Attentismus bremst Wärmewende

Attentismus bremst Wärmewende

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Das Hin und Her und Her und Hin um das neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) hält nach dem Urteil des Bundesverfassungsgrichts weiter an (wir berichteten). Das bleibt nicht ohne Folgen: Die deutschen Heizungsbetreiber:innen, private, gewerbliche und industrielle, werden mit dem ausstehenden Gesetz und seinen verbindlichen Regelungen in Unsicherheit gelassen. Wer unsicher ist, handelt nicht – frei nach dem Motto: “abwarten und Tee trinken” (Titelfoto). Die Wärmewende im Keller des eigenen Hauses, des Gewerbebetriebs oder Industriebetriebs wird dabei weder geplant noch umgesetzt. Sogenannter Attentismus mache sich breit: Laut der DENEFF, der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V., breche die Nachfrag nach energetischen Gebäudesanierungen und Effizienzmaßnahmen derzeit deutlich ein. 

Was ist Attentismus? (Begriffserklärung)

Der Begriff Attentismus beschreibt ein untätiges, zögerliches und abwartendes Verhalten. Das lateinische Verb “attendere” lässt sich unter anderem mit “abwarten” übersetzen.

In Bezug auf das ausstehende GEG, das laut Medienberichten wie diesem in der Onlineausgabe der Wochenzeitschrift  “Zeit” jetzt erst nach der Sommerpause des Bundestages im September in die zweite und dritte Lesung gehen soll, bedeutet Attentismus: Die deutschen Heizungsbetreiber:innen schieben Handlungsentscheidungen auf, weil sie erwarten, dass sich die heizungspolitische Lage klärt.

Die DENEFF warnt vor Attentismus

Laut der zugehörigen Pressemeldung der DENEFF, die sich dabei auf Brancheninfos beruft, breche derzeit die Nachfrage

Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V. macht dafür die Verunsicherung verantwortlich, die demnach am Markt herrsche:

  • Zum einen hinsichtlich der Verhandlungen zur Novelle des GEG und
  • zum anderen hinsichtlich des bisher ausschließlichen Fokus der Politik auf den Heizungskeller und die Energieversorgung.

Laut der DENEFF fehle es hierzulande an ausreichenden politischen Maßnahmen, um die ambitionierten Klima- und Energieziele in Gebäuden und Industrie zu erreichen. Es habe sich ein gefährlicher Politikattentismus eingestellt, der dazu führe, dass die Planungssicherheit für Investitionen in Energieeffizienz auf der Strecke bleibe. Aufträge würden in vielen Branchen zurückgehen, Fachkräfte drohten wegzubrechen, sagt Christian Noll ggenüber der SBZ. Er ist der geschäftsführende Vorstand der DENEFF.

DENEFF fordert zusätzliche Anreize noch vor den vertagten GEG-Verhandlungen

Entsprechend fordert die DENEFF die Politik auf, jetzt umgehend – das heiße: noch vor den vertagten Verhandlungen zum GEG – auf den Investitionseinbruch zu reagieren, Kürzungen der Fördersätze für Gebäudehülle und Anlagentechnik rückgängig zu machen und zusätzliche Marktanreize zu schaffen.
In Anbetracht der Marktlage sei es demnach fahrlässig, dass mit den Ausschussempfehlungen zum GEG wichtige, ursprünglich geplante Maßnahmen gestrichen worden seien und Anforderungen zur Sanierung des Gebäudebestandes auf die lange Bank geschoben würden. Der Verzicht auf jetzt umsetzbare Maßnahmen werde zum Bumerang für Industrie, Haushalte, Arbeitsplätze und öffentliche Kassen, sagte Christian Noll.
Bei der Novelle des GEG habe die Ampel-Koalition die Energieeffizienz fast vollständig aus dem Blick verloren, kritisiert er weiter. Das Ziel zur Energieeinsparung sei sogar gestrichen worden, ebenso wie die geplante Pflicht zum Austausch alter Umwälzpumpen oder sinnvolle Transparenzanforderungen. Insgesamt herrsche Noll zufolge ein zu starker Fokus allein auf den Heizungskeller und die Energieerzeugung. Das mache sich im Markt nun bemerkbar: Nach der Schlappe im Neubau, drohe nun auch, dass Sanierungen vollständig ausgebremst würden, warnt Noll. Das gefährde die Baubranche als wichtige Konjunkturstütze. Es müssten daher jetzt schnell zusätzliche Impulse geliefert werden. Die Förderangebote und Politik müssen jetzt an den Zielen des Energieeffizienzgesetzes und der EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED) ausgerichtet werden, fordert Noll.
Der Verband fordere die Bundesregierung zudem auf, sich für eine verbindliche Fortschreibung der Primär- und Endenergieziele des Energieeffizienzgesetzes bis 2045 auszusprechen, die kurzfristig vom zuständigen Bundestagsausschuss aus dem Gesetz gestrichen wordn seien. Mit Energieeinsparzielen nur bis 2030 fahre die Ampel effizienzpolitisch nur auf Sicht. Planungssicherheit für Unternehmen sehe aber anders aus, erklärt Christian Noll abschließend.

Auch GIH spricht von Attentismus

Tage zuvor hatte bereits der Bundesverband der Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker e.V. (GIH) von Attentismus gesprochen – und zwar in Bezug auf den GEG-Kompromiss, der ja in vielen Fällen den Einbau von Gasheizungen bis 2028 erlaube, was demnach eine erhebliche Verschleppung der Wärmewende bedeute. Außerdem drohe dem GIH zufolge ein bundesweiter Flickenteppich: Ob ein Fernwärmeanschluss, eine Wärmepumpe oder gar eine andere Heiztechnologie die richtige Lösung sei, das hänge schließlich wesentlich von meist noch nicht abgeschlossenen Planungen einzelner Kommunen ab.

Dies berge laut GIH zwei Gefahren:

  1. Zum einen könnten Hausbesitzer:innen die lange Übergangsfrist als letzten Freischuss für eine Gasheizung verstehen – was sich freilich in Anbetracht der zu erwartenden CO2-Preise als Kostenfalle entpuppen könne.
  2. Zum anderen dürfte die noch über mehrere Jahre fehlende Planungssicherheit Attentismus motivieren: Solange nicht klar sei, welche Heizung am konkreten Standort am besten geeignet sei, werde erstmal abgewartet.

Ein Problem, vor dem auch die Energieberater:innen stehen werden: Dass der neue GEG-Entwurf für jeden Heizungstausch ab 2024 eine Beratung vorsehe, die auf mögliche Auswirkungen der kommunalen Wärmeplanung und eventuelle Unwirtschaftlichkeit hinweise, sei dem GIH zufolge vom Grundsatz her vollkommen richtig.

Zugleich stellt der Bundesverband aber auch die Frage: Was sollen Energieberater:innen ihrer Kundschaft unter solch unklaren Bedingungen raten?

Bei Sanierungen könnte der Ansatz darin bestehen, sich zunächst mit Maßnahmen an der Gebäudehülle auf die Senkung des Energieverbrauchs zu konzentrieren – was ja sowieso immer an erster Stelle stehen sollte – und mit dem Heizungstausch so lange zu warten, bis die Kommune ihre Pläne klar hätte. Was nicht das ist, was der Gesetzgeber eigentlich wolle, aber das, was er mit seinem Kompromiss fast schon zwangsläufig produziere.

Foto: zululord / Photocase