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Roger Hackstock: Digitalisierung als Turbo der Energiewende

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Die Energieversorgung der Zukunft ist von erneuerbaren, dezentralen Energiequellen geprägt, die digital vernetzt und im Schwarm gesteuert werden. Erzeuger und Verbraucher werden über neue Geschäftsmodelle miteinander verbunden, die wesentlich mehr Flexibilität ermöglichen als heute. Das „Internet der Energie“ könnte in Zukunft weit darüber hinaus reichen, was etablierte Energieversorger sich heute als flexible Energiezukunft vorstellen. Viel wird von diesem systemischen Umbruch derzeit gesprochen, eine konkrete Vorstellung der Veränderungen, die auf uns zukommen, haben jedoch nur wenige. Wir haben heute den Energieexperten und Buchautor Roger Hackstock zum Interview gebeten um nachzufragen, wie sich die Digitalisierung in den nächsten Jahren auf die Energiewende auswirken wird.

Doreen Brumme für Ecoquent Positions: Roger Hackstock, Sie sagen, die Digitalisierung wird die Energiewende in den nächsten Jahren massiv prägen und ihr am Ende zum Durchbruch verhelfen. Wie kommen Sie darauf?

Roger Hackstock: Die Digitalisierung hat im letzten Jahrzehnt viele Branchen durcheinander gewirbelt, wie die Taxibranche, das Hotelwesen, den Buchhandel oder das Bankenwesen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Energiebranche davon erfasst wird, das wissen die Energieversorger. Das Problem ist, dass die Digitalisierung an deren angestammten Geschäftsmodellen rüttelt und ihnen massive Verluste beschert. Auf der anderen Seite eröffnen sich aber massenweise neue Möglichkeiten im Vertrieb von Strom und Wärme, die es bisher so nicht gegeben hat. In Zukunft wird es vor allem darum gehen, dass die Verbraucher beginnen mitzumischen, dass Kunden einen Teil ihres Energiebedarfs selbst produzieren, zu sogenannten Prosumern werden. Das ist eine völlige Umkehr der bisherigen Organisation unserer Energieversorgung. Die Digitalisierung wird das noch beschleunigen, wenn man die Kunden zu virtuellen Kraftwerken bündelt und im Schwarm steuert.

Ecoquent Positions: Bei Digitalisierung denkt man unweigerlich an Silicon Valley, wo viele der Ideen herkommen, die Sie erwähnt haben. Wieso schafft man es dort eher in völlig neuen Geschäftsmodellen zu denken als bei uns?

Roger Hackstock: Die erfolgreichen Firmen in diesem Tal haben alle eines gemeinsam, sie stellen die Geschäftsprinzipien auf den Kopf, die wir bisher gewohnt waren. Was vorherrscht ist der Gedanke der Plattform, es geht um die maximale Verbreitung einer Idee, in den ersten Jahren haben die nicht mal einen Businessplan, wie sie damit Geld verdienen können. Es geht vor allem um den Kundennutzen, aber viel radikaler als wir das kennen, die Ideen müssen schnell umsetzbar, super einfach und fast kostenlos sein, um möglichst viele Menschen zu begeistern. Der Blogger Jeff Jarvis hat diese Denkweise in seinem Buch „What Would Google do?“ sehr gut beschrieben. Mit dieser Haltung beginnen sich jetzt die ersten Unternehmen dem Energiesektor zu widmen, da kommen spannende Zeiten auf uns zu. Das Zauberwort in Silicon Valley heißt Disruption. Das bedeutet mit Gewohnheiten brechen, bisherige Erfahrungen in Frage zu stellen und sich lustvoll auf Herausforderungen zu stürzen, die auf den ersten Blick verrückt scheinen. Die „1.000 Songs in deiner Tasche“ von Apple waren so eine verrückte Idee, auch das für alle sichtbare private Fotoalbum auf flickr, das kostenlose Telefonieren im Internet über Skype oder die tageweise Vermietung seiner Wohnung an Wildfremde über Airbnb. Der Großmeister der Disruption ist Google, die so ziemlich mit allen Regeln gebrochen haben, die in der Geschäftswelt bisher als Erfolgsfaktoren gegolten haben. Wenn Google sich dem Energiebereich widmet, werden sie das dort fortsetzen.

Ecoquent Positions: Wie soll ein Suchmaschinenanbieter den Energiebereich aufmischen?

Roger Hackstock: Google hat einen anderen Zugang zur Verarbeitung von Information, wie man am Beispiel des Google Projekts Sunroof sieht, wo sie einen neuartigen Solardachkataster auf den Markt gebracht haben. Der erkennt nicht nur anhand von Google Maps, ob sich Solarkollektoren für ein Gebäude lohnen, er berechnet auch die Schatten von Bäumen und Häusern rundherum, analysiert Wetterdaten vor Ort und schätzt ab, wie viel eine Solaranlage in 20 Jahren einspart. Man kann sich sogar gleich über Leasing, Kredit oder Sofortkauf informieren, also den nächsten Schritt einplanen. So umfassend hab ich das noch bei keinem Solardachkataster gesehen, den ich kenne. Ein anderes Beispiel ist die Firma Nest, die Google Anfang 2014 gekauft hat. Die haben einen Thermostat entwickelt, der erkennt, ob wer zu Hause ist und passt die Temperatur von selbst an. Dazu merkt sich der lernende Thermostat das Verhalten der Bewohner und steuert die Heizung danach. Mit einem Algorithmus, der das Verhalten ein paar Wochen misst und auswertet, geht das relativ einfach. Am Handy sieht man dann wie lange die Heizung gelaufen ist und wie viel man verbraucht hat. Das schärft den Blick und macht den Energieverbrauch bewusst. Die Thermostate sind keine grauen Kästchen mehr an der Wand sondern schicke handtellergroße Scheiben, die man drehen kann und die aufleuchten und die Raumtemperatur anzeigen, wenn man sich nähert. Geht man weg, wird die Schrift automatisch größer, damit man es auch von weitem lesen kann. Noch nie zuvor hat ein Thermostat dreimal den Red Dot Design Award gewonnen! Selbst so scheinbar nebensächliche Sachen wie Thermostate können mit Digitalisierung und Algorithmen plötzlich hip und begehrt werden.

Ecoquent Positions: Müssen wir auf die Ideen aus Kalifornien warten oder gibt´s auch bei uns interessante Beispiele?

 Roger Hackstock: Na ja, die US-Amerikaner sind schon ziemlich schnell und haben verblüffende Einfälle, wie zum Beispiel der Konzern Caterpillar. Den kennt man eigentlich von diesen gelben Baumaschinen, jetzt hat er ein Handy vorgestellt wo eine Wärmebildkamera eingebaut ist. Die zeigt am Display diese rot-gelben Bilder von den Wärmebrücken am Haus, angeblich geht das sogar bei Nebel. Natürlich kommen die Menschen auch auf blöde Ideen, wenn das so einfach geht und machen heimlich Wärmebilder der Sitznachbarin oder vom Hund. Aber ich finde das ein gutes Beispiel, wo die Digitalisierung der Energieeffizienz hilft, wenn man das Handy mal aufs Haus richtet und sich wundert, was alles einen roten Rand hat, weil es sinnlos Wärme abstrahlt. In Österreich hat ein junges Startup einen Algorithmus für Solarthermieanlagen entwickelt, wo man übers Handy mit der Anlage verbunden ist und Mitteilungen erhält, wie es „der Anlage gerade geht“. Wie bei dem Thermostat zeigen einfache Grafiken, wie viel sie gelaufen ist und wie das mit dem Wetter zusammenhängt oder dem höheren Wasserverbrauch beim Familienfest am Wochenende. Diese Interaktion ist das neue, die Geräte fangen an „zu sprechen“, wenn man so will. Bei Strom finde ich die Idee von aWATTar aus Wien interessant, Haushalte mit Algorithmen an den schwankenden Ökostrom im Netz anzupassen. Bei zu viel Ökostrom im Netz schaltet der Algorithmus die Wärmepumpe oder die Klimaanlage ein, bei zu wenig Strom einfach ab. Auch ein Elektroauto kann man dazuhängen. Bei zu viel Ökostrom wird Strom billiger, der Haushalt spart sich also Geld. Und er hilft der Energiewende. Den Plattformgedanken wie in Kalifornien versucht die deutsche Plattform buzzn zu leben, ich hab sogar ein T-Shirt von denen (lacht). Buzzn will eine Art „social energy network“ werden, wo Ökostrom von Privat zu Privat verkauft wird. Alle die ökologischen Strom liefern oder verbrauchen, sind mit dem Vornamen auf einer Deutschlandkarte verzeichnet, auf den ersten Blick würde man nicht auf die Idee kommen, dass es sich im Grunde um einen Stromhändler handelt – aber halt um einen in der digitalisierten Version 2.0.

Ecoquent Positions: Für die Digitalisierung der Energiewende müssen irgendwann alle Smart Meter haben, oder? Die sind ja nicht unumstritten, wie sehen Sie das?

Roger Hackstock: Das ist grundsätzlich richtig, nur mit Smart Meter kann ich zum Beispiel Heizung und Kühlung im Haus von außen steuern oder Tarifschwankungen ausnutzen. Bei buzzn ist kein Smart Meter nötig, da geht es nur um den Austausch von Strom auf der Plattform. Auch aWATTar kommt im einfachen Modell ohne Smart Meter aus. Der Zug geht aber in die Richtung, in der EU wurde beschlossen, die flächendeckend bis 2020 einzuführen. Die Energieversorger hoffen dabei, tausende Verbraucher zuschalten oder drosseln zu können, wenn die Produktion erneuerbarer Energie nicht zum Verbrauch passt. Dafür müssen eine Menge Daten gesammelt werden, was natürlich die Datenschützer auf den Plan ruft. Man kennt ja die Beispiele, wo Forscher über den Smart Meter herausgefunden haben ob Toaster, Kaffeemaschine oder Kühlschrank laufen und welche Fernsehsendung die Familie gerade sieht. Das ist keine Hexerei, dafür braucht es nur eine Fernablesung und einen schlauen Algorithmus. Marc Elsberg hat mit seinem Roman „Blackout“ zusätzlich zur Verunsicherung beigetragen, wo Hacker über tausende Smart Meter einen europaweiten Zusammenbruch der Stromversorgung auslösen.

Ecoquent Positions: Werden die etablierten Energieversorger in der digitalisierten Energiewende noch die Stützen im System sein, um solche Szenarien abzuwehren?

Roger Hackstock: Eines ist sicher, auch erneuerbare Energie wird künftig viel mehr zur Stabilität des Energiesystems beitragen müssen. Für Energieversorger ist aus meiner Sicht wichtig, sich mit der Digitalisierung und der Energiewende aktiv zu beschäftigen. Wenn sie sich in der neuen digitalen Energiewelt nicht zurechtzufinden, wird es schwierig. Das Klimaabkommen von Paris hat gezeigt, dass die Zukunft nicht mehr aufzuhalten ist, dem wird sich auch kein Energieversorger langfristig entziehen können. Da hilft nur eine Vorwärtsstrategie, sich neu definieren und die Möglichkeiten der Digitalisierung schneller nutzen als die Konkurrenz. Selbst ein stark regulierter Markt schützt die etablierten Player nämlich nicht vor Startups mit neuen Ideen, wie man beim Taxigewerbe gesehen hat. Die Energieversorger haben sehr viel Wissen über den Markt, sie müssen das allerdings mit neuen Geschäftsmodellen verbinden, zum Beispiel ihre Kunden ermuntern selbst in Energieanlagen zu investieren. Das fällt ihnen nicht leicht, ich weiß. Aber anders werden sie es schwer haben zu überleben, davon bin ich überzeugt.

Ecoquent Positions: Danke, Roger Hackstock, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch genommen haben!