Interview 30 Jahre ParadigmaStefan Abrecht

30 Jahre Paradigma – Interview mit Stefan Abrecht

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Heute erwartet euch ein besonders spannendes Interview in unserer Reihe “30 Jahre Paradigma”: Denn unser Interviewpartner ist Stefan Abrecht – der Mann, der maßgeblichen Anteil an der Technik der Kollektoren von Paradigma hat, insbesondere der des Aqua-Plasma-Kollektors. Lest hier, wie Stefan Abrecht zur Solarenergie kam und was ihn bis heute in deren Dienst hält.

Stefan Abrecht, Sie haben lange Zeit für Paradigma gearbeitet und maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des Aqua-Plasma-Kollektors. Stellen Sie sich doch bitte kurz vor!

Stefan Abrecht: Danke für die Blumen, das tue ich gerne. Fangen wir vorne an. 1980 las ich ein Buch „Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“. Ich muss sagen, der Titel  ist wahnsinnig aktuell und der Inhalt gleichfalls, obwohl das fast 40 Jahre her ist. Es gab meinem Leben ein Wende und  ich wusste schon lange, bevor ich mein Maschinenbaustudium begann, dass ich mein Leben der Sonnenenergie voll und ganz widmen werde.

So war es dann wohl mehr Fügung als Zufall, dass ich direkt nach meinem Abschluss als Diplomingenieur im Jahr 1989 in der Kallhardtstraße 30 in Pforzheim auf Klaus Taafel und Alfred Ritter (die Gründer von Paradigma – Anmerkung der Redaktion) traf. Nach meiner Präsentation sollte ich nach ihren Vorstellungen am liebsten gleich nächste Woche anfangen. Aufgrund meiner Heirat und Hochzeitsreise verschob sich der Eintrittstermin dann etwas, sodass ich im September als Mitarbeiter No. 15 meine Arbeit aufnahm. Es war eine sehr intensive und dynamische Zeit, in der ich von der Produktentwicklung, Fertigungsaufbau, Handwerkerschulung, Dokumentationserstellung bis zur Handwerker- und Endkundenbetreuung unglaublich viele verschiedene Aufgaben hatte, ohne dass mich jemand damit explizit beauftragte. Es war eine Zeit, in der man einfach Verantwortung übernahm und unausgesprochen das entsprechende Vertrauen der Geschäftsleitung genoss. In dieser Zeit entstand der legendäre Paradigma-Spirit, den bis heute viele Mitarbeiter und nicht nur die alten Hasen in sich tragen.

Was hatten Sie genau mit dem Kollektor zu tun?

Ich war aufgrund meiner thermodynamischen Kenntnisse sehr gut mit der Theorie von Sonnenkollektoren vertraut. Als Paradigma aufgrund des starken Wachstums und auch der eigenen Ansprüche an höchste Effizienz bereits im Jahr 1991 Bedarf an einem eigenen Flachkollektor hatte, war es selbstverständlich meine Aufgabe, diesen Kollektor zu entwickeln, die Produktionsstätte auszuwählen, diese auf den neusten Stand zu bringen und zu betreuen.

Es entstand der Großflächen-Flachkollektor Solar in den Größen von 3,5 bis 7, 5 m², der sich sehr gut für Einfamilienhäuser eignete, aber auch schon Mitte der 1990er Jahre bei den ersten Großanlagen in Friedrichshafen und Neckarsulm erfolgreich zum Einsatz kam. Obwohl die Paradigma-Gemeinde zu diesem Zeitpunkt aus eingefleischten Flachkollektor-Anhänger bestand, wusste wir damals schon, dass wirklich effiziente Sonnenkollektoren besser wärmegedämmt sein müssen, um die Heizung nennenswert zu unterstützen beziehungsweise zum überwiegenden Teil zu übernehmen.

Verbesserungen am Flachkollektor hätten uns dabei aber nur kleine Schritte bis zu einem klar absehbaren Ende vorangebracht. Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann ein Vakuumröhren-Kollektor unumgänglich war. Nach einem erfolglosen Intermezzo mit einem zugekauften und ungeliebten Heatpipe-Röhrenkollektor stand der Paradigmenwechsel zum CPC-Röhrenkollektor an.

Was war einst die große technische Herausforderung, die der Kollektor schließlich nahm?

Technische Herausforderungen gab und gibt es immer. Das Schöne an der Technik ist, dass man technische Lösungen, sofern sie nicht den physikalischen Gesetzen widersprechen, einfach sukzessive mit Beharrlichkeit entwickeln kann – das war und ist auch heute noch vielfach meine Aufgabe.

Viel schwieriger ist es, Menschen von der besseren Technik zu überzeugen. Dies ist uns gemeinsam mit dem Vertrieb mit dem neuen CPC 14/21 ab 1996 gelungen. Viele Flachkollektor-Hardliner unter den Paradigma-Partnern machten zunächst mit großer Skepsis den Selbstversuch mit einer eigene CPC-Anlage – und waren begeistert: Wärme aus der Solarleitung auch bei starker Bewölkung und Temperaturen bis zu 300 Grad Celsius ließen die Vorbehalte sehr schnell verschwinden.

Dieser Erfolg war so eigentlich nicht geplant, sodass bald schon die eigene Fertigung unter dem Dach der neuen Tochterfirma Ritter Solar in Dettenhausen in Betrieb ging. Nebenbei wurde der CPC -Kollektor in kürzester Zeit mit einer völlig neuen Baureihenkonzeption konstruktiv und hydraulisch unter höchsten ökologischen Ansprüchen bei Produktion, Betrieb und auch beim Recycling neu erfunden.

Dieses Grundkonzept ist auch heute 20 Jahre später immer noch der Maßstab in der Branche und wurde daher auch vielfach kopiert aber nie erreicht.

Sehen Sie den Kollektor als „Ihr Baby“?

Als Vater habe ich sieben Jahre in Teilzeit die Erziehung unsere Kinder mit meiner Frau geteilt und weiß, was es bedeutet, Babys zu haben. Daher würde ich den Kollektor nicht als mein Baby betrachten, zumal dieses Baby, wenn wir es denn doch so nennen wollten, viele Väter hat.

Vielleicht habe ich technisch gesehen den größten Anteil daran, dass ein höchsteffizientes Produkt entstanden ist.

Vergessen darf man aber nicht, dass es herausragender Produktmanager, Marketing- und Vertriebsleute bedurfte und bedarf, dass es auch ein finanzieller und nachhaltiger Erfolg wird. Nicht zu vergessen ist eine Geschäftsleitung, die Dir auch in schwierigen Zeiten den Rücken stärkt, wenn die Lösung noch nicht fertig auf dem Tisch liegt.

Ohne Marketing und Vertrieb nützt das beste Produkt nichts, das habe ich auch erst lernen müssen. Umgekehrt gilt natürlich auch, dass nur ausgezeichnete qualitativ hochwertige Produkte letztlich auch langfristig den Erfolg sichern.

Ich würde also sagen, der Kollektor entstand mit einer ausgezeichneten Mannschaftsleistung und hervorragenden Könnern auf den Einzelpositionen. Das ist auch das besondere an Paradigma bzw. der Ritter Energie- und Umwelttechnik GmbH & Co. KG, dass das immer ein Magnet für die besten ihrer Klasse war und ist.

Ich glaube, es gibt viele exzellente Experten – aber nirgendwo in der Branche gibt es eine solche Dichte, darauf kann man stolz sein und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Ein persönliches Highlight von mir möchte ich dennoch erwähnen. Es ist das AquaSystem, das Paradigma 2004 aus einer Sackgasse katapultiert hat und einen atemberaubenden Wandel von Glykol- zu Wassersystemen vollzogen hat.

Was verbindet Sie mit Solarthermie und welches Potential hat diese in Ihren Augen?

Solarthermie ist eine Basistechnologie zur CO2-freien Wärmeversorgung und unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende, die heute vielfach nur noch als Stromwende verstanden wird. Das Potential ist riesig und kann nur mit unvorstellbar hohen Zahlen aus Studien belegt werden. Es ist so groß, dass wir in Zukunft alle Mühe haben werden, den Bedarf an solarthermischen Systemen zu decken. Zuvor müssen wir allerdings den Menschen die Solarthermie erst wieder nahebringen, denn Solaranlagen sind im Volks- und Politikermund heute nur noch Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen).

Stefan Abrecht , Sie sind auch nach Ihrer Zeit bei Paradigma im Dienste der Solarthermie aktiv – erzählen Sie doch bitte kurz, was Sie derzeit tun!

Nach beinahe 20 Jahren bei Paradigma/Ritter wuchs bei mir die Erkenntnis, dass es Zeit wird, die Komfortzone zu verlassen und Neues auszuprobieren. Ich machte mich zunächst selbständig und gründete dann die Solar-Experience GmbH.

Als Ingenieur und Thermodynamiker liegt mir natürlich nach wie vor die Technik, Verbesserung  und Neuentwicklung von solarthermischen Produkten und Systemen am Herzen, was ich in bekannter Qualität gerne für meine Kunden ausführe. Daneben bin ich auch als Industrievertreter bei der Normungsarbeit in Deutschland, Europa und auch weltweit tätig. Dabei unterstütze ich Verbände wie den BSW Solar bei schwierigen Fragestellungen, was Verordnungen und Normen angeht.

Außerdem bin ich Sachverständiger für DIN CERTCO für das freiwillige Kollektorertragslabel SOLERGY. Dieses Label ist meine Antwort auf eine unzureichende EU-Verordnung zum Labeling von Heizsystemen, bei dem man die Solarthermie einfach als Effizienztechnologie abgestempelt und nicht wie erforderlich als einziger CO2 freier Wärmeerzeuger gewürdigt hat. Immer mehr Firmen erkennen, dass es ohne eine solche endkundengerechte Klassifizierung nicht möglich sein wird,  die Solarthermie wettbewerbsfähig gegenüber zum Beispiel der PV zu machen, da kaum jemand draußen wirklich noch weiß, dass solare Wärme mit 3- bis 4-fachem Jahreswirkungsgrad gegenüber Solarzellen deutlich im Vorteil ist.

Wir haben daher die Initiative Sonnenheizung gegründet, die hier unabhängig von Verbands- und Firmeninteressen eine breite Öffentlichkeit mit endkundengerechten Informationen zur solaren Wärme in deutscher und englischer Sprache versorgt.

Stefan Abrecht als Heat Changer
Stefan Abrecht als Heat Changer – und einer der beiden Köpfe hinter der gleichnamigen Kampagne. Foto: Stefan Abrecht

Maßgeblich wird die Initiative und deren Arbeit von Marisol Oropeza, ebenfalls frühere Ritter-Mitarbeiterin, und mir betreut. Unser aktuelles Projekt ist die Heat Changers Kampagne. Es ist unser Ziel, den Menschen bewusst zu machen, wie

  • kosteneffektiv,
  • zuverlässig
  • und umweltfreundlich

die Solarwärme ist. Dabei kommen die Anwender zu Wort, um ihre positiven Erfahrungen in den sozialen Netzwerken zu teilen. In der aktuell Vorbereitungsphase versammeln wir vor allem die Experten aus der Solarthermiebranche, um die Idee bekannt zu machen und eine breite Basis und Akzeptanz für die Kampagne zu bekommen.

Dabei haben wir festgestellt, dass die einzelnen Experten auch über Firmengrenzen hinweg diese Kampagne lieben. Sie bietet ein gemeinsames Dach für neue Ideen und Wege, die Solarthermie wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Neben vielen international bekannten Experten haben wir auch bei Ritter viele Heat Changer gewonnen – Moritz Ritter gehört auch dazu – das freut uns natürlich besonders.

Die Heat Changer Gemeinde wächst derzeit mit zunehmender Geschwindigkeit und artikuliert sich in den sozialen Netzwerken Twitter, Facebook und Instagram. Ich nutze jetzt gleich auch die Gelegenheit  dafür zu werben – schaut einfach mal auf unsere Website und ich bin sicher, für viele ist das jetzt eine tolle Möglichkeit, mit einer breiten Öffentlichkeit die eigenen guten Erfahrungen zu teilen und die Solarthermie wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen.  Wir freuen uns auf Euch und Eure Kurzberichte und Statements!

Was wünschen Sie Paradigma zum 30. Geburtstag?

Weiterhin viel Innovationskraft, um die Solarthermie und das ökologische Heizen  wieder nach vorne zu bringen. Mut, Neues zu wagen, denn die Solarwärme und ihre Nutzer brauchen Paradigma und Solarwärme ist Teil der Paradigma-DNA.

Ehrlich gesagt, ist mir dabei nicht bange.

Mut macht mir Moritz Ritter, der die Geschäfte unaufgeregt und besonnen führt und dabei mit frischem Wind vorantreibt. Er gibt dem Unternehmen Halt und Stabilität in einem schwierigen Marktumfeld und hat auch das unternehmerische Gespür, wann der richtige Zeitpunkt ist, den nächsten Paradigma-Coup zu landen. Mit seiner Position im Vorstand des BSW-Solar hat er auch schon gezeigt, dass die Branche mit ihm rechnen kann. Wir dürfen, glaube ich, noch einiges von ihm erwarten, wenn ich sehe, was er in seiner „relativ kurzen“ Amtszeit schon alles bewegt hat. Ich bin jedenfalls darauf gespannt und freue mich auf die Zukunft.

Stefan Abrecht, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen so ausführlich zu beantworten!

Fotos: Stefan Abrecht