Staat darf fossile Heizungen verbieten Urteil Bundesgericht Schweiz

Schweizer Bundesgericht urteilt: Staat darf fossile Heizungen verbieten

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Das Bundesgericht (BGer) ist das oberste Gericht der Schweiz. Es hat seinen Hauptsitz in Lausanne im Kanton Waadt. Anfang Mai fällte das Schweizerische Bundesgericht eine gewichtige Entscheidung: MIt dem Urteil 1C_391/2022 stellte es klar, dass Klimaschutz wichtiger als Eigentum ist – und: Der Staat darf fossile Heizungen verbieten. Alles, was ihr zum Fall wissen müsst, lest ihr hier!

Auch in Deutschland steht mit dem Diskurs um die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) die Frage im Raum, ob der Staat fossile Heizungen verbieten darf oder nicht. Die Schweiz hat diese Frage jetzt für sich beantwortet: Das oberste Gericht des Landes, das Bundesgericht, urteilte Anfang Mai, dass der Staat fossile Heizungen verbieten darf. Die zugehörige Medienmitteilung des Bundesgerichts findet ihr hier.

Der Fall

In den Medien wird das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 3. Mai 2023 als “wegweisend” bewertet. Mit ihrem Urteil beendeten die obersten Richter der Schweiz einen Rechtsstreit in der Luzerner (LU) Gemeinde Hochdorf. Dort war im Jahr 2019 eine Gemeinde-Initiative lanciert worden: “Hochdorf heizt erneuerbar – ab 2030 erst recht”. Das Volksbegehren hatte gefordert, dass in Hochdorf ab 2030 nur noch erneuerbare Wärme zum Heizen eingesetzt werden dürfe.

Gegenüber derm oben verlinkten Internetportal Blick.ch erklärte der Initiator des Volksbegehrens, Roman Bollinger,  dass man sich “nur noch wenig CO2-Emissionen erlauben” könne, wenn man “die Pariser Klimaziele” erreichen wolle.  Gebäude spielten dem 47-Jährigen zufolge eine zentrale Rolle, denn mit dem Heizsystemwechsel – weg von fossiler hin zu erneuerbarer Wärme – ließen sich beim Heizen Treibhausgasemissionen relativ einfach vermeiden.

Der Hochdorfer Gemeinderat hatte die Initiative im März 2020 allerdings für ungültig erklärt. Seine Begründung lautete: Die Initiative verletze die Eigentumsrechte derjenigen, die eine fossile Heizung besäßen und betrieben.

So landete der Fall vor dem Schweizer Bundesgericht

Deshalb habe sich Roman Bollinger dem Medienbericht zufolge zuerst beim Luzerner Regierungsrat beschwert. Vergebens, denn dieses hätte die Initiative demnach ebenfalls abgelehnt. Auch das Kantonsgericht hätte ihm mit einem Nein geantwortet, schreibt das Internetportal Blick.ch weiter. Bolliger habe seinen Fall deshalb schließlich dem Bundesgericht vorgetragen.

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Das Urteil des Schweizer Bundesgerichts: Staat darf fossile Heizungen verbieten

Und die obersten Richter der Schweiz urteilten jetzt einstimmig. Sie befanden, dass die “Initiative zur Umstellung auf Heizungen mit erneuerbaren Energien” gültig ist. Gegenüber den Medien teilte das BGer mit:

Das Bundesgericht heiße die Beschwerde an seiner öffentlichen Beratung vom 3. Mai
2023 gut und hebe die Ungültigerklärung der Initiative auf. Das Kantonsgericht hatte die mit der Initiative geforderte Regelung als unverhältnismässigen Eingriff in die Eigentumsgarantie (Artikel 26 Bundesverfassung, BV) beziehungsweise in die Besitzstandsgarantie (Paragraf 178 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes) erachtet; der Eingriff sei demnach für Eigentümer unzumutbar, die erst in den vergangenen Jahren ein fossiles Heizungssystem erneuert hätten oder deren bereits vor einiger Zeit installiertes System eine längere Lebensdauer aufweise.

Gemäß Rechtsprechung des Bundesgerichts bestehe grundsätzlich kein Anspruch darauf, dass eine einmal geltende Rechtsordnung beibehalten werde. Das Initiativbegehren mache eine bloß behördenverbindliche Zielvorgabe; über den Weg zum Erreichen dieses Ziels schweige es sich aus. Bei der Frage, ob die mit der Initiative geforderte Maßnahme als verhältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsgarantie erachtet werden könne, gehe es darum, wie hoch die mutmaßlichen Kosten für die Umstellung ausfielen und wer dafür aufkomme. Vorliegend dürfte es den zuständigen Behörden bei einer Annahme der Initiative möglich sein, in der verbleibenden Zeit in der Ausführungsgesetzgebung eine Lösung zur Kostentragung zu finden, die mit der Eigentumsgarantie und der Besitzstandsgarantie vereinbar sei.”

Kurz: Das Gericht erklärte mit  seinem Urteil, dass das Eigentum nicht über dem Klimaschutz stehe. Vielmerhhr sei es umgekehrt: Das öffentliche Interesse überwiege die Bedenken hinsichtlich der Eigentumsgarantie. Mit diesen Worten zitiert Blick.ch den Richter François Chaix (58). Hinzu käme die Bedeutung des Stimmrechts, betonte sein Kollege, der Richter Laurent Merz (58) gegenüber dem Internetportal: Dass das Volk entscheiden könne, sei ein zentrales Element der Schweizer Demokratie. Es sei sehr hoch zu gewichten.

Was passiert nach dem Gerichtsurteil?

Laut Blick.ch müsse der Hochdorfer Gemeinderat die Abstimmung vorbereiten – und sich Gedanken über die konkrete Ausführung machen. Denn das Bundesgericht habe in seinem Urteil auch festgeschrieben, dass es am Gemeinderat sei, allfällige Entschädigungen für betroffene Hausbesitzer festzulegen. Besonders Richter Thomas Müller (58) habe demnach am Mittwoch die Kosten für Eigentümer erwähnt, die erst kürzlich eine fossile Heizung installiert hätten: Er kenne sich in Hochdorf nicht aus. Aber er gehe davon aus, dass man nicht nur von Villenbesitzern spreche.

Das Portal vermutet in seinem Bericht, dass die Zahl der Betroffenen Hochdorfer, Ende 2021 zählte die Gemeinde knapp 10.000 Einwohner, überschaubar sein dürfte: Schon heute würden dort die Hälfte aller Heizungen mit Erneuerbaren betrieben. Seit 2019 seien keine Anträge für Ölheizungen mehr gestellt worden.

Das Bundesgericht habe den Klimaschutz höher gewichtet als das Eigentum. Das sagte die Hochdorfer Gemeindepräsidentin Lea Bischof (65) zur Sonntagsausgabe von Blick.ch. Glücklich hätte sie dabei nicht gewirkt, schreibt das Portal. Dennoch hätte sie bestätigt, dass die Initiative den Stimmberechtigten innerhalb der gesetzlichen Frist vorgelegt werde.

Hochdorfer Volksbegehren ist ein Novum in der Schweiz

Hochdorf sei dem Blick.ch zufolge die erste Gemeinde in der Schweiz, die über ein Verbot fossiler Heizungen entscheide.

Doch das Bundesgerichtsurteil habe demnach Folgen, die weit über das Dorf hinaus gingen: Der Staatsrechtsprofessor Markus Kern (44) von der Uni Bern sagte gegenüber Blick.ch, dass das Urteil “Signalwirkung” habe. Das Bundesgericht hätte ein Zeichen gesendet, dass es Kern zufolge dem Kampf gegen den Klimawandel durchaus mit Offenheit begegne.

Das Recht sei im Grunde konservativ, erklärte Kern demnach weiter. Es bewahre die bestehende Ordnung. Besonders die Eigentumsgarantie werde Laut Markus Kern oft gegen technologische Veränderungen ins Feld geführt. Gerade deshalb sei das Verdikt der Bundesrichter von Bedeutung. In diesem Fall betreffe es fossile Heizungen. Später aber werde sich die gleiche Frage für Autos mit Verbrennungsmotoren stellen und irgendwann auch für fossile Kraftwerke oder Flugzeuge. Oder für Solaranlagen. Zwar finde sich im Schweizer Parlament derzeit keine Mehrheit für eine Solarpflicht für Bestandsgebäude, schreibt Blick.ch und beruft sich dabei auf Anthony Patt (57), Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich. Doch der sagte gegenüber dem Onlineportal, dass das Thema Solarpflicht wieder kommen könnne. Denn wegen des jüngsten Urteils des Bundesgerichts gäbe es weniger rechtliche Einwände, die gegen eine solche Solarpflicht vorgebracht werden könnten.

Das Bundesgericht habe mit seinem Urteil klargemacht, dass die Klimaziele wichtig genug seien, um in bestehende Gebäude einzugreifen und von den Besitzern technische Änderungen zu verlangen, erklärte Patt weiter. Das Urteil mache es dem Schweizer Parlament leichter, einen Ausgleich zwischen den Interessen der heutigen Eigentumsbesitzer und dem Bedürfnis künftiger Generationen nach einem bewohnbaren Planeten zu schaffen.

Foto: Zettberlin/Photocase