globale Erwärmung, obwohl sie ruinös sei, sei nicht das einzige Symptom unseres derzeitigen kränklichen Erdsystems, sondern nur eine von vielen Facetten der sich verschärfenden Umweltkrise.

Politische Maßnahmen zur Linderung der Klimakrise oder anderer bedrohter planetarischer Grenzüberschreitungen sollten sich nicht auf die Linderung der Symptome konzentrieren, sondern auf die Bekämpfung ihrer eigentlichen Ursache: der übermäßigen Ausbeutung der Erde. Beispielsweise könnten wir mit dem Beenden nicht nachhaltiger Ausbeutung natürlicher Lebensräume gleichzeitig

  • das Risiko der Übertragung von Zoonosen verringern (und damit deren pandemische Ausbreitung),
  • die Biodiversität erhalten
  • und Kohlenstoffbestände schützen.

Solange der Druck der Menschheit auf das Erdsystem anhalte, könnten Heilmittel diesen Druck nur umverteilen, erklären die Wissenschaftler.

Klima-Notfall: 6 x Kurswechsel jetzt!

  1. Energie: Verzicht auf fossile Brennstoffe und Umstellung auf erneuerbare Energien
  2. kurzlebige Luftschadstoffe: Abbau von Ruß, Methan und Fluorkohlenwasserstoffen
  3. Natur: Wiederherstellung und dauerhafter Schutz der Ökosysteme der Erde, um CO2-Emissionen zu senken und die Artenvielfalt wiederherzustellen und zu erhalten
  4. Ernährung: Umstellung auf eine überwiegend pflanzliche Ernährung, Verringerung der Lebensmittelverschwendung und Verbesserung der Anbaupraktiken
  5. Wirtschaft: Übergang von unbegrenztem BIP-Wachstum und Überkonsum durch die Reichen hin zu einer ökologischen Wirtschaft und einer Kreislaufwirtschaft, in der die Preise die vollen Umweltkosten von Gütern und Dienstleistungen widerspiegeln
  6. Bevölkerung: Stabilisierung und allmähliche Verringerung der Bevölkerung durch freiwillige Familienplanung und Förderung von Bildung und Förderung der Bevölkerung durch Förderung der Bildung und Förderung der Rechte aller Mädchen und jungen Frauen, die nachweislich die Fruchtbarkeitsrate senken.

Alle transformativen Klimaschutzmaßnahmen sollten sich auf soziale Gerechtigkeit für alle konzentrieren, indem grundlegende menschliche Bedürfnisse priorisiert und Ungleichheiten verringert werden.

Klima als Schulfach!

Als eine Voraussetzung dafür sollte die Erziehung zum Klimawandel weltweit in die Grundlehrpläne der Schulen aufgenommen werden. Insgesamt würde dies zu einem stärkeren Bewusstsein für die Klimakatastrophen führen und gleichzeitig die Lernenden zum Handeln befähigen.

Klima-Notfall: Das muss Politik jetzt leisten!

Angesichts zunehmender Dringlichkeit und unzureichender Anstrengungen zur Bewältigung der Klimakrise auf internationaler Ebene bräuchten wir dringend Fortschritte bei den sechs genannten Schritten, sagen die Wissenschaftler.

Darüber hinaus fordern sie einen dreigleisigen kurzfristigen Politikansatz, der

  1. die globale Umsetzung eines signifikanten CO2-Preises (Energie und Wirtschaft),
  2. einen weltweiten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und
  3. die Entwicklung strategischer Klimareserven zum strikten Schutz und zur Wiederherstellung natürlicher Kohlenstoffsenken und Biodiversität weltweit umfasse (Natur).

Der globale Mindestpreis für CO2-Emissionen sollte alle Arten von Treibhausgasen und möglichst viele Sektoren abdecken, einschließlich Forstwirtschaft und Landwirtschaft (Nahrungsmittel).

Ein höherer CO2-Preis werde notwendig sein, um einen transformativen Wandel in Sektoren auszulösen, die sich schwieriger dekarbonisieren ließen. Er sollte an einen sozial gerechten grünen Klimafonds gekoppelt werden, um Klimaschutz– und Anpassungsmaßnahmen im globalen Süden zu finanzieren.

Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen sollte ähnlich umfassend sein und letztlich die Exploration, Produktion und Infrastrukturentwicklung von fossilen Brennstoffen verbieten.

Effektive strategische Klimareservate böten Schutz und Wiederherstellung was enorme Vorteile für die biologische Vielfalt, die Ökosystemfunktion und das menschliche Wohlergehen hätte und erfordern spezifische Ziele, die kohlenstoffreiche terrestrische und marine Ökosysteme (Wälder, Feuchtgebiete, Seegras, Mangroven) abdecken. Die baldige Umsetzung dieser drei Politiken werde dazu beitragen, die langfristige Nachhaltigkeit der menschlichen Zivilisation zu gewährleisten und künftigen Generationen die Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten.

So.

Die Wissenschaft schlägt Alarm.

Es herrscht Klima-Notfall!

Jetzt müssen wir handeln!

Foto: Doreen Brumme