Weltklimarat-Teilbericht 2022: Systemwechsel jetzt!

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Leise. Viel zu leise rauschte das Thema IPCC-Bericht 2022 dieser Tage durch den Blätterwald der Medien off- und online. Die deutsche Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer brachte es auf ihrem Twitter-Account auf den Punkt: “Der bahnbrechende Bericht, der aufzeigt, wie unwahrscheinlich es ist, dass wir als Menschheit noch halbwegs gesammelt aus der Klimakrise raus kommen & erklärt, was wir tun müssen, damit das doch noch passiert, kriegt keine Minute in der Tagesschau. Es macht sprachlos. #IPCC

IPCC-Bericht 2022

Wir ändern das. Wir geben diesem inzwischen dritten Teil des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats (Teil 1 kam im August 2021 raus, Band 2 im Februar 2022) hier den Raum, der ihm gebührt. Denn wir müssen darüber sprechen! Laut und lauter!

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Laut!

Schon der erste Teilbericht, der die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Erderwärmung aufzeigte, den Klimawandel klar belegte und ihn auch zweifelsfrei uns Menschen zuschrieb, hatte das Zeug, auch den Letzten wachzurütteln und ins Handeln zu bringen. Wir wissen, dass das nicht passierte.

Lauter!

Selbst die eindringliche Warnung, die uns der zweite Teilbericht ist, der aussagt, dass  die Folgen der Klimakrise schon jetzt verheerend sind – und schon bei 1,5 Grad Erderwärmung wohl wesentlich dramatischer ausfallen, als noch vor wenigen Jahren angenommen, wirkte nicht, wie er hätte wirken müssen: alle aktivierend.

Lauter geht’s nicht!

Und jetzt liegt der dritte Teilbericht vor uns. Schwarz auf Weiß. Im Internet könnt ihr ihn hier kostenlos lesen – und zwar in mehreren Versionen:

  • Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger
  • Technische Zusammenfassung
  • Vollständiger Bericht
  • FAQ
  • Kernaussagen

Einfacher geht die Aufbereitung des alarmierenden Inhalts des IPCC-Berichts nun wahrlich nicht.

Weltklima-Bericht: Systemwechsel jetzt!

Im dritten Teil des Weltklima-Berichts geht es zunächst darum, den Status-quo des Weltklimas zu beschreiben. Daher machen die Wissenschaftler hinter dem Bericht als Erstes eine Bestandsaufnahme der Treibhausgasemissionen. Die seien zwar im vergangenen Jahrzehnt langsamer gestiegen als zuvor (und während der Pandemie sogar kurzzeitig gar nicht gestiegen) – doch heute seien sie dafür höher denn je. Und dabei gehe es nicht nur um das Treibhausgas CO2, den Haupttreiber des Klimawandels, sondern auch um die Treibhausgase Methan und Lachgas.

Die Wochenzeitung Die Zeit führt diese Zahlen an und entlarvt damit Deutschland als einen der großen CO2-Verursacher:  Während zum Beispiel Afrika im Jahr 2019 pro Kopf auf einen CO2-Ausstoß von 1,1 Tonnen (t) jährlich komme, läge der vergleichbare Wert in der EU bei 6,5 t und in Deutschland bei 8,5 t. Zum Vergleich den Wert der USA: 16 t.

Der Weltklimabericht zeigt eindrücklich auf, dass nach wie vor die Ärmsten häufig von den Folgen des Klimawandels betroffen seien – während die meisten Emissionen vor allem von reichen Menschen verursacht würden, die damit die große Verantwortung für die Erderwärmung trügen. Demnach stünden 34 bis 45 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf dem Konto der wohlhabendsten 10 Prozent der Weltbevölkerung.

Früher sei diese Ungerechtigkeit sogar noch größer gewesen, schreibt die Zeit weiter: So hätten von 1850 bis 2019 die “am wenigsten entwickelten Länder” nur 0,4 Prozent der Emissionen zu verantworten – gleichwohl rund 10 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern lebten, die die Vereinten Nationen dazu zählten.

Der dritte Teil des Weltklimaberichts sieht nur eine Möglichkeit, die Erderwärmung zu stoppen: Wenn wir verhindern wollten, dass die Temperatur nicht um mehr als 1,5 Grad Celsius  (oder 2 Grad Celsius) gegenüber dem vorindustriellen Niveau steige, dann müssten wir es schaffen, den globalen CO2-Ausstoß so zu drosseln, dass er zwischen 2020 und 2025 seinen Höhepunkt erreiche. Anders ausgedrückt: Der globale CO2-Ausstoß müsste ab 2025 sinken.

Wollten wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, müsste die Treibhausgasmenge bereits im Jahr 2030 43 Prozent unter dem Wert von 2019 liegen. Spätestens zu Beginn der 2050er-Jahre müsste sich die Welt dann komplett CO2-neutral “drehen” – und zwar durch die Bank weg in allen Bereichen: Wirtschaft, Energie, Mobilität, Wärme & Kühlung, Ernährung und mehr.

Um das de facto Unmögliche zu schaffen, müssten wir zugleich kompensieren, indem wir alle künftigen unvermeidbaren Treibhausgasemissionen wieder aus der Atmosphäre zögen, beispielsweise mit gezieltem Aufforsten. Wozu auch angemerkt werden müsse, dass die natürlichen Ansätze mit fortschreitendem Klimawandel an Wirkung verlören.

Overshoot ist kaum vermeidbar

Den Wissenschaftlern zufolge müssten wir, selbst wenn es gelänge, den Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Gard zu begrenzen, damit rechnen, dass es zur Mitte des Jahrhunderts hin zu einem sogenannten Overshoot käme. Das bedeute, dass die globale Durchschnittstemperatur in den 2050er-Jahren um mehr als 1,5 Grad steigen und anschließend sinken würde , weil wir die Emissionen langfristig wieder aus der Atmosphäre zögen. Aber: Die Folgen der Erderwärmung über 1,5 Grad bekämen wir dennoch zu spüren.

Der neue Klimabericht macht klar: Viele Länder haben in den zurückliegenden Jahren neue Maßnahmen eingeführt, sich Klimaziele gesetzt oder sogar ihre künftige Klimaneutralität datiert. Doch es gebe dabei große Lücken. Schon die selbst gesetzten Ziele der Staaten würden nicht ausreichen.

Mit den gegenwärtigen Ambitionen sei das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichbar, und selbst das 2-Grad-Ziel werde zur Herausforderung, wenn wir die Ziele nicht bis 2030 nachschärften. Das sagt Volker Krey, der Leitautor des vierten Kapitels des Teilberichts.

Versäumnisse diesbezüglich sieht der IPCC nicht nur beim Festlegen der Klimaschutzziele, sondern auch aber bei deren Realisierung. Umsetzung. Mit ihren derzeitigen Klimaschutzmaßnahmen würden die meisten Länder ihre eigenen Ziele verfehlen und die Welt im Jahr 2100 wohl eher auf 3,2 Grad zusteuern.

Da helfe nur ein Systemwechsel. Und zwar jetzt.

Nicht klimafreundlich, sondern klimaneutral!

Der Systemwechsel muss kommen. Wir müssten dafür in allen Bereichen konsequent umschalten: weg von klimafreundlich, hin zu klimaneutral. Andernfalls, so schreiben die Wissenschaftler im IPCC-Bericht, würde die Temperaturwende jahrzehntelang stagnieren.

Der Weg dahin muss von jedem von uns gegangen werden. Indem wir unser Verhalten  änderten, könnten wir laut dem Weltklimabericht in einzelnen Bereichen 40 bis 70 Prozent der Emissionen einsparen. Vom Einsparpotential beim Fleischkonsum war  selbst Felix Creutzig überrascht, der koordinierender Leitautor vom fünften Kapitel des Berichts, das unter anderem soziale Aspekte beim Klimaschutz thematisiert. Einen großen Unterschied würde auch der grundsätzliche Umbau der Infrastruktur, von Radwegen bis zu elektrischen Sammeltaxis, machen.

Mehr Konsum bedeutet nicht (mehr): mehr Wohlstand!

Klimaschutz, so zeigt der Bericht, bringe Vorteile, die sich mit Geld nicht aufwiegen ließen:

  • So verbessere die Elektrifizierung in Industrie und Verkehr die Luftqualität, so dass insbesondere Ballungsgebiete (luft)gesünder würden.
  • Auf dem Feld führe Klimaschutz oft zu Artenschutz.
  • Wer mehr pflanzliche Lebensmittel esse, der lebe gesünder.

Das Narrativ, dass mehr Konsum auch mehr Wohlstand bedeute, sei empirisch nicht mehr haltbar, sagte Felix Creutzig.

Wir müssen grundsätzlich auch über grünen Konsum sprechen. Denn selbst dann, wenn alles, was sich konsumieren ließe, grün wäre, gelte: Weniger (grün) ist mehr (Klimaschutz)!

Der Klimawandel wird den Wohlstand in reichen Ländern schmälern und so das Leben dort unkomfortabler machen. Aber: In ärmeren Ländern geht er den Menschen ans Leben! Naturkatastrophen werden häufiger, mehr Ernten werden verloren gehen, die globale Dauerkrise wird auch der Weltwirtschaft zusetzen. Wie sehr, das hängt davon ab, was die politischen “Entscheidungsfäller” jetzt aus dem neuen Sachstandsbericht des IPCC machen. Wir brauchen den Systemwechsel. Jetzt!

Klimaschutz kostet viel. Kein Klimaschutz kostet mehr!

Der Weltklimarat erklärt in seinem Bericht auch, dass der Systemwechsel teuer wird. Wobei nicht so teuer, wie uns kein Klimaschutz zu stehen käme. Regierungen und Unternehmen müssten demnach viel Geld investieren. Besonders in der Industrie, wo beispielsweise die Stahlindustrie für die Netto-Null bei Emissionen ihre Herstellungsprozesse komplett von Kohle auf Wasserstoff umstellen müsste, was auch neue Anlagen voraussetze. Das koste dem Bericht zufolge Milliarden, sei aber machbar.

Auch machbar sei dem Bericht nach das Senken der Emissionen bis zum Jahr 2030 um die Hälfte – pro t CO2 würde das nur 100 US-Dollar kosten. Auch für die angestrebte Energiewende gäbe es demnach schon gute Voraussetzungen. Von 2010 bis 2019 seien die Kosten pro Einheit für Solarenergie um 85 Prozent, für Windenergie um 55 Prozent und etwa bei Lithium-Ionen-Batterien um 85 Prozent gesunken, heißt es im Bericht. Die Energiewende sei damit spürbar erschwinglicher geworden.

Auch Wissenschaft und Forschung würden laut dem Bericht des Weltklimarats daraufhin weisen, dass sich Klimaschutz rechne. Strenge Klimaschutzmaßnahmen seien demnach zwar vergleichsweise teuer, würden sich langfristig jedoch lohnen und schnellere Erfolge bringen.

Was wir jetzt brauchen: Einheit. Gemeinsamkeit. Taten.

Der Weltklimarat sagt uns seit Langem: Die Folgen der Klimakrise könnten wir nur dann abmildern (es geht nicht mehr um verhindern!) , wenn sämtliche Staaten der Welt sämtliche verfügbaren Ressourcen und ihre volle politische Aufmerksamkeit darauf ausrichten würden.

Die Bedeutung dessen ist groß. Darum reden wir hier darüber! Spread the word!

Foto: Titel des IPCC-Berichts