dena-Leitstudie 2021

dena-Leitstudie “Aufbruch Klimaneutralität”: Ergebnisse veröffentlicht

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Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat eigenen Angaben zufolge nach 17 Monaten intensiver Arbeit den Abschlussbericht der dena-Leitstudie “Aufbruch Klimaneutralität” veröffentlicht. Daran hätten demnach zehn wissenschaftliche Institute, mehr als 70 Unternehmen sowie ein 45-köpfiger Beirat mit hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft mitgewirkt.  Gemeinsam hätten die Mitwirkenden untersucht, welche Technologiepfade aus heutiger Perspektive realistisch sind und welche Rahmenbedingungen es braucht, um diese bis 2045 in einem integrierten klimaneutralen Energiesystem in Deutschland zu realisieren. Dabei wurden konkrete Lösungssätze und CO2-Reduktionspfade für einzelne Sektoren (Bau, Verkehr, Industrie, Energieerzeugung sowie zu LULUCF) analysiert und identifiziert.

Die dena-Leitstudie liefere der zukünftigen Bundesregierung eine praxisorientierte Perspektive zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2045. Man habe damit insgesamt 84 Aufgaben in zehn zentralen Handlungsfeldern identifiziert, die eines gemeinsam hätten: Jede einzelne Aufgabe sei machbar. Die erforderliche parallele Orchestrierung aller dieser Aufgaben aber sei eine gewaltige Herausforderung. Deutschland müsse neuen Schwung holen in der Energie- und Klimapolitik. Es gelte eine neue Veränderungsdynamik anzustoßen. Weiter so sei keine Option! Energiewende und Klimapolitik müssten besser organisiert, das historische Klein-Klein der vergangenen Jahre überwunden werden. Es bedürfe einer grundlegenden Veränderung der Herangehensweise an diese Jahrhundertaufgabe. Gelinge uns dieser Aufbruch Klimaneutralität, würden wir in der Lage sein, die gesetzlich verankerten Ziele für 2030 zu erreichen. Auch Klimaneutralität im Jahr 2045 könne dann eine erreichbare Perspektive sein. Das erklärt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der dena gegenüber der Presse. Aber: Die konkreten sektorspezifischen Jahresziele für die unmittelbar vor uns liegenden Jahre würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erreicht, erklärt Andreas Kuhlmann weiter. Denn zuviel sei liegen geblieben in den vergangenen Jahren. Dessen sollte sich die neue Bundesregierung unbedingt bewusst sein. Die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen stünden einem zielorientierten effizienten Handeln entgegen und würden so die notwendige Dynamik verhindern.

Klare Worte – schauen wir uns die Ergebnisse der dena-Leitstudie “Aufbruch Klimaneutralität” einmal näher an:

Klimaneutralität fuße auf vier Säulen

Die dena-Leitstudie zeige anhand eines zentralen Szenarios (Szenario Klimaneutralität 100, KN100), wie die Sektorziele im Jahr 2030 und Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden könnten – welche Energieträger und Technologien in welchen Mengen benötigt würden sowie die dafür notwendigen transformatorischen Veränderungen.

Die Studie untersuche vier Pfade zur Zielerreichung, zum Beispiel mit einem höheren Anteil von direkt-elektrischer Nutzung gegenüber einem höheren Anteil von gasförmigen oder flüssigen Energieträgern oder die Auswirkungen von verstärkten gegenüber begrenzten Anstrengungen zur Erhöhung der Energieeffizienz.

Um Klimaneutralität zu erreichen, sei aus technologischer Betrachtung eine Vier-Säulen-Strategie erforderlich:

  1. Die Erhöhung der Energieeffizienz sei demnach eine wesentliche Maßnahme in allen Verbrauchs­sektoren, insbesondere in der Industrie und im Gebäudesektor.
  2. Für den umfassenden direkten Einsatz erneuerbarer Energien sei in vielen Anwendungsbereichen neben der Energieeffizienz­verbesserung eine breite und deutlich beschleunigte Elektrifizierung eine Grund­voraus­setzung.
  3. Neben Strom werden erneuerbare gasförmige und flüssige Energieträger und Rohstoffe benötigt.
  4. Als vierte Säule brauche es technische und natürliche CO2-Senken.

Wir würden nicht alle Emissionen vermeiden können, insbesondere in der Landwirtschaft und der Industrie. Daher müsse die zukünftige Bundesregierung schnell eine Strategie für den Ausbau vorhandener und die Erschließung neuer natürlicher und technischer Senken entwickeln, fordert Andreas Kuhlmann. Ihm zufolge hätten diese vier Säulen unterschiedliche zeitliche Perspektiven. Ihnen allen sei gemein, dass sie erhebliche Anstrengungen in den Aufbau entsprechender Infrastrukturen bedürften. Das gelte für Strom, Gas, Wasserstoff, Wärmenetze und CO2 in gleicher Weise wie für die Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung und die administrative Infrastruktur, gegenwärtig eine der Hauptblockaden für das Aufnehmen neuer Dynamik.

Klimaneutralität gelinge nur mit massiven Anstrengungen in allen Sektoren

Die Energieversorgung sei laut der den-Leitstudie derzeit der größte CO2-Emittent. Reduktionen müssten hier am stärksten und am schnellsten erfolgen, so die dena-Leitstudie.

Klimaneutralität im Energiesektor – das Ziel in Zahlen

Die Rede sei hier von 308 Millionen Tonnen (t) CO2 im Jahr 2018 auf 104 Millionen t CO2 in 2030 und auf -8 Millionen t CO2 in 2045. Zentral sei dabei, dass sich die erneuerbaren Stromkapazitäten bereits bis 2030 mehr als verdoppeln müssten. Die installierte Leistung von Solarenergie zum Beispiel steige von 45 Gigawatt (GW) auf 131 GW, Windenergie an Land von 52 GW auf 92 GW. Die Kohleerzeugung werde demnach im Jahr 2030 marktgetrieben kaum noch eine Rolle spielen, die Nutzung von Erdgas in der Stromerzeugung nehme dagegen bis 2030 zu. Bereits dieser ‚Fuel Switch‘ trüge bis 2030 erheblich zur Emissionsminderung in der Energiewirtschaft bei. Wasserstoff und Powerfuels würden bis 2030 nur eine geringe Rolle spielen. Der Aufbau entsprechender Infrastruktur und Märkte sei aber unabdingbar, denn die Rückverstromung von grünem Wasserstoff werde 2045 nach Windkraft und Photovoltaik zur dritt­wichtigsten Stromerzeugungs­quelle. Bis 2035 spiele sogenannter blauer Wasserstoff eine, wenn auch geringe Rolle, danach gehe er gemäß Modellierung der dena-Leitstudie sukzessive aus dem Markt.

Das brauchen wir dringend für Klimaneutralität im Energiesektor

Für eine klimaneutrale Energieversorgung brauche Deutschland einen beschleunigten, marktbasierten Ausbau der erneuerbaren Energien, der mit einer Vereinheitlichung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und der Bereitstellung von mehr Flächen gelänge. Parallel müssten laut der dena-Leitstudie bis 2030 leistungsfähige Märkte und Infrastrukturen für Powerfuels entstehen. Wichtig sei vor allem eine aktive Begleitung des vorzeitigen Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Dabei gelte es eine Reihe technologischer Anforderungen zu beachten, zum Beispiel diese: Die Versorgungssicherheit in der Transformation erfordere ein neues Konzept mit dem Zubau von gesicherter Leistung und Anreizen für Flexibilitäten. Ohne einen entsprechenden Mechanismus für die Sicherung neuer Kapazitäten werde das nicht möglich sein. Auch auf den Ausbau der Stromnetze und die Wärmeversorgung kämen dabei immense Herausforderungen hinzu, die eine Reihe von absichernden Mechanismen erforderlich machten, erklärt Andreas Kuhlmann in der zugehörigen Pressemeldung.

Klimaneutralität im Industriesektor – das Ziel in Zahlen

Die Industrie folge laut der dena-Leitstudie an zweiter Stelle im Ranking der Verursacher von Emissionen. Hier müsse der Ausstoß allein bis 2030 um rund 36 Prozent sinken, heißt es in der dena-Leitstudie. Nach einer relativen Stagnation in den vergangenen zwei Jahrzehnten bedürfe es zur Erreichung der Minderungsziele im laufenden Jahrzehnt einer durchschnittlichen Absenkung von etwa 8 Millionen t CO2 pro Jahr. Fast 70 Prozent des Minderungsbeitrags entfielen demnach auf die energetischen Emissionen. Die stärksten Veränderungen würden bis 2030 auf die Branchen Stahl und Chemie zukommen.

Das brauchen wir dringend für Klimaneutralität in der Industrie

Für Klimaneutralität in der Industrie brauche Deutschland

  • eine transparente Treibhausgasbilanz in der gesamten Wertschöpfungskette, konsequente Kreislaufwirtschaft,
  • finanzielle Lenkungswirkung über die CO2-Bepreisung,
  • die Schaffung neuer Leitmärkte
  • sowie den schnellen Hochlauf von emissionsarmen Technologien und Produktionsverfahren.
  • Auch der Umbau der Abgaben und Umlagen – insbesondere das unmittelbare Absinken der EEG-Umlage auf null – seien wesentliche Grundlagen für die Aussicht auf Erfolg.

Diese Forderungen stellt Andreas Kuhlmann auf. Die Industrie sei ihm zufolge bis 2045 und bleibe auch langfristig der größte Abnehmer von Wasserstoff zur energetischen und stofflichen Nutzung. Hierfür müssten die notwendigen Voraussetzungen zur Umstellung der Prozesstechnologien sowie zum Aufbau der Infrastrukturen getroffen werden.

Klimaneutralität im Verkehrssektor – das Ziel in Zahlen

Der Verkehrssektor stehe laut der dena-Leitstudie aktuell an dritter Stelle der größten Emissionsverursacher und habe die größte Reduktions­aufgabe aller untersuchten Verbrauchssektoren: Schon bis 2030 müsse der Ausstoß um rund 48 Prozent sinken – von rund 164 auf 85 Millionen t CO2. Die stärkste Minderung müsse im Individual­verkehr erfolgen, gefolgt vom Lkw-Verkehr. Dabei werde im Personenverkehr ein Hochlauf der Elektro­mobilität auf 9,1 Millionen vollelektrische Fahrzeuge beziehungsweise 14 Millionen Fahrzeuge inklusive Hybride bis 2030 als notwendig erachtet. Wasserstoff werde kaum eine Rolle spielen.

Das brauchen wir dringend für Klimaneutralität im Verkehr

Für Klimaneutralität im Verkehrssektor brauche Deutschland laut Andreas Kuhlmann

  • ein Forcieren der Elektromobilität im Individualverkehr,
  • umfassenden Einsatz von Wasserstoff und Powerfuels im Schwerlastverkehr,
  • den intensivierten Ausbau des ÖPNV und eine bessere Verknüpfung mit anderen Mobilitäts­angeboten
  • sowie größere planerischeGestaltungsfreiheit für Kommunen.
  • Wichtig sei Kuhlmann zufolge auch, zu bedenken, dass Förder­instrumente, die im Wesentlichen auf die Zementierung der Individualmobilität ausgerichtet seien, den erforderlichen transformatorischen Veränderungen im Verkehrsbereich eher im Weg stünden.

Klimaneutralität im Gebäudesektor – das Ziel in Zahlen

Im Gebäudebereich müssten die CO2-Emissionen allein bis 2030 um 44 Prozent sinken: von rund 120 auf rund 67 Millionen t CO2. Der Großteil der Minderungen (46,5 Millionen t CO2 müsse auf Maßnahmen an der Gebäudehülle und technische Anlagen entfallen. Der Einsatz von Umweltheizungen (Wärmepumpen), der Ausbau der Anschlüsse an Wärmenetze müsse massiv vorangetrieben werden.

Im Szenario KN100 würden für das Jahr 2030 bereits 4,1 Millionen Gebäude mit Wärmepumpen versorgt, im Jahr 2045 sehe die dena-Leitstudie 9 Millionen Wärmepumpen. In 2030 würden 1,3 Millionen weitere Wohnungen (gegenüber 2019) über Wärmenetze versorgt werden, 2045 seien es dann 2,7 Millionen. Auch der Einsatz von klimaneutralen Brennstoffen müsse sich schon bis 2030 mehr als verdreifachen, von heute 9 auf dann 32 Terrawattstunden (TWh). Bis 2045 erfolge eine weitere Vervierfachung auf 120 TWh. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Gebäudesektors mit seinen sehr spezifischen Herausforderungen sei aus heutiger Perspektive ein klimaneutraler Gebäudebestand ohne Wasserstoff und klimaneutrale Gase nicht denkbar.

Das brauchen wir dringend für Klimaneutralität im Gebäudesektor

Eine besondere Herausforderung sei laut der dena-Leitstudie der zum Erreichen des vorgenannten Zieles erforderliche Umbau der Infrastruktur. Für Klimaneutralität im Gebäude­bestand brauche Deutschland tiefgreifende Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit. Gebäude mit dem schlechtesten Standard müssten zuerst angepackt, Sanierungsverfahren standardisiert, massiv intensiviert und die Wärmeversorgung schnell dekarbonisiert werden.

Offen, innovativ und zielführend – der Energiemarkt für morgen

Der dena-Leitstudie zufolge reiche es aber nicht aus, Transformationspfade in einem Handlungsfeld oder einem Sektor zu beschreiten – vielmehr brauche es die Verknüpfung von Maßnahmen in verschiedenen Handlungsfeldclustern. Das fordert Andreas Kuhlmann weiter. Die dena-Leitstudie zeige demnach die Notwendigkeit eines zielführenden Energiemarkt­designs, das die Transformation beschleunige und möglichst effektiv Investitionen in klimaneutrale Technologien und Infrastrukturen auslöse. Dabei spielten

  • ein CO2-Preis mit mehr Lenkungswirkung,
  • die Angleichung staatlich induzierter Preisbestandteile
  • und der Aufbau einer integrierten Infrastruktur­planung eine zentrale Rolle.

Grundlage des Gelingens werde sein, die unterschiedlichen Technologiepfade offen zu halten und keine frühzeitigen Vorfestlegungen zu treffen, die Optionen zur Erreichung der Klimaziele unnötiger­weise einschränken. Alle Optionen, innovative Technologien zu identifizieren, zu unterstützen und zu skalieren müssten massiv vorangetrieben werden. Aber auch von der Nachfrageseite sollten Innovationen zur Erreichung von Klimaneutralität gestärkt werden, beispielsweise mit einer auf klimaneutralen und innovativen Technologien beruhenden Beschaffung der öffentlichen Hand. Die Steigerung von Forschung und Entwicklung sei ebenso notwendig.

Deutschlands Energiewende ist Teil der europäischen Energiewende

Große Bedeutung für die Erreichung der Klimaneutralität in Deutschland habe die europäische Ebene, denn sie setze maßgebliche übergeordnete rechtliche Rahmenbedingungen. Die dena-Leitstudie verdeutliche, dass die Energiewende stärker europäisch und international gedacht werden müsse. Deutschland solle bei der Umsetzung des “Fit for 55“-Pakets zum Vorreiter werden und die nationale Energiepolitik solle sich den europäischen “Green Deal” als Leitbild nehmen. Entsprechende Initiativen wie der “Klimaclub” sollten weiter forciert, die europäische integrierte Infrastrukturentwicklung vorangetrieben und die internationalen Energiepartnerschaften insbesondere im Bereich Wasserstoff ausgeweitet werden. Das sind Forderungen, die Andreas Kuhlmann hat.

Allein die radikale Veränderung der Importe von Energie und ein Blick auf die damit verbundenen geopolitischen Herausforderungen unserer Partnerländer mache deutlich, dass Klimapolitik eine zentrale Aufgabe für den oder die nächsten Außenminister/in sein müssten.

Klimaneutralität müsse gesamtgesellschaftlich  verankert werden

Der von der dena-Leitstudie aufgezeigte Transformationsprozess sei gewaltig. Er funktioniere nur mit den Bürgern zusammen und müsse sozial gerecht ausgestaltet werden.

Wenn die Bürger an der Energiewende teilhaben und von ihr profitieren würden, dann stiege die Akzeptanz für die Transformation, erklärt Andreas Kuhlmann. Die Förderung von “Energy Communities” spiele dabei eine zentrale Rolle. Gesellschaftliche Verhaltens- und Konsummuster seien so leichter zu verändern. Auch die Rolle der Bürger als Prosumer solle gestärkt werden. Davon sei Andreas Kuhlmann überzeugt.

Maßnahmen wie

  • die verbindliche Beteiligung der Kommunen an Einnahmen von Erneuerbare-Energien-Projekten
  • oder die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen

können die Akzeptanz fördern und Ansätze wie eine Pro-Kopf-Energie-Geld die soziale Ausgestaltung der Energiewende verbessern.

Neben einer effektiven Energie- und Klimapolitik sei ein konsistentes Politikkonzept erforderlich, welches die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen befähige, die transformatorischen Veränderungen mitzugestalten, soziale Verwerfungen vermeide und die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende nutze.

Jede einzelne der Aufgaben dieses gewaltigen Transformationsprozesses sei gestaltbar. Ob uns die gleichzeitige Orchestrierung all dieser Aufgaben gelinge, würden die nächsten Jahre zeigen. Ganz zweifelsohne seien die 2020er Jahre ein Jahrzehnt von ganz besonderer Bedeutung für den Aufbruch und Fortschritt in diesem Land. Dabei könne die dena-Leitstudie eine gute Grundlage für die Regierungsarbeit der kommenden Jahre sein, sagt Andreas Kuhlmann abschließend.

Über die dena-Leitstudie “Aufbruch Klimaneutralität”

Die 306-seitige dena-Leitstudie “Aufbruch Klimaneutralität” könnt ihr euch als PDF-Datei kostenlos aus dem Internet downloaden.

Grafik (Titelbild): Screenshot Titel der dena-Leitstudie