STOPP Bundesverfassungsgericht stoppt GEG

Bundesverfassungsgericht stoppt den Gesetzgebungsprozess zum neuen GEG

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Diese Woche sollte das neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) vom Bundestag beschlossen werden. So der Plan der Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Doch diesen Plan durchkreuzte jetzt das Bundesverfassungsgericht, das der Oppositionspolitiker Thomas Heilmann (CDU) angerufen hatte. Die Verfassungsrichter gaben seinem Eilantrag auf eine einstweilige Anordnung statt, die dem Bundestag die abschließende Beratung und Abstimmung über das neue GEG untersagt, wenn der Gesetzentwurf den Abgeordneten nicht mindestens 14 Tage vorher schriftlich vorliegt – was nicht der Fall war.

Damit stoppte das Bundesverfassungsgericht den endgültigen Parlamentsbeschluss keine 48 Stunden vorab. Laut der Tagesschau online hätte der Bundestagsabgeordnete Heilmann argumentiert, dass seine Rechte als Abgeordneter mit dem  Gesetzgebungsverfahren erheblich verletzt worden seien: Schließlich könnten wegen der verkürzten Beratungen zur Novelle des GEG im Parlament keine konzeptionellen Schwächen des Gesetzespakets aufgezeigt und geändert werden.

Auf seiner Internetseite teilte das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch mit (Pressemitteilung Nr. 63/2023), dass der Eilantrag gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens zum GEG erfolgreich sei. Mit dem zughörigen Beschluss vom 5. Juli 2023 – 2 BvE 4/23, habe 

der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts dem Deutschen Bundestag aufgegeben, die zweite und dritte Lesung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Änderung des Gebäudeenergiegesetzes und zur Änderung der Kehr- und Überprüfungsordnung“ (im Folgenden: Gebäudeenergiegesetz) nicht innerhalb der laufenden Sitzungswoche durchzuführen.”

Im Gerichtsbeschluss heißt es weiter, dass der Antragsteller, ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, sich vom Gesetzgebungsverfahren in seinen Rechten als Mitglied des Deutschen Bundestages verletzt sehe. Sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung habe nach Ansicht der Verfassungsrichter in der Sache Erfolg.

Der Hauptsacheantrag im Organstreitverfahren erscheine den Verfassungsrichtern jedenfalls mit Blick auf das Recht des Antragstellers auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. (dazu mehr weiter unten)

Die demgemäß vom Bundesverfassungsgericht vorzunehmende Folgenabwägung habe zu dem Ergebnis geführt, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen würden. Unter den besonderen Umständen des Einzelfalls überwiege das Interesse an der Vermeidung einer irreversiblen Verletzung der Beteiligungsrechte des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gegenüber dem Eingriff in die Verfahrensautonomie des Deutschen Bundestages, der die Umsetzung des Gesetzgebungsverfahrens lediglich verzögere.

Die Entscheidung sei mit 5:2 Stimmen ergangen.

Werdegang des GEG – was bisher geschah

Das Bundesverfassungsgericht legt in seiner Pressemeldung den Sachverhalt ausführlich dar:

  • Demnach habe das Bundeskabinett am 19. April 2023 die Einbringung des Entwurfs zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes beschlossen (wir berichteten). Der Bundesminister der Finanzen habe dabei zu Protokoll gegeben, dem GEG-Entwurf in dem Bewusstsein zuzustimmen, dass die Fraktionen des Deutschen Bundestages diesen im parlamentarischen Verfahren intensiv beraten und auch weitere Änderungen vornehmen würden.
  • Der Gesetzentwurf sei dann am 17. Mai 2023 in den Bundestag eingebracht worden (BTDrucks 20/6875).
  • Am 13. Juni 2023 hätten die Koalitionsfraktionen ein 2-seitiges Papier mit dem Titel „Leitplanken […] zur weiteren Beratung des Gebäudeenergiegesetzes“ vröffentlicht. Dieses habe eine Aufzählung von den Gesetzentwurf modifizierenden und im weiteren Verfahren zu beratenden „Gesichtspunkten“ enthalten.
  • Der Gesetzentwurf sei dann am 15. Juni 2023 in erster Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und an den Ausschuss für Klimaschutz und Energie überwiesen worden.
  • Der Ausschuss habe am 21. Juni 2023 eine Sachverständigenanhörung zum ursprünglichen Gesetzentwurf durchgeführt, wobei die sogenannten Leitplanken berücksichtigt worden seien.
  • Auf Antrag der Koalitionsfraktionen habe am 27. Juni 2023 eine Sondersitzung des Ausschusses stattgefunden. In deren Verlauf sei der Termin für eine zweite Anhörung mehrheitlich auf den 3. Juli 2023 festgelegt worden – unter der Voraussetzung, dass die Änderungsanträge bis Freitag, den 30. Juni 2023, vorlägen.
  • Am 27. Juni 2023 hätten Vertreter der Koalitionsfraktionen die Ergebnisse ihrer Verhandlungen zu noch offenen Punkten des GEG vorgestellt.
  • Am 30. Juni 2023 sei dem Ausschuss für Klimaschutz und Energie die „Formulierungshilfe des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz  (BMWK) für einen Änderungsantrag“ der Koalitionsfraktionen vorgelegt worden. Sie habe eine 94-seitige Synopse des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und der Änderungsvorschläge sowie einen 14-seitigen Begründungsteil enthalten.
  • Die zweite öffentliche Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie habe am 3. Juli 2023 stattgefunden.
  • Am Nachmittag des 4. Juli 2023 hätten die Koalitionsfraktionen einen Änderungsantrag zum Entwurf des GEG vorgelegt.
  • Am Morgen des 5. Juli 2023 habe der Ausschuss erneut beraten.
  • Nach Angaben des Antragsgegners sollen am 7. Juli 2023 die zweite und dritte Lesung mit der Schlussabstimmung im Deutschen Bundestag stattfinden.

Der Antragsteller begehre laut Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache im Wege eines Organstreitverfahrens die Feststellung der Verletzung seiner Rechte als Mitglied des Deutschen Bundestages durch das Gesetzgebungsverfahren zum GEG. Der damit verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ziele darauf ab, dem Deutschen Bundestag die zweite und dritte Lesung des vorgenannten Gesetzentwurfs vorläufig zu untersagen, solange nicht allen Abgeordneten die wesentlichen Textpassagen des für die zweite Lesung maßgeblichen Gesetzentwurfs mindestens 14 Tage vorher zugegangen sind.  

So kamen die Bundesverfassungsrichter zu ihrer Entscheidung, den parlamentarischen Lauf des GEG vorerst zu stoppen

Bundesverfassungsrichter erklären Heilmanns Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als zulässig

Diese Entscheidung begründeten sie so: Mit einer einstweiligen Anordnung dürfe die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache si demnach anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache, wenn nicht deckungsgleich, so doch zumindest vergleichbar sien. Hieran gemessen begehre der Antragsteller mit dem Eilantrag keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.

Der Erlass der einstweiligen Anordnung habe zwar zur Folge, dass der Entwurf des GEG in der laufenden Sitzungswoche nicht in zweiter und dritter Lesung beraten und beschlossen werden könne. Damit werde aber nicht zugleich über den weitergehenden Feststellungsantrag in der Hauptsache entschieden und insbesondere keine erst dort zu prüfende Verletzung der Abgeordnetenrechte des Antragstellers festgestellt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei auch begründet

  1. Der Antrag im Organstreit erscheine zum derzeitigen Zeitpunkt jedenfalls mit Blick auf das Recht des Antragstellers auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

a) Insbesondere könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens einschließlich der Terminierung der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag einen statthaften Antragsgegenstand bilde. Dass die Ausgestaltung eines Gesetzgebungsverfahrens in seiner Gesamtheit möglicherweise die Beteiligungsrechte des einzelnen Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen und damit tauglicher Gegenstand eines Organstreits sein könne, liege ungeachtet der Frage, ob einzelne Akte in diesem Verfahren nur vorbereitenden Charakter hätten, auf der Hand.

b) Der Antrag im Organstreit sei zum derzeitigen Zeitpunkt nicht offensichtlich unbegründet.

aa) Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantiere den Status der Gleichheit der Abgeordneten in einem formellen und umfassenden Sinn. Danach seien alle Abgeordneten berufen, gleichermaßen an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken. Den Abgeordneten stehe nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht, zu beraten. Dies setze eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus. Die Abgeordneten müssten dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können. Welche Bindungen sich aus dem Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten an der parlamentarischen Willensbildung für die Ausgestaltung von Gesetzgebungsverfahren ergäben, habe der Senat bisher nicht entschieden. Zwar sei es der Parlamentsmehrheit (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG) grundsätzlich vorbehalten, die Prioritäten und Abläufe bei der Bearbeitung von Gesetzgebungsverfahren zu bestimmen. Auch wenn ihr dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, spreche einiges dafür, dass die Verfahrensautonomie die Parlamentsmehrheit nicht von der Beachtung des durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Status der Gleichheit der Abgeordneten entbindee und das Abgeordnetenrecht verletzt werde, wenn es bei der Gestaltung von Gesetzgebungsverfahren ohne sachlichen Grund gänzlich oder in substantiellem Umfang missachtet werde.

bb) Hieran gemessen sei der Antrag auf Feststellung einer Verletzung der Beteiligungsrechte des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht offensichtlich unbegründet. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens erscheine den Verfassungsrichtern offen. Aufgrund der besonderen Umstände bei der Durchführung des streitgegenständlichen Gesetzgebungsverfahrens bedürfe die Frage, ob die Wahrnehmung der Verfahrensautonomie der Parlamentsmehrheit vorliegend in ausreichendem Umfang den verfassungsrechtlich garantierten Beteiligungsrechten des Antragstellers Rechnung getragen habe, eingehender Prüfung.

Der Antragsgegner selbst räume demnach eine erhebliche Verdichtung der zeitlichen Abläufe und eine „nicht geringe Komplexität“ des Beratungsgegenstandes ein. Auch wenn der Parlamentsmehrheit bei der Gestaltung der Verfahrungsabläufe ein verfassungsrechtlich garantierter weiter Gestaltungsspielraum zukomme und bei dem dargestellten Geschehensablauf die Fristen, die die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages für die zweite Beratung eines Gesetzentwurfs vorsehe (§ 81 Abs. 1 Satz 2 GO-BT), gewahrt worden sein dürften, bedürfe es näherer, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht leistbarer Prüfung, ob die Beteiligungsrechte des Antragstellers vorliegend ohne ausreichenden sachlichen Grund in substantiellem Umfang beeinträchtigt worden seien und sich die von der Parlamentsmehrheit gewählte Verfahrensgestaltung als eine rechtsmissbräuchliche Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens darstelle.

  1. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei vorliegend für eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache kein Raum. Könne nicht festgestellt werden, dass sich der in der Hauptsache gestellte Antrag von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist, oder könne das Bundesverfassungsgericht die Hauptsache nicht so rechtzeitig entscheiden, dass hierdurch die absehbaren schweren Nachteile vermieden werden, könne die einstweilige Anordnung gerade – wie hier – deshalb nötig werden, weil dem Gericht die erforderliche Zeit für eine gewissenhafte (wenn auch nur summarische) Prüfung der Rechtsfragen fehle, die für die Entscheidung der Hauptsache erheblich sei.
  2. Die demgemäß vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung führte zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen würden.

a) Erginge die einstweilige Anordnung und bliebe dem Antrag in der Hauptsache der Erfolg versagt, käme es zu einem erheblichen Eingriff in die Autonomie des Parlaments beziehungsweise der Parlamentsmehrheit und damit in die originäre Zuständigkeit eines anderen obersten Verfassungsorgans. Von einem solchen Eingriff sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich abzusehen. In der vorliegenden Konstellation sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Verabschiedung des GEG zu einem sein Inkrafttreten ab dem 1. Januar 2024 nicht berührenden Zeitpunkt ohne Weiteres möglich bliebe. Insoweit weist der Antragsteller darauf hin, dass der Antragsgegner noch für den laufenden Kalendermonat eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages anberaumen könnte.

Soweit der Antragsgegner darauf abstelle, dass bei einer Absetzung der Lesungen von der Tagesordnung in dieser Sitzungswoche eine Verabschiedung durch den Bundesrat und damit ein Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erst anlässlich der nächsten regulären Sitzung des Bundesrates Ende September möglich sei, übergehe er, dass der Präsident des Bundesrats zu dessen Einberufung verpflichtet sei, wenn die Bundesregierung dies verlange.

b) Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte der Antrag in der Hauptsache (jedenfalls) hinsichtlich des geltend gemachten Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe des Antragstellers an der parlamentarischen Willensbildung Erfolg, käme es zu einer irreversiblen, substantiellen Verletzung dieses Rechts. Dem Antragsteller wäre unwiederbringlich die Möglichkeit genommen, bei den Beratungen und der Beschlussfassung über das GEG seine Mitwirkungsrechte in dem verfassungsrechtlich garantierten Umfang wahrzunehmen. Die irreversible und substantielle Verletzung seiner Beteiligungsrechte wirke sich im Verhältnis zwischen den Verfassungsorganen zu Lasten des Parlaments und seiner Autonomie aus. Etwas Anderes folge entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht aus dem Umstand, dass ein Erfolg in der Hauptsache möglicherweise positive Auswirkungen auf die Ausgestaltung künftiger Gesetzgebungsverfahren hätte.

c) Der Senat weiche mit der einstweiligen Anordnung von dem Antrag des Antragstellers ab, um die nach der Folgenabwägung betroffenen Rechte zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Hierbei berücksichtige der Senat insbesondere, dass der Eingriff in die Autonomie des Parlaments über die Bestimmung seiner Verfahrensabläufe so gering wie möglich zu halten sei und der Antragsgegner die weitere Terminierung der Verfahrensschritte des vorliegend in Streit stehenden Gesetzgebungsverfahrens unter Beachtung der hier in die Folgenabwägung eingestellten Rechte vornehmen werde.

Foto: Andreas F./Photocase