S4F zur Waermewende

Scientists for Future (S4F): So geht die deutsche Wärmewende!

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Die Scientist for Future (S4F) lieferten im März einen “Kurzimpuls” zum Beschleunigen der Wärmewende und Reduzieren des Gasverbrauchs. Das 17-seitige PDF-Dokument, das ihr euch hier kostenlos aus dem Internet downloaden könnt, zeigt auf, wie die deutsche Wärmewende erfolgreich und schnell vollzogen werden könnte. Spannend: Es geht um zwei Handlungsstränge zugleich: Zum einen muss fossile Energie als Wärmelieferant  eingespart und zum anderen muss sie mit erneuerbarer Energie (Dekarbonisierung) ersetzt werden. 

Den S4F zufolge würde Deutschland den fossilen Brennstoff Erdgas (Heizgas) hauptsächlich zur Wärmeerzeugung verwenden. Deshalb sei die Wärmewende das wichtigste Mittel, damit sich Deutschland aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas befreie.

Wärmeenergieverbrauch = Schlüsselgröße für Ausstieg aus der Gasabhängigkeit

Die Zahlen seien demnach bekannt:

  • Über 55 Prozent des in Deutschland verbrauchten fossilen Erdgases komme aus der Russischen Föderation, aktuell importiere Deutschland 500 Terawattstunden (TWh) russisches Erdgas pro Jahr.
  • Mit fast einem Drittel (27 Prozent) des deutschen Gesamtenergiebedarfs sei fossiles Erdgas der zweitwichtigste Energieträger Deutschlands.
  • Den größten Anteil am Erdgasverbrauch habe aktuell der Wärmesektor: Zwei Drittel des Erdgases würden dem Leitautor des S4F-Papiers, Jens Clausen, zufolge in Deutschland in die Wärmeversorgung gehen.
  • Die privaten Haushalte nutzten demnach 28 Prozent des gesamten Erdgases, die Industrie 26 Prozent und der Dienstleistungssektor etwa 12 Prozent – nur zur Wärmeversorgung. Der Wärmeenergieverbrauch stelle sich damit als die Schlüsselgröße heraus, um aus der Abhängigkeit von dieser fossilen Energiequelle herauszukommen, sowohl sicherheitspolitisch als auch klimapolitisch.

Mittelfristig bräuchte Deutschland daher eine grundsätzliche Umorientierung. Die klassische Form der Wärmeerzeugung mit Verbrennen sei laut den S4F überholt, neue technologische Lösungen stünden längst bereit. Klimaneutralität und eine  nachhaltige Abkehr von politischer Erpressbarkeit sei letztlich nur mit erneuerbaren Energien möglich. Die Wärmeversorgung

  • mit elektrischen Umweltwärmeheizungen (Wärmepumpen)
  • und mit solarthermische Anlagen

sei den S4F zufolge bereits heute Stand der Technik. Beide Technologien würden kostengünstige Energie produzieren – und das in Deutschland.

Kurzfristige Einspar- und Effizienzmaßnahmen

In ihrem Wärmewende-Papier nennen die S4F kurzfristige Maßnahmen zum konsequenten Wärmesparen.

1. in der Wohnung:

  • Im internationalen Vergleich werde demnach in Deutschland sehr viel Wohnraum pro Person genutzt und beheizt. Von 1991 bis 2020 sei die Wohnfläche je Einwohner in Deutschland von 34,9 auf 47,4 Quadratmeter gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2021). Dieser Anstieg habe die Effizienzsteigerung der letzten Dekaden im Gebäudesektor praktisch kompensiert und erschwere generell das Einsparen von Wärme.
  • Oft werde zudem die gesamte Wohnfläche beheizt, unabhängig davon, ob sie tatsächlich genutzt wird oder nicht.
  • Die Raumtemperatur der Wohnungen und ihrer Teilbereiche sei in vielen Fällen vergleichsweise hoch und die Dämmung der Gebäude häufig unzureichend.

Der private Wärmeverbrauch lasse sich den S4F zufolge kurzfristig mit Verhaltensänderungen senken: werde beispielsweise die Temperatur der Wohnungen in der ganzen Europäischen Union nur um ein Grad Celsius abgesenkt, so schätzt die IEA (2022) eine Reduktion des Erdgasverbrauchs in Höhe von 100 TWh pro Jahr.

2. in öffentlichen und betrieblichen Gebäuden:

In vielen öffentlichen und betrieblichen Gebäuden könne die Raumtemperatur um ein oder zwei Grad abgesenkt werden, je nach Nutzungsart gegebenenfalls auch noch stärker. Auch hier
sei kritisch zu prüfen, welche Räume wann und wie beheizt werden sollten, zum Beispiel Büroräume, die wegen Home-Office zeitweise oder sogar permanent nicht mehr genutzt werden.

3. in industriellen Prozessen:

Aktuell würden viele notwendige oder sinnvolle Maßnahmen zur Energie- oder Ressourceneinsparung in industriellen Prozessen nicht umgesetzt, da sie sich nicht innerhalb der (üblicherweise kurzen)
Abschreibungszeiträume rechnen würden. Unternehmen seien hier gefordert, ihre Praxis strategisch zu überdenken. Seitens des Gesetzgebers seien den S4F zufolge geeignete Regularien zu entwickeln, mit denen Unternehmen bei der Umsetzung von Maßnahmen unterstützt würden, die erst mittel- bis langfristig rentabel seien (Reduzierung der gesetzlichen Abschreibungsfristen).

Derzeit diskutierte Steuersenkungen oder andere Formen von Subventionen seien unbedingt zu vermeiden, da sie das klare Preissignal als jetzt notwendigen Handlungsimpuls für Industrie und Wirtschaft aufheben und so jede Veränderung und jeden Beitrag aus Industrie und Wirtschaft behindern würden.

4. Falsche und richtige Preisanreize:

Die von Bundeswirtschaftsminister Habeck für kurzfristiges Handeln betonte Bedeutung der Versorgungssicherheit sollte nicht dazu verleiten, nur die Angebotsseite von Energie zu betrachten, sondern
sie sollte politische Maßnahmen beinhalten, mit denen auch mittel- und langfristig der Energieverbrauch gesenkt werde.

Um die wegen der Verknappung und steigender CO2-Preise zu erwartenden Preissteigerungen sozial verträglich abzufangen,
seien alle Maßnahmen kontraproduktiv, die keinen Anreiz zum Energiesparen setzen würden.

So wäre ein Absenken der Mehrwertsteuer und anderer Abgaben auf fossile Energien sowohl für die Sicherstellung einer ausreichenden Erdgasversorgung („Versorgungssicherheit“) als auch für den Klimaschutz kontraproduktiv. Stattdessen würde die Einführung eines „Energiegeldes“ – gestaffelt nach sozialen Gesichtspunkten –
entsprechende Belastungen abfedern und gleichzeitig einen Impuls zu den gewünschten Verhaltensänderungen in Richtung eines sparsamen Umgangs setzen.

5. Effizienter und intelligenter heizen:

In Wohngebäuden ließe sich mit intelligenter Heizungssteuerung (Smart Building) bis zu 20?Prozent der Heizenergie sparen. Vernetzte Thermostatventile und Heizungssteuerungen könnten sofort genutzt werden, um den Wärmebedarf in Gebäuden zu senken. Diese
Techniken seien verfügbar und könnten bei geringen Investitionen große Mengen an Energie einsparen. Sie könnten außerdem in Verbindung mit Brennwert-Kesseln, Fernwärme, Solarthermie und Wärmepumpen genutzt werden, sie würden die Energieeffizienz erhöhen und den Übergang zu einer erneuerbaren Wärmeversorgung unterstützen.

Wärme aus Strom = machbar

Bereits heute würden Gas- und Ölheizungen mit Wärmepumpen ersetzt. Planungen sähen vor, dass Wärmepumpen langfristig bis zu 70?Prozent des Wärmebedarfs decken würden. Diese entziehen der Umgebung (Luft, Erde, Abwasser, industrieller Abwärme, unterirdischen Wasseradern und Gewässern) mithilfe von Strom Wärme und heizen damit Häuser und niedrigthermische industrielle Prozesse.

2021 seien Jens Clausen zufolge etwa 150.000 Heizungswärmepumpen installiert worden, das seien jedoch nur knapp ei Fünftel (18?Prozent) aller ausgetauschten und neugebauten Heizsysteme. Dieser Anteil müsse sich, so fordert Clausen, möglichst rasch auf vier Fünftel (80?Prozent)  steigern. Er ergänzt, dass das Ziel sein müsse, für diese Heizsysteme möglichst schnell nur noch Wärmepumpen oder den Anschluss an Wärmenetze zuzulassen.

Um den somit absehbar wachsenden Bedarf am Wärmepumpen zu decken, müssten demnach modernste Produktionsanlagen dafür entstehen. Ziel sollte es sein, ab 2025 etwa 800.000 möglichst langlebige Wärmepumpen pro Jahr zu produzieren und ihren Preis gegenüber dem heutigen Niveau zu halbieren.

Der für den Betrieb der Wärmepumpen erforderliche Strom müsse und könne erneuerbar erzeugt werden – das hätten die S4F in mehreren Studien gezeigt.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz plant den Ausbau von Wind- und Solarenergie. Claudia Kemfert, Expertin für Energiewirtschaft und Co-Autorin des S4F-Papiers sagt, dass das wichtig sei, um den für die neue Wärmeversorgung erforderlichen Strom bereit zu stellen und den derzeitigen Einsatz von Erdgas zur Stromerzeugung zu senken. Der Ausbau sollte daher so schnell wie möglich vorangetrieben werden. Die verstärkte energetische Sanierung und Umstellung im Industriebereich könne Kemfert zufolge viel Energie einsparen, insbesondere auch mit dem Ausbau von Wärmepumpen.

Solarwärme = ideale Ergänzung zum schnellen Umstieg auf regenerative Energien

Sonnenenergie sei laut den S4F unerlässlich zur regenerativen Stromerzeugung – und ebenso wichtig als Wärmequelle. Solarthermie-Anlagen würden demnach bereits heute komplett in Deutschland und Europa produziert werden und seien damit kurzfristig verfügbar.

10 bis 20 Prozent der hierzulande benötigten Niedertemperaturwärme ließe sich sinnvoll mit Solarthermie-Anlagen bereitstellen.

Anwendungsgebiete der Solarthermie seien Ulrike Jordan, Spezialistin für thermische Anlagentechnik, zufolge

  • Privathaushalte,
  • gewerbliche und industrielle Prozesse (Prozesswärme)
  • und das Einspeisen in Wärmenetze.

Ein großer Teil des Wärmebedarfs zur Trinkwassererwärmung und auch ein kleinerer Teil des Raumheizungsbedarfs könne problemlos solarthermisch gedeckt werden, erklärt Ulrike Jordan weiter.

Zudem liegt das Anwendungspotential für gewerbliche und industrielle solare Prozesswärme bei etwa 60?TWh pro Jahr. Würde diese Wärmemenge solar erzeugt, würden Solarthermie-Anlagen die Abhängigkeit von Energieimporten verringern und die Energieautarkie Deutschlands und der Europäischen Union steigern.

Arbeitsmarkt = Herausforderung für die Wärmewende

Die S4F stellen fest, dass für die rasche Installation von Wärmepumpen Handwerker gefragt seien. Den Bedarf hatten auch die Heizungsverbände Deutschlands auf der Deutschen Wärmekonferenz 2022 Ende März schon beziffert: 60.000 (wir berichteten). Eine Ausbildungsoffensive für den Wärmepumpeneinbau könne Engpässen vorbeugen, schlagen die S4F vor. Sie würde demnach auch dringend benötigt. Flankierende Maßnahmen im Arbeitsmarkt könnten hier unterstützen.

Energiewende = Energiegeld

Der politisch geplante Ausbau der Wind- und Solarenergie ermögliche den S4F zufolge, dass der extra Strom für die Wärmepumpen erneuerbar sei. Der Umbau des Energiesystems müsse jedoch soziale ausgewogen erfolgen: Die S4F betonen, dass soziale Maßnahmen bei gut durchdachten Entscheidungen zu den gewünschten Entlastungen für die geringeren Haushaltseinkommen führen würden. Sie schlagen ein Energiegeld vor, das nach sozialen Kriterien gestaffelt werden sollte. Dies würde die unteren Einkommen entlasten und zugleich zu einem sparsameren Umgang mit Wärme führen.

Wärmewende = auch Sache der Kommunen

Auch die Kommunen würden demnach einen wichtigen Beitrag zur Wärmewende leisten. In dicht besiedelten Gebieten sollten so schnell wie möglich Zonen für Wärmenetze ausgewiesen werden, bestehende Wärmenetze müssten schnell auf regenerative Wärmequellen umgestellt werden.

In Fernwärmenetze könne demnach

  • Abwärme aus der Industrie,
  • Umweltwärme dank der Nutzung großer Wärmepumpen,
  • Wärme aus Tiefengeothermie,
  • Solarthermie
  • und übergangsweise auch Wärme aus der Verbrennung von Rest- und Abfallstoffen

eingespeist werden. Zur saisonalen Wärmespeicherung sei der Einsatz von Erdbeckenspeichern, also unterirdischen Reservoirs, ebenfalls eine Option.

Vielfach würden die erforderlichen Maßnahmen noch auf politische, rechtliche und ökonomische Regulatorien stoßen, die ein schnelles Umsteuern verhindern, schrieben die S4F in ihrem Wärmewende-Papier. Das sollte angesichts der doppelten Bedrohung

  1. die Importabhängigkeit von russischem Erdgas und
  2. die Klimakrise

sehr schnell geändert werden.

Über die Scientists for Future (S4F)

Scientists for Future (S4F) ist nach eigenen Angaben ein überparteilicher und überinstitutioneller Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die sich für eine nachhaltige Zukunft engagieren. S4F bringt als Graswurzelbewegung den aktuellen Stand der Wissenschaft in wissenschaftlich fundierter und verständlicher Form aktiv in die gesellschaftliche Debatte um Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung ein.

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